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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band.

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den sind, ist dem Leiter der Uebungen Rede zu stehen, auch in einem eignen
Heft Buch zu fuhren. "Einige mit mir zugleich angekommene Bayern,"
erzählt unser Jesuitcnzögling, "denen die figürliche Bedeutung des Wor¬
tes unbekannt war, gingen anfänglich, so oft mir an die Lumina kamen,
hinaus und kehrten mit angezündeten Kerzen zurück, bis sie eines Besseren be¬
lehrt waren."

Der Betrachtungsstoff zerfallt in vier Abschnitte, von denen der erste die
Bestimmung des Menschen, die Sünde und die Hölle, der zweite das Leben
Christi von seiner Geburt bis zum Beginn seines Leidens, der dritte die Passion
von der Einsetzung des Abendmahls bis zur Grablegung, der vierte die Auf¬
erstehung, die Himmelfahrt und die paradiesischen Freuden umfaßt, welche allen
guten Christen verheißen sind.
'

Die Betrachtungen sind durch ein bestimmtes äußeres Verhalten und durch
eine ebenfalls bestimmte Lectüre zu unterstützen. Bor dem Einschlafen soll
man eine Zeit lang, die hinreichen würde, um den englischen Gruß auszusagen,
an die Stunde denken, zu welcher man aufstehen muß. Erwacht man, so hat
man seinen Geist lediglich darauf zu richten, was man im ersten Exercitium
der Mitternacht betrachten werde. Um der größeren Ehrfurcht und Zerknirschung
willen soll man sich vorstellen, "wie ein Soldat vor seinem König steht in der
Versammlung des Hofes, erröthend, ängstlich und bestürzt, indem er schwerer
Verbrechen gegen seinen Herrn überführt ist, von dem er zuvor Wohlthaten,
viele und große Geschenke empfangen hat." Oder man soll bedenken, wie
schwer man gesündigt hat, und sich vorstellen, man "stände in Ketten vor dem
höchsten Richter, gleichwie ein des Todes Schuldiger in eiserne Fesseln ge¬
schmiedet zum Tribunal geführt wird." In solche Betrachtungen versunken soll
man sich ankleiden. Von dem Orte, wo man die BetrcMung halten wird, bleibt
man zunächst einen oder zwei Schritt entfernt stehen und schaut ein Vaterunser
lang zu seinem Herrn Jesus empor, als ob er gegenwärtig wäre, bezeigt ihm
auch durch eine demüthige Geberde seine Ehrfurcht. Zur Betrachtung selbst
schreitet man, indem man sich die-Haltung gibt, in der man das, was man
zu erreichen strebt, am leichtesten zu gewinnen hofft, sich also entweder auf den
Rücken oder auf das Angesicht wirft, niederkniee, sitzt oder auch steht.

Man soll serner sein Fleisch züchtigen, Cilicien, d. h. Drahtgürtel mit nach
innen gekehrten Spitzen oder Stricke auf dem bloßen Leibe tragen, sich geißeln
oder verwunden u. s. w. Das Gefühl des Schmerzes darf jedoch nur im Fleisch
sein, nicht mit "Gefahr von Krankheit die Knochen durchdringen. Als Lectüre
während der Zeit der Exercitien sind die Nachfolge Christi von Thomas a Kempis,
die Evangelien, aber nur die zu den einzelnen Betrachtungen gehörigen Stellen,
und die Lebensgeschichten der Heiligen zu gebrauchen.

Wir theilen nun einige Originalbetrachtungm des heiligen Ignatius mit,


den sind, ist dem Leiter der Uebungen Rede zu stehen, auch in einem eignen
Heft Buch zu fuhren. „Einige mit mir zugleich angekommene Bayern,"
erzählt unser Jesuitcnzögling, „denen die figürliche Bedeutung des Wor¬
tes unbekannt war, gingen anfänglich, so oft mir an die Lumina kamen,
hinaus und kehrten mit angezündeten Kerzen zurück, bis sie eines Besseren be¬
lehrt waren."

Der Betrachtungsstoff zerfallt in vier Abschnitte, von denen der erste die
Bestimmung des Menschen, die Sünde und die Hölle, der zweite das Leben
Christi von seiner Geburt bis zum Beginn seines Leidens, der dritte die Passion
von der Einsetzung des Abendmahls bis zur Grablegung, der vierte die Auf¬
erstehung, die Himmelfahrt und die paradiesischen Freuden umfaßt, welche allen
guten Christen verheißen sind.
'

Die Betrachtungen sind durch ein bestimmtes äußeres Verhalten und durch
eine ebenfalls bestimmte Lectüre zu unterstützen. Bor dem Einschlafen soll
man eine Zeit lang, die hinreichen würde, um den englischen Gruß auszusagen,
an die Stunde denken, zu welcher man aufstehen muß. Erwacht man, so hat
man seinen Geist lediglich darauf zu richten, was man im ersten Exercitium
der Mitternacht betrachten werde. Um der größeren Ehrfurcht und Zerknirschung
willen soll man sich vorstellen, „wie ein Soldat vor seinem König steht in der
Versammlung des Hofes, erröthend, ängstlich und bestürzt, indem er schwerer
Verbrechen gegen seinen Herrn überführt ist, von dem er zuvor Wohlthaten,
viele und große Geschenke empfangen hat." Oder man soll bedenken, wie
schwer man gesündigt hat, und sich vorstellen, man „stände in Ketten vor dem
höchsten Richter, gleichwie ein des Todes Schuldiger in eiserne Fesseln ge¬
schmiedet zum Tribunal geführt wird." In solche Betrachtungen versunken soll
man sich ankleiden. Von dem Orte, wo man die BetrcMung halten wird, bleibt
man zunächst einen oder zwei Schritt entfernt stehen und schaut ein Vaterunser
lang zu seinem Herrn Jesus empor, als ob er gegenwärtig wäre, bezeigt ihm
auch durch eine demüthige Geberde seine Ehrfurcht. Zur Betrachtung selbst
schreitet man, indem man sich die-Haltung gibt, in der man das, was man
zu erreichen strebt, am leichtesten zu gewinnen hofft, sich also entweder auf den
Rücken oder auf das Angesicht wirft, niederkniee, sitzt oder auch steht.

Man soll serner sein Fleisch züchtigen, Cilicien, d. h. Drahtgürtel mit nach
innen gekehrten Spitzen oder Stricke auf dem bloßen Leibe tragen, sich geißeln
oder verwunden u. s. w. Das Gefühl des Schmerzes darf jedoch nur im Fleisch
sein, nicht mit «Gefahr von Krankheit die Knochen durchdringen. Als Lectüre
während der Zeit der Exercitien sind die Nachfolge Christi von Thomas a Kempis,
die Evangelien, aber nur die zu den einzelnen Betrachtungen gehörigen Stellen,
und die Lebensgeschichten der Heiligen zu gebrauchen.

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[0474] den sind, ist dem Leiter der Uebungen Rede zu stehen, auch in einem eignen Heft Buch zu fuhren. „Einige mit mir zugleich angekommene Bayern," erzählt unser Jesuitcnzögling, „denen die figürliche Bedeutung des Wor¬ tes unbekannt war, gingen anfänglich, so oft mir an die Lumina kamen, hinaus und kehrten mit angezündeten Kerzen zurück, bis sie eines Besseren be¬ lehrt waren." Der Betrachtungsstoff zerfallt in vier Abschnitte, von denen der erste die Bestimmung des Menschen, die Sünde und die Hölle, der zweite das Leben Christi von seiner Geburt bis zum Beginn seines Leidens, der dritte die Passion von der Einsetzung des Abendmahls bis zur Grablegung, der vierte die Auf¬ erstehung, die Himmelfahrt und die paradiesischen Freuden umfaßt, welche allen guten Christen verheißen sind. ' Die Betrachtungen sind durch ein bestimmtes äußeres Verhalten und durch eine ebenfalls bestimmte Lectüre zu unterstützen. Bor dem Einschlafen soll man eine Zeit lang, die hinreichen würde, um den englischen Gruß auszusagen, an die Stunde denken, zu welcher man aufstehen muß. Erwacht man, so hat man seinen Geist lediglich darauf zu richten, was man im ersten Exercitium der Mitternacht betrachten werde. Um der größeren Ehrfurcht und Zerknirschung willen soll man sich vorstellen, „wie ein Soldat vor seinem König steht in der Versammlung des Hofes, erröthend, ängstlich und bestürzt, indem er schwerer Verbrechen gegen seinen Herrn überführt ist, von dem er zuvor Wohlthaten, viele und große Geschenke empfangen hat." Oder man soll bedenken, wie schwer man gesündigt hat, und sich vorstellen, man „stände in Ketten vor dem höchsten Richter, gleichwie ein des Todes Schuldiger in eiserne Fesseln ge¬ schmiedet zum Tribunal geführt wird." In solche Betrachtungen versunken soll man sich ankleiden. Von dem Orte, wo man die BetrcMung halten wird, bleibt man zunächst einen oder zwei Schritt entfernt stehen und schaut ein Vaterunser lang zu seinem Herrn Jesus empor, als ob er gegenwärtig wäre, bezeigt ihm auch durch eine demüthige Geberde seine Ehrfurcht. Zur Betrachtung selbst schreitet man, indem man sich die-Haltung gibt, in der man das, was man zu erreichen strebt, am leichtesten zu gewinnen hofft, sich also entweder auf den Rücken oder auf das Angesicht wirft, niederkniee, sitzt oder auch steht. Man soll serner sein Fleisch züchtigen, Cilicien, d. h. Drahtgürtel mit nach innen gekehrten Spitzen oder Stricke auf dem bloßen Leibe tragen, sich geißeln oder verwunden u. s. w. Das Gefühl des Schmerzes darf jedoch nur im Fleisch sein, nicht mit «Gefahr von Krankheit die Knochen durchdringen. Als Lectüre während der Zeit der Exercitien sind die Nachfolge Christi von Thomas a Kempis, die Evangelien, aber nur die zu den einzelnen Betrachtungen gehörigen Stellen, und die Lebensgeschichten der Heiligen zu gebrauchen. Wir theilen nun einige Originalbetrachtungm des heiligen Ignatius mit,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113779/474>, abgerufen am 08.01.2025.