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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

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so erinnert sie an ihre Unfähigkeit, den Geruch darzustellen. Wenn wir diese
Regel auf innere Vorgänge anwenden, die sich unserm Auge entziehen oder
doch nur unter einem falschen Winkel darbieten, so überzeugen wir uns ohne
Mühe, wo sich das Wollen des Malers zu bescheiden hat.

Es ist, wie man sieht, nicht unsere Absicht, Andres als allgemein gültige
Betrachtungen an dieses Bild zu knüpfen. Seine Rundreise hat erst eben'be¬
gonnen. Ohne alle Frage wird es dem in weiteren Kreisen noch wenig be¬
kannten Künstler zahlreiche Freunde erwerben und ihm den Weg zu gesteigerten
Erfolgen bahnen. Wir verzichten daher auch auf eine eingehende Beschreibung,
zumal sie doch nicht im Stande wäre, den eigentlichen Reiz des Bildes zu ver¬
anschaulichen. Der Gegenstand selbst ist ja ohnehin bekannt genug. Suchen
wir dafür noch eine andere Lehre aus dem Gegenstande zu ziehen. Wer Paul
Veronese in seiner heitern, üppigen Festlichkeit liebt, wird mit Wohlgefallen
einen Strahl dieses Genius in der Auffassung des Ganzen wieder zu finden
glauben; er wird bei dieser Wahrnehmung den Nebengedanken nicht abweisen
können, daß, wie bei dem großen Veroneser zwischen dem heiligen Stoff und
dessen weltlicher Wiedergabe, so hier zwischen dem historischen Stoff und seiner
Verbildlichung, eine Lücke offen bleibt, über welche nur ein großes Talent uns
einigermaßen hinwegzuhelfen vermag. Es führt uns dieser Gedankengang auf
die Bedenken zurück, welche die Wahl des Stoffs selbst betrafen und hier zwar
von einer andern Seite. Wenn Paul Veronese das Gastmahl des Levy, die
Hochzeit zu Canaan oder andere Feste zum Vorwurf wählte, so drückt er ge¬
flissentlich den ethischen Kernpunkt der biblischen Erzählung unter die Pracht
und Fülle des Festes selbst hinab, und sein Werk hat zuletzt nicht mehr Heiliges,
als z. B. eine Bachsche Gigue Tanzartiges enthält. Ohne Zweifel bleibt jene
Uebersetzung ins Profane eine Art Rationalismus, gegen welchen vom Stand¬
punkt der reinen Kunstgattungen viele Einwände zu erheben sind, und wir
wollen die damit begangene Grenzenverletzung nicht in Schutz nehmen. Wohl
aber darf man, als einen seinen Zug in diesen profan-heiligen Bildern, an¬
erkennen, daß in der Compositionsweise nirgend die Absicht durchschimmert,
die sorglose Heiterkeit der Handlung einem tieferen Inhalte zu opfern. Und
hier zeigt sich's, wie ein Vorzug der einen Art zu einem bedenklichen Nach¬
theile der andern Art werden kann. Das letzte große Bankett der Wallenstein-
schen Heerführer wäre auch für P. Veronese ein köstlicher Vorwurf gewesen.
Die reiche Fülle von Nationalitäten, die Pracht und der Glanz eines tafelnden
Haufens beutelustiger Haudegen, die bunte Musterkarte von Waffen und Trach¬
ten, die strahlenden Trinkgeschirre, das ganze Drum und Dran einer Zeit, in welcher
alle Schatzkammern und Truhen im deutschen Reiche mittelst der Schwertspitze aufge¬
schlossen worden waren -- es fehlte nichts zu einem echt Veroneseschen Bilde. Aber
instinctiv oder mit gutem Vorbedacht hätte der Meister des Festlichsreudigen


so erinnert sie an ihre Unfähigkeit, den Geruch darzustellen. Wenn wir diese
Regel auf innere Vorgänge anwenden, die sich unserm Auge entziehen oder
doch nur unter einem falschen Winkel darbieten, so überzeugen wir uns ohne
Mühe, wo sich das Wollen des Malers zu bescheiden hat.

Es ist, wie man sieht, nicht unsere Absicht, Andres als allgemein gültige
Betrachtungen an dieses Bild zu knüpfen. Seine Rundreise hat erst eben'be¬
gonnen. Ohne alle Frage wird es dem in weiteren Kreisen noch wenig be¬
kannten Künstler zahlreiche Freunde erwerben und ihm den Weg zu gesteigerten
Erfolgen bahnen. Wir verzichten daher auch auf eine eingehende Beschreibung,
zumal sie doch nicht im Stande wäre, den eigentlichen Reiz des Bildes zu ver¬
anschaulichen. Der Gegenstand selbst ist ja ohnehin bekannt genug. Suchen
wir dafür noch eine andere Lehre aus dem Gegenstande zu ziehen. Wer Paul
Veronese in seiner heitern, üppigen Festlichkeit liebt, wird mit Wohlgefallen
einen Strahl dieses Genius in der Auffassung des Ganzen wieder zu finden
glauben; er wird bei dieser Wahrnehmung den Nebengedanken nicht abweisen
können, daß, wie bei dem großen Veroneser zwischen dem heiligen Stoff und
dessen weltlicher Wiedergabe, so hier zwischen dem historischen Stoff und seiner
Verbildlichung, eine Lücke offen bleibt, über welche nur ein großes Talent uns
einigermaßen hinwegzuhelfen vermag. Es führt uns dieser Gedankengang auf
die Bedenken zurück, welche die Wahl des Stoffs selbst betrafen und hier zwar
von einer andern Seite. Wenn Paul Veronese das Gastmahl des Levy, die
Hochzeit zu Canaan oder andere Feste zum Vorwurf wählte, so drückt er ge¬
flissentlich den ethischen Kernpunkt der biblischen Erzählung unter die Pracht
und Fülle des Festes selbst hinab, und sein Werk hat zuletzt nicht mehr Heiliges,
als z. B. eine Bachsche Gigue Tanzartiges enthält. Ohne Zweifel bleibt jene
Uebersetzung ins Profane eine Art Rationalismus, gegen welchen vom Stand¬
punkt der reinen Kunstgattungen viele Einwände zu erheben sind, und wir
wollen die damit begangene Grenzenverletzung nicht in Schutz nehmen. Wohl
aber darf man, als einen seinen Zug in diesen profan-heiligen Bildern, an¬
erkennen, daß in der Compositionsweise nirgend die Absicht durchschimmert,
die sorglose Heiterkeit der Handlung einem tieferen Inhalte zu opfern. Und
hier zeigt sich's, wie ein Vorzug der einen Art zu einem bedenklichen Nach¬
theile der andern Art werden kann. Das letzte große Bankett der Wallenstein-
schen Heerführer wäre auch für P. Veronese ein köstlicher Vorwurf gewesen.
Die reiche Fülle von Nationalitäten, die Pracht und der Glanz eines tafelnden
Haufens beutelustiger Haudegen, die bunte Musterkarte von Waffen und Trach¬
ten, die strahlenden Trinkgeschirre, das ganze Drum und Dran einer Zeit, in welcher
alle Schatzkammern und Truhen im deutschen Reiche mittelst der Schwertspitze aufge¬
schlossen worden waren — es fehlte nichts zu einem echt Veroneseschen Bilde. Aber
instinctiv oder mit gutem Vorbedacht hätte der Meister des Festlichsreudigen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/158>, abgerufen am 22.07.2024.