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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

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chen, und kann Dir, wenn ich vernünftig bin, nicht mehr versprechen, als daß
ich den Versuch machen will

1. ) Wenn Du nicht wenigstens hinlängliche Feinheit der Sitten Dir
erwirbst, so kann, und will, und werde ich nichts für Dich thun; aus Grün¬
den, die ich Dir mündlich, und schriftlich mitgetheilt habe. Ob Du das wirst,
wißen wir beide noch nicht, weder ich. noch Du; Du kannst höchstens ....
^behaupten?), daß Du es willst, Du weißt aber noch nicht, ob Du es tonnen
wirst; und ich eben so wenig.

2. ) Steht Dir noch ein HauptUmstand. sowohl zur Verfeinerung Deiner
Sitten, als zur Erwerbung gründlicher Kenntniße im Wege, über den ich end¬
lich, nachdem ich mündlich Dir schon Winke genug gegeben, und ich an Deinem
Briefe doch noch nicht die geringste Aenderung spüre, freimüthig mit Dir reden
muß. -- Du traust Dir viel zu viel zu; hast eine viel zu hohe Meinung von
Dir: und Du wirst daher diejenigen Männer, denen ich Dich jezt
übergeben muß, nicht achten; --deswegen ihnen nicht folgen, weil Du
Dich für klüger hältst; und so wirst Du natürlich weder Deine Sit ten
bilden, noch etwas lernen. Ich weiß sehr wohl, lieber Bruder, daß Du
gegenwärtig aus keinen Menschen etwas giebst, als auf mich; giebst Dn nun
nur wirklich etwas auf mich, und glaubst Dn, daß ich es redlich mit Dir
meine, so lies aufmerksam, was ich Dir sagen will, und -- richte Dich darnach.

Du hast Kopf, d. h. Fähigkeit etwas zu lernen, aber darum weißt
Du doch noch nichts: und, -- glaube es mir. -- der Schüler der untersten
Klaße weiß weit mehr als Du. Daß es so ist. ist Dir keine Schande; aber,
wenn Du das vergißest, so ist es Dir eine Schande. -- Du hast die, mit
welchen Du bisher gelebt hast, übersehen, weil sie auch nicht studiert. -- Einige
studierte, z. B. den Herrn Pfarrer, seinen Bruder, u. s. f. glaubst Du auch
übersehen zu haben: aber da kann ich Dir aus dem Traume helfen. 1.) Du
glaubtest z. B. nicht, was die Kirche, und der Pfarrer mit ihr glaubt; und
darum hieltest Du Dich für aufgeklärter, als sie; theils weil ich z. B. es auch
nicht glaube. Aber das ist sehr zweierlei; Du hast keine Einsicht i n die Gr ünde.
die ich habe, es nicht zu glauben; noch Einsicht in die Gründe, die der
Pfarrer hat, es zu glauben. 2.) Du verstehst keinen Gelehrten, noch
kannst Du ihn verstehen, weil es Dir an den nöthigen Vorerkenntnißen fehlt.
Was Du also nicht verstehst, hältst Du. wenn es nicht Jemand sagt, der bei
Dir in Autorität steht, für dummes Zeug: das mag es denn auch wohl seyn:
aber Du wenigstens kannst es nicht dafür erklären, denn Du verstehst es nicht.
-- Um Dir ein recht auffallendes Beispiel darüber anzuführen. Kenzelmann
hat etwas über den Ausdruck Denkfreiheit auf dem Titel einer gewißen
Schrift gesagt: ich weiß nicht, was es ist, denn begreiflicher Weise (hier
siehst Du wieder Deine Unwißenheit -- Du hältst es für möglich, daß er mir


chen, und kann Dir, wenn ich vernünftig bin, nicht mehr versprechen, als daß
ich den Versuch machen will

1. ) Wenn Du nicht wenigstens hinlängliche Feinheit der Sitten Dir
erwirbst, so kann, und will, und werde ich nichts für Dich thun; aus Grün¬
den, die ich Dir mündlich, und schriftlich mitgetheilt habe. Ob Du das wirst,
wißen wir beide noch nicht, weder ich. noch Du; Du kannst höchstens ....
^behaupten?), daß Du es willst, Du weißt aber noch nicht, ob Du es tonnen
wirst; und ich eben so wenig.

2. ) Steht Dir noch ein HauptUmstand. sowohl zur Verfeinerung Deiner
Sitten, als zur Erwerbung gründlicher Kenntniße im Wege, über den ich end¬
lich, nachdem ich mündlich Dir schon Winke genug gegeben, und ich an Deinem
Briefe doch noch nicht die geringste Aenderung spüre, freimüthig mit Dir reden
muß. — Du traust Dir viel zu viel zu; hast eine viel zu hohe Meinung von
Dir: und Du wirst daher diejenigen Männer, denen ich Dich jezt
übergeben muß, nicht achten; —deswegen ihnen nicht folgen, weil Du
Dich für klüger hältst; und so wirst Du natürlich weder Deine Sit ten
bilden, noch etwas lernen. Ich weiß sehr wohl, lieber Bruder, daß Du
gegenwärtig aus keinen Menschen etwas giebst, als auf mich; giebst Dn nun
nur wirklich etwas auf mich, und glaubst Dn, daß ich es redlich mit Dir
meine, so lies aufmerksam, was ich Dir sagen will, und — richte Dich darnach.

Du hast Kopf, d. h. Fähigkeit etwas zu lernen, aber darum weißt
Du doch noch nichts: und, — glaube es mir. — der Schüler der untersten
Klaße weiß weit mehr als Du. Daß es so ist. ist Dir keine Schande; aber,
wenn Du das vergißest, so ist es Dir eine Schande. — Du hast die, mit
welchen Du bisher gelebt hast, übersehen, weil sie auch nicht studiert. — Einige
studierte, z. B. den Herrn Pfarrer, seinen Bruder, u. s. f. glaubst Du auch
übersehen zu haben: aber da kann ich Dir aus dem Traume helfen. 1.) Du
glaubtest z. B. nicht, was die Kirche, und der Pfarrer mit ihr glaubt; und
darum hieltest Du Dich für aufgeklärter, als sie; theils weil ich z. B. es auch
nicht glaube. Aber das ist sehr zweierlei; Du hast keine Einsicht i n die Gr ünde.
die ich habe, es nicht zu glauben; noch Einsicht in die Gründe, die der
Pfarrer hat, es zu glauben. 2.) Du verstehst keinen Gelehrten, noch
kannst Du ihn verstehen, weil es Dir an den nöthigen Vorerkenntnißen fehlt.
Was Du also nicht verstehst, hältst Du. wenn es nicht Jemand sagt, der bei
Dir in Autorität steht, für dummes Zeug: das mag es denn auch wohl seyn:
aber Du wenigstens kannst es nicht dafür erklären, denn Du verstehst es nicht.
— Um Dir ein recht auffallendes Beispiel darüber anzuführen. Kenzelmann
hat etwas über den Ausdruck Denkfreiheit auf dem Titel einer gewißen
Schrift gesagt: ich weiß nicht, was es ist, denn begreiflicher Weise (hier
siehst Du wieder Deine Unwißenheit — Du hältst es für möglich, daß er mir


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[0135] chen, und kann Dir, wenn ich vernünftig bin, nicht mehr versprechen, als daß ich den Versuch machen will 1. ) Wenn Du nicht wenigstens hinlängliche Feinheit der Sitten Dir erwirbst, so kann, und will, und werde ich nichts für Dich thun; aus Grün¬ den, die ich Dir mündlich, und schriftlich mitgetheilt habe. Ob Du das wirst, wißen wir beide noch nicht, weder ich. noch Du; Du kannst höchstens .... ^behaupten?), daß Du es willst, Du weißt aber noch nicht, ob Du es tonnen wirst; und ich eben so wenig. 2. ) Steht Dir noch ein HauptUmstand. sowohl zur Verfeinerung Deiner Sitten, als zur Erwerbung gründlicher Kenntniße im Wege, über den ich end¬ lich, nachdem ich mündlich Dir schon Winke genug gegeben, und ich an Deinem Briefe doch noch nicht die geringste Aenderung spüre, freimüthig mit Dir reden muß. — Du traust Dir viel zu viel zu; hast eine viel zu hohe Meinung von Dir: und Du wirst daher diejenigen Männer, denen ich Dich jezt übergeben muß, nicht achten; —deswegen ihnen nicht folgen, weil Du Dich für klüger hältst; und so wirst Du natürlich weder Deine Sit ten bilden, noch etwas lernen. Ich weiß sehr wohl, lieber Bruder, daß Du gegenwärtig aus keinen Menschen etwas giebst, als auf mich; giebst Dn nun nur wirklich etwas auf mich, und glaubst Dn, daß ich es redlich mit Dir meine, so lies aufmerksam, was ich Dir sagen will, und — richte Dich darnach. Du hast Kopf, d. h. Fähigkeit etwas zu lernen, aber darum weißt Du doch noch nichts: und, — glaube es mir. — der Schüler der untersten Klaße weiß weit mehr als Du. Daß es so ist. ist Dir keine Schande; aber, wenn Du das vergißest, so ist es Dir eine Schande. — Du hast die, mit welchen Du bisher gelebt hast, übersehen, weil sie auch nicht studiert. — Einige studierte, z. B. den Herrn Pfarrer, seinen Bruder, u. s. f. glaubst Du auch übersehen zu haben: aber da kann ich Dir aus dem Traume helfen. 1.) Du glaubtest z. B. nicht, was die Kirche, und der Pfarrer mit ihr glaubt; und darum hieltest Du Dich für aufgeklärter, als sie; theils weil ich z. B. es auch nicht glaube. Aber das ist sehr zweierlei; Du hast keine Einsicht i n die Gr ünde. die ich habe, es nicht zu glauben; noch Einsicht in die Gründe, die der Pfarrer hat, es zu glauben. 2.) Du verstehst keinen Gelehrten, noch kannst Du ihn verstehen, weil es Dir an den nöthigen Vorerkenntnißen fehlt. Was Du also nicht verstehst, hältst Du. wenn es nicht Jemand sagt, der bei Dir in Autorität steht, für dummes Zeug: das mag es denn auch wohl seyn: aber Du wenigstens kannst es nicht dafür erklären, denn Du verstehst es nicht. — Um Dir ein recht auffallendes Beispiel darüber anzuführen. Kenzelmann hat etwas über den Ausdruck Denkfreiheit auf dem Titel einer gewißen Schrift gesagt: ich weiß nicht, was es ist, denn begreiflicher Weise (hier siehst Du wieder Deine Unwißenheit — Du hältst es für möglich, daß er mir

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/135>, abgerufen am 24.08.2024.