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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band.

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Daß in jener Zeit vielfach über die römische Frage verhandelt wurde, war
schon damals in die Oeffentlichkeit gedrungen, wenn auch nur in Form unbe¬
stimmter Gerüchte und Vermuthungen. .Aber die ganze damalige politische Situa¬
tion diente dazu, diesen Gerüchten einen festen Hintergrund zu geben, eine Reihe
unzweifelhafter Thatsachen schien zu bestätigen, daß eine Lösung der Frage be¬
absichtigt und im Werte sei. Vergegenwärtigen wir uns in Kürze die dama¬
lige Lage.

Graf Cavour stand auf dem Gipfel seiner Erfolge. Die Annexion der
mittelitalienischen Provinzen war vollzogen, die bourbonische Dynastie aus Nea¬
pel vertrieben, auch der Einnahme von Gaeta, dem letzten Zufluchtsort Königs
Franz, konnte man mit jedem Tag entgegensehen. Bereits waren die Wahlen
zum ersten italienischen Nationalparlament erfolgt, sie waren ganz zu Gunsten
des Ministeriums Cavour ausgefallen, und man wußte, daß der erste Act des
Parlaments, dessen Eröffnung bevorstand, die Proclamirung des Königreichs
Italien sein werde. Das Einigungswerk war vollendet -- bis aus Rom und
Venedig. Konnte die Bewegung, die im besten Flusse war, plötzlich stille stehen?
oder konnte ihr Kaiser Napoleon plötzlich Halt gebieten, nachdem er trotz des
Züricher Friedens die Annexionen geschehen lassen und soeben dem König
Franz auch den Schutz der französischen Flotte entzogen? In der That schie¬
nen auch die Dispositionen Frankreichs nur günstig zu sein. Am 4. Febr.
hatte der Kaiser die Sitzungen seiner Staatskörper mit einer Thronrede eröff¬
net, welche, so unbestimmt und farblos sie auch gehalten war, doch jedenfalls
die Anhänger der päpstlichen Sache nicht ermuthigen konnte. Am folgenden
Tag hatte Präsident Mvrny dem gesetzgebenden Körper ein Reihe von diplo¬
matischen Ackerstücken vorgelegt, von welchen die aus die italienischen Angele¬
genheiten bezüglichen bei Weitem die wichtigsten waren. Man fand, daß in
dem Expose der Regierung, welches diese Vorlage begleitete, der Widerstand der
römischen Kurie in den schärfsten Ausdrücken betont war, daß die ganze Zu¬
sammenstellung der bezüglichen Thatsachen den Eindruck machte, als ob es auf
den demnächstigen Bruch mit der päpstlichen Negierung abgesehen sei. Zu gleicher
Zeit wurde mit großem Eclat angekündigt, daß eine neue Broschüre von La-
guerronniöre im Anzug sei, und als diese endlich nach langen Vorbereitungen
und Redactionsverhandlungen erschien (am 15. Febr.), fehlte zwar darin der
angekündigte Passus, worin die eigentliche Lösung ausgesprochen sein sollte,
die Lösung, welche den Papst auf den Vatican beschränkte, und dem
König Victor Emcuruel unter dem Titel eines Vicariats die weltliche Re¬
gierung des Kirchenstaats zusprach. Aber indem die Broschüre eifrigst
die Nothwendigkeit einer Versöhnung zwischen dem Papst und der italie¬
nischen Negierung verfocht, worin allein die Lösung bestehen könne, schien
die kaiserliche Regierung um so mehr geneigt zu sein, einem directen Abkommen


Daß in jener Zeit vielfach über die römische Frage verhandelt wurde, war
schon damals in die Oeffentlichkeit gedrungen, wenn auch nur in Form unbe¬
stimmter Gerüchte und Vermuthungen. .Aber die ganze damalige politische Situa¬
tion diente dazu, diesen Gerüchten einen festen Hintergrund zu geben, eine Reihe
unzweifelhafter Thatsachen schien zu bestätigen, daß eine Lösung der Frage be¬
absichtigt und im Werte sei. Vergegenwärtigen wir uns in Kürze die dama¬
lige Lage.

Graf Cavour stand auf dem Gipfel seiner Erfolge. Die Annexion der
mittelitalienischen Provinzen war vollzogen, die bourbonische Dynastie aus Nea¬
pel vertrieben, auch der Einnahme von Gaeta, dem letzten Zufluchtsort Königs
Franz, konnte man mit jedem Tag entgegensehen. Bereits waren die Wahlen
zum ersten italienischen Nationalparlament erfolgt, sie waren ganz zu Gunsten
des Ministeriums Cavour ausgefallen, und man wußte, daß der erste Act des
Parlaments, dessen Eröffnung bevorstand, die Proclamirung des Königreichs
Italien sein werde. Das Einigungswerk war vollendet — bis aus Rom und
Venedig. Konnte die Bewegung, die im besten Flusse war, plötzlich stille stehen?
oder konnte ihr Kaiser Napoleon plötzlich Halt gebieten, nachdem er trotz des
Züricher Friedens die Annexionen geschehen lassen und soeben dem König
Franz auch den Schutz der französischen Flotte entzogen? In der That schie¬
nen auch die Dispositionen Frankreichs nur günstig zu sein. Am 4. Febr.
hatte der Kaiser die Sitzungen seiner Staatskörper mit einer Thronrede eröff¬
net, welche, so unbestimmt und farblos sie auch gehalten war, doch jedenfalls
die Anhänger der päpstlichen Sache nicht ermuthigen konnte. Am folgenden
Tag hatte Präsident Mvrny dem gesetzgebenden Körper ein Reihe von diplo¬
matischen Ackerstücken vorgelegt, von welchen die aus die italienischen Angele¬
genheiten bezüglichen bei Weitem die wichtigsten waren. Man fand, daß in
dem Expose der Regierung, welches diese Vorlage begleitete, der Widerstand der
römischen Kurie in den schärfsten Ausdrücken betont war, daß die ganze Zu¬
sammenstellung der bezüglichen Thatsachen den Eindruck machte, als ob es auf
den demnächstigen Bruch mit der päpstlichen Negierung abgesehen sei. Zu gleicher
Zeit wurde mit großem Eclat angekündigt, daß eine neue Broschüre von La-
guerronniöre im Anzug sei, und als diese endlich nach langen Vorbereitungen
und Redactionsverhandlungen erschien (am 15. Febr.), fehlte zwar darin der
angekündigte Passus, worin die eigentliche Lösung ausgesprochen sein sollte,
die Lösung, welche den Papst auf den Vatican beschränkte, und dem
König Victor Emcuruel unter dem Titel eines Vicariats die weltliche Re¬
gierung des Kirchenstaats zusprach. Aber indem die Broschüre eifrigst
die Nothwendigkeit einer Versöhnung zwischen dem Papst und der italie¬
nischen Negierung verfocht, worin allein die Lösung bestehen könne, schien
die kaiserliche Regierung um so mehr geneigt zu sein, einem directen Abkommen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113779/50>, abgerufen am 06.01.2025.