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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

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Man erinnere sich, wie sehr in der Leichenpredigt die Vorsicht gerühmt
war. welche bei seiner Aufnahme unter die Rekruten des Herrn von Coursac
beobachtet worden sein sollte. In Wahrheit verhielt sichs ganz anders. Man
verlangte von dem jungen Freiwilligen einen Schein über seine Befreiung vom
französischen Militärdienst und ein Sittenzeugniß. Als er letzteres nicht aus¬
zuweisen vermochte, wendete man sich an den Pfarrer seines Geburtsorts.
Dieser weigerte sich, über den Leumund Gicquels Auskunft zu geben, was für
jeden, der begreisen wollte, etwa so viel hieß, als: "euer Candidat des päpst-
lichen Zucwenthums ist ein Taugenichts". Die Herren in Poitiers wollten aber
nicht begreifen. Man nahm den Verdächtigen an und gab ihm ein gutes Handgeld.

In der Leichenpredigt hieß es ferner, daß die Priester in Poitiers bemerkt,
wie Gicquels Frömmigkeit und sein Glaubenseifer dort täglich gewachsen seien.
Der Staatsanwalt dagegen sagt, auf die Acten gestützt: "Gicquel verwendete
das Handgeld keineswegs zu ehrenvollen Zwecken. Er betrank sich oft bis zur
Besinnungslosigkeit, brachte einen großen Theil des Tages in übelberüchtigten
Häusern zu und nahm felle Dirnen mit in seine Wohnung."

Die Leichenpredigt fuhr fort: "Acht Tage später war er in Rom, und
abermals zehn Tage später stand er dem Feinde gegenüber und begann seine
Laufbahn mit einem Siege." Der Staatsanwalt weiß es auch hier besser.
"In Italien angekommen," bemerkt er, "betrug er sich so wenig musterhaft,-daß
er vor ein Kriegsgericht gestellt werden mußte. Man begnügte sich damit, ihn
aus der Armee auszustoßen, er hat mithin an keinem Gefecht theilgenommen
und nie Gelegenheit gehabt, die geringste Schramme zu bekommen."

So enthält beinahe jeder Satz des Redners von Laval das entschiedenste
Gegentheil von einem der Sätze des Predigers von Poitiers.

Gicquel war nicht gewillt, so ruhen- und aussichtslos nach Frankreich zurück¬
zukehren. Er versuchte sich selbst zum Helden zu stempeln und schrieb zunächst
an seine Gönner in Poitiers mehre Briefe, in denen er von seinen Kriegs¬
thaten gegen die gottlosen Piemontesen berichtete, dann jene hochsinnige Epistel,
die wir oben mittheilten, und die der Herr Erzbischof als politisches und reli¬
giöses Vermächtniß des bretagnischen Schreincrleins an die Fürsten und Völker
der Erde bezeichnete.

"Gicquel", so erzählt der Staatsanwalt weiter, "kehrte wohlbehalten und
ohne Wunde nach Frankreich zurück. Er sing an, die Ereignisse, die sich zwar
ohne ihn, aber doch in seiner Nähe zugetragen hatten, nach Kräften auszubeu¬
ten, und verstand dies so gut, daß er. obwohl bereits im Januar dieses Jahres
in Marseille gelandet, Mittel und Wege gefunden hat, sich bis zum April zu ernähren.
Von Marseille begab er sich zunächst nach Guingamp. Dort aber fand er einen
Oheim, der seinen Neffen kannte und sich durch seine Vorspiegelungen nicht
täuschen ließ. Dieser Oheim sagte eines Tages zu ihm: "Mein Junge, zeige


Man erinnere sich, wie sehr in der Leichenpredigt die Vorsicht gerühmt
war. welche bei seiner Aufnahme unter die Rekruten des Herrn von Coursac
beobachtet worden sein sollte. In Wahrheit verhielt sichs ganz anders. Man
verlangte von dem jungen Freiwilligen einen Schein über seine Befreiung vom
französischen Militärdienst und ein Sittenzeugniß. Als er letzteres nicht aus¬
zuweisen vermochte, wendete man sich an den Pfarrer seines Geburtsorts.
Dieser weigerte sich, über den Leumund Gicquels Auskunft zu geben, was für
jeden, der begreisen wollte, etwa so viel hieß, als: „euer Candidat des päpst-
lichen Zucwenthums ist ein Taugenichts". Die Herren in Poitiers wollten aber
nicht begreifen. Man nahm den Verdächtigen an und gab ihm ein gutes Handgeld.

In der Leichenpredigt hieß es ferner, daß die Priester in Poitiers bemerkt,
wie Gicquels Frömmigkeit und sein Glaubenseifer dort täglich gewachsen seien.
Der Staatsanwalt dagegen sagt, auf die Acten gestützt: „Gicquel verwendete
das Handgeld keineswegs zu ehrenvollen Zwecken. Er betrank sich oft bis zur
Besinnungslosigkeit, brachte einen großen Theil des Tages in übelberüchtigten
Häusern zu und nahm felle Dirnen mit in seine Wohnung."

Die Leichenpredigt fuhr fort: „Acht Tage später war er in Rom, und
abermals zehn Tage später stand er dem Feinde gegenüber und begann seine
Laufbahn mit einem Siege." Der Staatsanwalt weiß es auch hier besser.
„In Italien angekommen," bemerkt er, „betrug er sich so wenig musterhaft,-daß
er vor ein Kriegsgericht gestellt werden mußte. Man begnügte sich damit, ihn
aus der Armee auszustoßen, er hat mithin an keinem Gefecht theilgenommen
und nie Gelegenheit gehabt, die geringste Schramme zu bekommen."

So enthält beinahe jeder Satz des Redners von Laval das entschiedenste
Gegentheil von einem der Sätze des Predigers von Poitiers.

Gicquel war nicht gewillt, so ruhen- und aussichtslos nach Frankreich zurück¬
zukehren. Er versuchte sich selbst zum Helden zu stempeln und schrieb zunächst
an seine Gönner in Poitiers mehre Briefe, in denen er von seinen Kriegs¬
thaten gegen die gottlosen Piemontesen berichtete, dann jene hochsinnige Epistel,
die wir oben mittheilten, und die der Herr Erzbischof als politisches und reli¬
giöses Vermächtniß des bretagnischen Schreincrleins an die Fürsten und Völker
der Erde bezeichnete.

„Gicquel", so erzählt der Staatsanwalt weiter, „kehrte wohlbehalten und
ohne Wunde nach Frankreich zurück. Er sing an, die Ereignisse, die sich zwar
ohne ihn, aber doch in seiner Nähe zugetragen hatten, nach Kräften auszubeu¬
ten, und verstand dies so gut, daß er. obwohl bereits im Januar dieses Jahres
in Marseille gelandet, Mittel und Wege gefunden hat, sich bis zum April zu ernähren.
Von Marseille begab er sich zunächst nach Guingamp. Dort aber fand er einen
Oheim, der seinen Neffen kannte und sich durch seine Vorspiegelungen nicht
täuschen ließ. Dieser Oheim sagte eines Tages zu ihm: „Mein Junge, zeige


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/126>, abgerufen am 25.08.2024.