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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

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ex Pics mit seiner gewohnten Milde. ""Ja ja, mein lieber Gemahl, da liege ich
wieder,"" sagte er. ""Mit Goethe geht es heute auch nicht gut, ich habe zu ihm
geschickt. Seine kräftige Natur hilft ihm über alles hinaus. Er wird genesen,
wer weiß aber, was uns die nächste Stunde schwarz verschleiert bringt? Unsre
Körper werden scheiden, aber unsre Seelen werden ewig zusammenleben."" Dar¬
auf gab er mir einige Befehle und reichte mir zum Abschied die Hand, die
fieberisch brannte. Mit tiefer Wehmuth verließ ich sein einfaches Stübchen, um
ihn nur auf der Bahre wiederzusehen.

Unser Jammer war groß. Aber keiner wagte, sein Dahinscheiden Goethe
mitzutheilen, und doch wußte man nicht, wie man es anfangen sollte, ohne seinen
Befehl die nächste Vorstellung zu sistiren. Endlich legte sich die Jagemann ins
Mittel und erklärte dem Herzog unumwunden, daß sie in ihrer Stimmung nicht
Komödie spielen könne. Darauf wurde auf Befehl des Herzogs Sonnabend,
den 10. Mai die Bühne geschlossen. Statt des Theaterzettels erschien den andern
Tag folgende aus einer Kanzlei hervorgegangene Bekanntmachung:

"Weimar, den 10. Mai 1805.

Bei der traurigen Stimmung, welche durch das Ableben des allgemein
geschätzten und um das deutsche Theater so sehr verdienten Herrn Hofrath von
Schiller, allhier, besonders bei dem Personale des fürstlichen Hoftheaters her¬
vorgerufen worden, wird auf Ansuchen desselben die morgende Darstellung mit
gnädigster Zustimmung ausgesetzt."

. Alle diese Vorkommnisse waren Goethe, der selbst bettlägerig war, bis nach
der Beerdigung Schillers verheimlicht worden. Erst Sonntag, den 12., theilte
sein Sohn August ihm die Trauerkunde mit. Darauf soll er den Befehl er¬
theilt haben, Niemand, wer es auch sei, zu ihm zu lassen. Einige Zeit daraus
führten mich dringende Geschäfte zu ihm; mit Zittern und Zagen trat ich den
Weg an. Er empfing mich mit ernster Miene, äußerte aber kein Wort über
Schillers Dahinscheiden. Als ich seine Befehle eingeholt hatte, wollte ich mich
entfernen, da rief er: "Noch eins! Sagt dem, der die sonderbare Annonce
über den Tod meines Freundes verfaßt hat, er hätte es sollen bleiben lassen!
Wenn ein Schiller stirbt, bedarf es dem Publicum gegenüber wegen einer aus¬
gefallenen Theatervorstellung keiner Entschuldigung."'

Zum Schluß möge uns E. Gemahl nach eigner Beobachtung Goethes
Methode, Stücke von Bedeutung mit den Schauspielern einzuüben, schildern.
Es ist im Jahr 1815 und die "Zenobia" von Calderon soll in einer Leseprobe
durchgegangen werden.

"Ein langer grünbehangner Tisch stand in der Mitte von Goethe's Empfangs¬
zimmer. Obenan nahm er seinen Platz, ihm gegenüber, am Ende der Tafel,
der Regisseur. Zur Rechten von Goethe saß die Wolfs, zur Linken Oels. Die
U.ebng,en reihten sich der Ordnung gemäß an. Der junge Nachwuchs bildete


Grenzboten III. 1SS2. 19

ex Pics mit seiner gewohnten Milde. „„Ja ja, mein lieber Gemahl, da liege ich
wieder,"" sagte er. „„Mit Goethe geht es heute auch nicht gut, ich habe zu ihm
geschickt. Seine kräftige Natur hilft ihm über alles hinaus. Er wird genesen,
wer weiß aber, was uns die nächste Stunde schwarz verschleiert bringt? Unsre
Körper werden scheiden, aber unsre Seelen werden ewig zusammenleben."" Dar¬
auf gab er mir einige Befehle und reichte mir zum Abschied die Hand, die
fieberisch brannte. Mit tiefer Wehmuth verließ ich sein einfaches Stübchen, um
ihn nur auf der Bahre wiederzusehen.

Unser Jammer war groß. Aber keiner wagte, sein Dahinscheiden Goethe
mitzutheilen, und doch wußte man nicht, wie man es anfangen sollte, ohne seinen
Befehl die nächste Vorstellung zu sistiren. Endlich legte sich die Jagemann ins
Mittel und erklärte dem Herzog unumwunden, daß sie in ihrer Stimmung nicht
Komödie spielen könne. Darauf wurde auf Befehl des Herzogs Sonnabend,
den 10. Mai die Bühne geschlossen. Statt des Theaterzettels erschien den andern
Tag folgende aus einer Kanzlei hervorgegangene Bekanntmachung:

„Weimar, den 10. Mai 1805.

Bei der traurigen Stimmung, welche durch das Ableben des allgemein
geschätzten und um das deutsche Theater so sehr verdienten Herrn Hofrath von
Schiller, allhier, besonders bei dem Personale des fürstlichen Hoftheaters her¬
vorgerufen worden, wird auf Ansuchen desselben die morgende Darstellung mit
gnädigster Zustimmung ausgesetzt."

. Alle diese Vorkommnisse waren Goethe, der selbst bettlägerig war, bis nach
der Beerdigung Schillers verheimlicht worden. Erst Sonntag, den 12., theilte
sein Sohn August ihm die Trauerkunde mit. Darauf soll er den Befehl er¬
theilt haben, Niemand, wer es auch sei, zu ihm zu lassen. Einige Zeit daraus
führten mich dringende Geschäfte zu ihm; mit Zittern und Zagen trat ich den
Weg an. Er empfing mich mit ernster Miene, äußerte aber kein Wort über
Schillers Dahinscheiden. Als ich seine Befehle eingeholt hatte, wollte ich mich
entfernen, da rief er: „Noch eins! Sagt dem, der die sonderbare Annonce
über den Tod meines Freundes verfaßt hat, er hätte es sollen bleiben lassen!
Wenn ein Schiller stirbt, bedarf es dem Publicum gegenüber wegen einer aus¬
gefallenen Theatervorstellung keiner Entschuldigung."'

Zum Schluß möge uns E. Gemahl nach eigner Beobachtung Goethes
Methode, Stücke von Bedeutung mit den Schauspielern einzuüben, schildern.
Es ist im Jahr 1815 und die „Zenobia" von Calderon soll in einer Leseprobe
durchgegangen werden.

„Ein langer grünbehangner Tisch stand in der Mitte von Goethe's Empfangs¬
zimmer. Obenan nahm er seinen Platz, ihm gegenüber, am Ende der Tafel,
der Regisseur. Zur Rechten von Goethe saß die Wolfs, zur Linken Oels. Die
U.ebng,en reihten sich der Ordnung gemäß an. Der junge Nachwuchs bildete


Grenzboten III. 1SS2. 19
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/153>, abgerufen am 22.07.2024.