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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

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muthen läßt, ein einzelnes Portrait,, sondern ein Bild! mit einer portraithaften
Knabengruppe. Rechts sitzt der junge Gotthold Ephraim Lessing, nicht im Al¬
ter von fünf, sondern- von sieben bis acht Jahren. Fröhlich aufblickend hat
er die linke Hand auf ein auf feinen Knieen liegendes offnes Buch gelegt,
während er die Rechte nach einigen andern Büchern ausstreckt, welche zu feinen
Füßen liege"" Links.sitzt ein jüngerer Bruder, an dessen Seite ein Lamm
sieht., welchem der Knabe eine Aehre reicht. Gotthold Ephraim Lessing trägt
einen rothen Rock und Hosen und Strümpfe von gleicher Farbe, der jüngere
Bruder, dessen Haltung den künftigen Prediger anzudeuten scheint, ist schwarz
gekleidet. Dieser jüngere Bruder ist nicht, wie die Inschrift des Bildes sagt,
Karl Lessing, der jüngste unter allen Geschwistern des großen Dichters und
Kritikers, sondern vielmehr Theophilus Lessing, der am 12. November 1732
geboren war und im Jahr 1803 als Rector in Chemnitz starb. M hat sich
durch nichts ausgezeichnet, als durch seine Geschicklichkeit im Anfertigen lateini¬
scher Verse.

Lessing hat völlig Recht gehabt,, wenn er den Maler dieses Bildes gegen
seinen Bruder Karl als einen "nicht ganz schlechten Künstler" bezeichnete. Aller
dings leidet das Bild an argen Verzeichnungen, namentlich in der Behandlung
des Unterkörpers; aber im Ganzen macht es einen erfreulichen Eindrück. Die
Gruppe ist sehr gefällig und malerisch geordnet. In den Farben liegt, obwohl
sie sehr nachgedunkelt sind, eine glückliche Stimmung. Der landschaftliche
Hintergrund ist weit und liebevoll ausgeführt. Und vor allem der Ausdruck
der kindlichen Gesichter selbst ist unbefangen und äußerst lebendig und an¬
sprechend. Merkwürdig ist, zu sehen, wie fest und bestimmt in den Gesichts¬
zügen des Knaben schon die des Mannes vorgezeichnet erscheinen. Eine hohe
Stirn, weite helle Augen, die Nase breit und energisch vortretend, um den
Mund ein munteres und freundliches Lächeln. Es ist kein schöner Knabe, aber
ein Knabe voll kecker Lebhaftigkeit und klar ausgesprochner Begabung.

Es gibt wohl kaum ein zweites Beispiel, daß wir von einem unsrer gro¬
ßen Männer, sofern sie nicht Fürsten waren, ein so frühzeitiges Jugendbild be¬
sitzen, und so schien der Wunsch, den Professor Hettner an seine ersten Mit¬
theilungen über dessen Entdeckung knüpfte, daß dieses Bild im Kamenzer
Lessingsstist recht bald auf die eine oder die andere Weise vervielfältigt werden
möge, ein sehr gerechtfertigter.

Jetzt haben nur die Freude, anzeigen zu können, daß jener Wunsch erfüllt
worden ist. Ein junger Dresdner Künstler, Herr Clauß aus Kamenz, hat das
Bild in treuester und gelungenster Weise nachgezeichnet und eine Anzahl von
Photographien dieser seiner Zeichnung der Buchhandlung von Ch. G. Ernst
am Ende in Dresden in Commission übergeben. (Eine Phvtographirung des
Originals selbst stellte sich bei dem beschädigten Zustande desselben als umthun-


muthen läßt, ein einzelnes Portrait,, sondern ein Bild! mit einer portraithaften
Knabengruppe. Rechts sitzt der junge Gotthold Ephraim Lessing, nicht im Al¬
ter von fünf, sondern- von sieben bis acht Jahren. Fröhlich aufblickend hat
er die linke Hand auf ein auf feinen Knieen liegendes offnes Buch gelegt,
während er die Rechte nach einigen andern Büchern ausstreckt, welche zu feinen
Füßen liege»» Links.sitzt ein jüngerer Bruder, an dessen Seite ein Lamm
sieht., welchem der Knabe eine Aehre reicht. Gotthold Ephraim Lessing trägt
einen rothen Rock und Hosen und Strümpfe von gleicher Farbe, der jüngere
Bruder, dessen Haltung den künftigen Prediger anzudeuten scheint, ist schwarz
gekleidet. Dieser jüngere Bruder ist nicht, wie die Inschrift des Bildes sagt,
Karl Lessing, der jüngste unter allen Geschwistern des großen Dichters und
Kritikers, sondern vielmehr Theophilus Lessing, der am 12. November 1732
geboren war und im Jahr 1803 als Rector in Chemnitz starb. M hat sich
durch nichts ausgezeichnet, als durch seine Geschicklichkeit im Anfertigen lateini¬
scher Verse.

Lessing hat völlig Recht gehabt,, wenn er den Maler dieses Bildes gegen
seinen Bruder Karl als einen „nicht ganz schlechten Künstler" bezeichnete. Aller
dings leidet das Bild an argen Verzeichnungen, namentlich in der Behandlung
des Unterkörpers; aber im Ganzen macht es einen erfreulichen Eindrück. Die
Gruppe ist sehr gefällig und malerisch geordnet. In den Farben liegt, obwohl
sie sehr nachgedunkelt sind, eine glückliche Stimmung. Der landschaftliche
Hintergrund ist weit und liebevoll ausgeführt. Und vor allem der Ausdruck
der kindlichen Gesichter selbst ist unbefangen und äußerst lebendig und an¬
sprechend. Merkwürdig ist, zu sehen, wie fest und bestimmt in den Gesichts¬
zügen des Knaben schon die des Mannes vorgezeichnet erscheinen. Eine hohe
Stirn, weite helle Augen, die Nase breit und energisch vortretend, um den
Mund ein munteres und freundliches Lächeln. Es ist kein schöner Knabe, aber
ein Knabe voll kecker Lebhaftigkeit und klar ausgesprochner Begabung.

Es gibt wohl kaum ein zweites Beispiel, daß wir von einem unsrer gro¬
ßen Männer, sofern sie nicht Fürsten waren, ein so frühzeitiges Jugendbild be¬
sitzen, und so schien der Wunsch, den Professor Hettner an seine ersten Mit¬
theilungen über dessen Entdeckung knüpfte, daß dieses Bild im Kamenzer
Lessingsstist recht bald auf die eine oder die andere Weise vervielfältigt werden
möge, ein sehr gerechtfertigter.

Jetzt haben nur die Freude, anzeigen zu können, daß jener Wunsch erfüllt
worden ist. Ein junger Dresdner Künstler, Herr Clauß aus Kamenz, hat das
Bild in treuester und gelungenster Weise nachgezeichnet und eine Anzahl von
Photographien dieser seiner Zeichnung der Buchhandlung von Ch. G. Ernst
am Ende in Dresden in Commission übergeben. (Eine Phvtographirung des
Originals selbst stellte sich bei dem beschädigten Zustande desselben als umthun-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/160>, abgerufen am 22.07.2024.