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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

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Mischen wie in dem wirthschaftlichen Leben Europa's und Deutschlands. Der
Krimkrieg 1854--56, noch mehr der italienische Krieg 1859 hatten den Deut¬
schen gezeigt, daß^das hohe Gut des Friedens ihnen nicht für alle Ewigkeit
verbürgt sei; gleichzeitig aber hatten sie schmerzlich empfunden, daß der Bund und
sein Organ nicht im Stande sei, die zerstreuten Schaaren ihrer tapfern
Söhne zu einem Heere unter einem Führer zu vereinigen > nicht im Stande"
über die höchsten Angelegenheiten des Vaterlandes, über Kneg und Frieden^
über Anschaffung und Verwendung der Mittel zur Vertheidigung gegen einen
äußern Feind, über die Vertretung der nationalen Interessen im europäischen
Rathe Beschlüsse zu fassen und auszuführen. Das Bedürfniß, diesen verderb¬
lichen Mängeln abzuhelfen, wurde allgemein und lebhaft empfunden. Die
Bewegung nach dem Ziele stärkerer Einigung ist in ruhigem, stetigem Wachsen
und hat in diesen Tagen bei dem deutschen Schützenfeste in Frankfurt einen
imposanten, würdigen Ausdruck gesunden. Die Herstellung einer deutschen
Kriegsflotte beschäftigt die Gemüther nicht allein der Küstenbewohner, sondern
auch der Bevölkerung im Innern, bis in die Thäler und auf die Höhen der
Gebirge. Die von Preußen für den Zollverein und die Hansestädte mit Japan,
China und Siam abgeschlossenen Verträge verstärken nicht nur das Bedürfniß
des Schutzes der deutschen Handelsmarine, sondern sie verlegen den Nus nach einer
deutschen Flagge aus dem Gebiete der patriotischen Wünsche in das der prak¬
tischen Nothwendigkeit. -- Das innere Leben der Bundesglieder ist im Laufe
dieser Vertragsperiode aus langem Schlafe erwacht. Preußens Regent und
jetziger König hat den Druck, welchen das frühere Ministerium mit Hülfe einer
willfährigen Kammer gegen die Verfassung und die Gesetze, auf jede freie Re¬
gung übte, wenigstens so weit aufgehoben, daß die allgemeine Theilnahme der
Bürger an den öffentlichen Angelegenheiten sich in Ausübung ihrer verfassungs¬
mäßigen Rechte mit Erfolg bethätigen kann, und wenn auch der Kampf alter
Gewohnheiten und Vorurtheile mit dem grundgesetzlich sanctionirten Verfassungs¬
staate noch Wechselfällen unterliegt und gegenwärtig die auffallende Erscheinung
eines reactionären Ministeriums mit einem liberalen Programme, ohne Stütze
in der Kammer, ohne Sympathien im Volke darstellt; so haben doch gerade
die unter diesem Ministerium vorgenommenen Wahlen den Beweis geliefert, daß
eine Reaction gegen die Verfassung ohne einen Staatsstreich nicht mehr mög¬
lich ist. Ein Staatsstreich aber würde die Macht und das Ansehen des Staa¬
tes selbst zu Grunde richten. Oestreich ist durch die Gnade seines Kaisers mit
einer Reichsverfassung und mit Landesverfassungen ausgestattet, weil kein anderes
Mittel mehr übrig war, um die Herstellung des Gleichgewichts zwischen den
Einnahmen und Ausgaben, folgeweise eine stärkere Anspannung der Steuer¬
kräfte zu versuchen, und womöglich die auseinandersttcbendcn Nationalitäten
durch eine gemeinsame Vertretung zusammenzuhalten. Bis jetzt ist zwar weder


Mischen wie in dem wirthschaftlichen Leben Europa's und Deutschlands. Der
Krimkrieg 1854—56, noch mehr der italienische Krieg 1859 hatten den Deut¬
schen gezeigt, daß^das hohe Gut des Friedens ihnen nicht für alle Ewigkeit
verbürgt sei; gleichzeitig aber hatten sie schmerzlich empfunden, daß der Bund und
sein Organ nicht im Stande sei, die zerstreuten Schaaren ihrer tapfern
Söhne zu einem Heere unter einem Führer zu vereinigen > nicht im Stande»
über die höchsten Angelegenheiten des Vaterlandes, über Kneg und Frieden^
über Anschaffung und Verwendung der Mittel zur Vertheidigung gegen einen
äußern Feind, über die Vertretung der nationalen Interessen im europäischen
Rathe Beschlüsse zu fassen und auszuführen. Das Bedürfniß, diesen verderb¬
lichen Mängeln abzuhelfen, wurde allgemein und lebhaft empfunden. Die
Bewegung nach dem Ziele stärkerer Einigung ist in ruhigem, stetigem Wachsen
und hat in diesen Tagen bei dem deutschen Schützenfeste in Frankfurt einen
imposanten, würdigen Ausdruck gesunden. Die Herstellung einer deutschen
Kriegsflotte beschäftigt die Gemüther nicht allein der Küstenbewohner, sondern
auch der Bevölkerung im Innern, bis in die Thäler und auf die Höhen der
Gebirge. Die von Preußen für den Zollverein und die Hansestädte mit Japan,
China und Siam abgeschlossenen Verträge verstärken nicht nur das Bedürfniß
des Schutzes der deutschen Handelsmarine, sondern sie verlegen den Nus nach einer
deutschen Flagge aus dem Gebiete der patriotischen Wünsche in das der prak¬
tischen Nothwendigkeit. — Das innere Leben der Bundesglieder ist im Laufe
dieser Vertragsperiode aus langem Schlafe erwacht. Preußens Regent und
jetziger König hat den Druck, welchen das frühere Ministerium mit Hülfe einer
willfährigen Kammer gegen die Verfassung und die Gesetze, auf jede freie Re¬
gung übte, wenigstens so weit aufgehoben, daß die allgemeine Theilnahme der
Bürger an den öffentlichen Angelegenheiten sich in Ausübung ihrer verfassungs¬
mäßigen Rechte mit Erfolg bethätigen kann, und wenn auch der Kampf alter
Gewohnheiten und Vorurtheile mit dem grundgesetzlich sanctionirten Verfassungs¬
staate noch Wechselfällen unterliegt und gegenwärtig die auffallende Erscheinung
eines reactionären Ministeriums mit einem liberalen Programme, ohne Stütze
in der Kammer, ohne Sympathien im Volke darstellt; so haben doch gerade
die unter diesem Ministerium vorgenommenen Wahlen den Beweis geliefert, daß
eine Reaction gegen die Verfassung ohne einen Staatsstreich nicht mehr mög¬
lich ist. Ein Staatsstreich aber würde die Macht und das Ansehen des Staa¬
tes selbst zu Grunde richten. Oestreich ist durch die Gnade seines Kaisers mit
einer Reichsverfassung und mit Landesverfassungen ausgestattet, weil kein anderes
Mittel mehr übrig war, um die Herstellung des Gleichgewichts zwischen den
Einnahmen und Ausgaben, folgeweise eine stärkere Anspannung der Steuer¬
kräfte zu versuchen, und womöglich die auseinandersttcbendcn Nationalitäten
durch eine gemeinsame Vertretung zusammenzuhalten. Bis jetzt ist zwar weder


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[0216] Mischen wie in dem wirthschaftlichen Leben Europa's und Deutschlands. Der Krimkrieg 1854—56, noch mehr der italienische Krieg 1859 hatten den Deut¬ schen gezeigt, daß^das hohe Gut des Friedens ihnen nicht für alle Ewigkeit verbürgt sei; gleichzeitig aber hatten sie schmerzlich empfunden, daß der Bund und sein Organ nicht im Stande sei, die zerstreuten Schaaren ihrer tapfern Söhne zu einem Heere unter einem Führer zu vereinigen > nicht im Stande» über die höchsten Angelegenheiten des Vaterlandes, über Kneg und Frieden^ über Anschaffung und Verwendung der Mittel zur Vertheidigung gegen einen äußern Feind, über die Vertretung der nationalen Interessen im europäischen Rathe Beschlüsse zu fassen und auszuführen. Das Bedürfniß, diesen verderb¬ lichen Mängeln abzuhelfen, wurde allgemein und lebhaft empfunden. Die Bewegung nach dem Ziele stärkerer Einigung ist in ruhigem, stetigem Wachsen und hat in diesen Tagen bei dem deutschen Schützenfeste in Frankfurt einen imposanten, würdigen Ausdruck gesunden. Die Herstellung einer deutschen Kriegsflotte beschäftigt die Gemüther nicht allein der Küstenbewohner, sondern auch der Bevölkerung im Innern, bis in die Thäler und auf die Höhen der Gebirge. Die von Preußen für den Zollverein und die Hansestädte mit Japan, China und Siam abgeschlossenen Verträge verstärken nicht nur das Bedürfniß des Schutzes der deutschen Handelsmarine, sondern sie verlegen den Nus nach einer deutschen Flagge aus dem Gebiete der patriotischen Wünsche in das der prak¬ tischen Nothwendigkeit. — Das innere Leben der Bundesglieder ist im Laufe dieser Vertragsperiode aus langem Schlafe erwacht. Preußens Regent und jetziger König hat den Druck, welchen das frühere Ministerium mit Hülfe einer willfährigen Kammer gegen die Verfassung und die Gesetze, auf jede freie Re¬ gung übte, wenigstens so weit aufgehoben, daß die allgemeine Theilnahme der Bürger an den öffentlichen Angelegenheiten sich in Ausübung ihrer verfassungs¬ mäßigen Rechte mit Erfolg bethätigen kann, und wenn auch der Kampf alter Gewohnheiten und Vorurtheile mit dem grundgesetzlich sanctionirten Verfassungs¬ staate noch Wechselfällen unterliegt und gegenwärtig die auffallende Erscheinung eines reactionären Ministeriums mit einem liberalen Programme, ohne Stütze in der Kammer, ohne Sympathien im Volke darstellt; so haben doch gerade die unter diesem Ministerium vorgenommenen Wahlen den Beweis geliefert, daß eine Reaction gegen die Verfassung ohne einen Staatsstreich nicht mehr mög¬ lich ist. Ein Staatsstreich aber würde die Macht und das Ansehen des Staa¬ tes selbst zu Grunde richten. Oestreich ist durch die Gnade seines Kaisers mit einer Reichsverfassung und mit Landesverfassungen ausgestattet, weil kein anderes Mittel mehr übrig war, um die Herstellung des Gleichgewichts zwischen den Einnahmen und Ausgaben, folgeweise eine stärkere Anspannung der Steuer¬ kräfte zu versuchen, und womöglich die auseinandersttcbendcn Nationalitäten durch eine gemeinsame Vertretung zusammenzuhalten. Bis jetzt ist zwar weder

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/216>, abgerufen am 25.08.2024.