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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band.

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selbe zahlt 600 Mitglieder und ist sehr exclusiv. Damen haben keinen Zutritt,
und so finden hier weder Bälle noch Concerte statt wie in den andern In¬
stituten der Art. Das Clubhaus, auf der Twerskoi-Straße, der vornehmsten in
Moskau, gelegen, ist groß und elegant, enthalt Spiel- und Billardzimmer, ein
Lesekabinet, in welchem alle bedeutenderen Blätter des In- und Auslandes ge¬
halten werden, und wird jede Nacht um 12 Uhr geschlossen, nach welchem Termin
alle, die länger verweilen, eine Geldstrafe zu erlegen haben.

Der Kaufmannsclub nimmt nicht blos Mitglieder des Handelsstandes,
sondern auch Professoren, Doctoren und solche Künstler auf, welche ein Diplom
von der Akademie der Künste haben. Er gibt im Winter Bälle und Maskera¬
den. Schlußzeit ist die zweite Stunde nach Mitternacht. Wer länger bleibt
zahlt eine Geldbuße, die sich mit jeder halben Stunde verdoppelt. Man hat
zum Scherz ausgerechnet, daß ein unglückliches Mitglied mit allzuviel Sitzfleisch
um sieben Uhr Morgens die erschreckende Entdeckung machen würde, dem Comitö
die Summe von 16,364 Rubeln zu schulden.

Außerdem gibt es noch einen deutschen und einen Adelsclub. Aber der
merkwürdigste Vereinigungspunkt Moskau's ist die Adelsversammlung, wo der
erbliche und begüterte Adel des Gouvernements seine gemeinschaftlichen Ange¬
legenheiten beräth, deren Berühmtheit sich aber hauptsächlich von ihren Bällen
herschreibt. Der große Saal derselben ist jedenfalls der größte und vielleicht
auch der schönste Tanzsaal der Welt. Wie in der Se. Georgshalle im Palast
des Kreml sind die Wände desselben, sowie die Pfeiler, welche die Decke stützen,
durchaus von Alabaster und nur mit zarten Vergoldungen geschmückt. Alle
Draperie ist ausgeschlossen, und der Lichtreflex so großer Massen von Weiß
macht einen höchst eigenthümlichen Eindruck. Das ganze Gebäude faßt gegen
fünftausend Personen, und seine Geräumigkeit wurde bei Gelegenheit des dem
Kaiser nach seiner Krönung gegebenen Balles genügend erprobt. Um den
Ballsaal läuft einige Stufen über dem Parquet eine Galerie für die, welche
am Tanz nicht theilnehmen, und weiter oben eine zweite für Zuschauer. Nebenan
befinden sich Spielzimmer und Salons, wo Erfrischungen zu haben sind, sowie
eine ganze Reihe von ApartementS für den Kaiser, welchen die Adelsversamm¬
lung zu ihren Mitgliedern zu zählen die Ehre' hat. Alle Vorzimmer, Speise¬
säle und Nebengemächer sind aus das prächtigste möblirt.

In diesem Saale war es, wo Alexander der Zweite dem moskauer Adel
die bekannte Strafrede hielt, in welcher er die Herren wegen ihrer Widerhaarig-
keit bei Ausführung seiner Reformpläne tadelte und es ablehnte bei dem Fest,
das ihm angeboten wurde, zugegen zu sein. Zwei Jahre vorher, bei dem Krö¬
nungsball, war der Adel, der damals noch nicht an die ernstliche Absicht des
Herrschers, die Bauern zu befreien, glauben mochte, höchst eifrig mit Kundge¬
bungen ehrerbietiger Zuneigung gewesen.


selbe zahlt 600 Mitglieder und ist sehr exclusiv. Damen haben keinen Zutritt,
und so finden hier weder Bälle noch Concerte statt wie in den andern In¬
stituten der Art. Das Clubhaus, auf der Twerskoi-Straße, der vornehmsten in
Moskau, gelegen, ist groß und elegant, enthalt Spiel- und Billardzimmer, ein
Lesekabinet, in welchem alle bedeutenderen Blätter des In- und Auslandes ge¬
halten werden, und wird jede Nacht um 12 Uhr geschlossen, nach welchem Termin
alle, die länger verweilen, eine Geldstrafe zu erlegen haben.

Der Kaufmannsclub nimmt nicht blos Mitglieder des Handelsstandes,
sondern auch Professoren, Doctoren und solche Künstler auf, welche ein Diplom
von der Akademie der Künste haben. Er gibt im Winter Bälle und Maskera¬
den. Schlußzeit ist die zweite Stunde nach Mitternacht. Wer länger bleibt
zahlt eine Geldbuße, die sich mit jeder halben Stunde verdoppelt. Man hat
zum Scherz ausgerechnet, daß ein unglückliches Mitglied mit allzuviel Sitzfleisch
um sieben Uhr Morgens die erschreckende Entdeckung machen würde, dem Comitö
die Summe von 16,364 Rubeln zu schulden.

Außerdem gibt es noch einen deutschen und einen Adelsclub. Aber der
merkwürdigste Vereinigungspunkt Moskau's ist die Adelsversammlung, wo der
erbliche und begüterte Adel des Gouvernements seine gemeinschaftlichen Ange¬
legenheiten beräth, deren Berühmtheit sich aber hauptsächlich von ihren Bällen
herschreibt. Der große Saal derselben ist jedenfalls der größte und vielleicht
auch der schönste Tanzsaal der Welt. Wie in der Se. Georgshalle im Palast
des Kreml sind die Wände desselben, sowie die Pfeiler, welche die Decke stützen,
durchaus von Alabaster und nur mit zarten Vergoldungen geschmückt. Alle
Draperie ist ausgeschlossen, und der Lichtreflex so großer Massen von Weiß
macht einen höchst eigenthümlichen Eindruck. Das ganze Gebäude faßt gegen
fünftausend Personen, und seine Geräumigkeit wurde bei Gelegenheit des dem
Kaiser nach seiner Krönung gegebenen Balles genügend erprobt. Um den
Ballsaal läuft einige Stufen über dem Parquet eine Galerie für die, welche
am Tanz nicht theilnehmen, und weiter oben eine zweite für Zuschauer. Nebenan
befinden sich Spielzimmer und Salons, wo Erfrischungen zu haben sind, sowie
eine ganze Reihe von ApartementS für den Kaiser, welchen die Adelsversamm¬
lung zu ihren Mitgliedern zu zählen die Ehre' hat. Alle Vorzimmer, Speise¬
säle und Nebengemächer sind aus das prächtigste möblirt.

In diesem Saale war es, wo Alexander der Zweite dem moskauer Adel
die bekannte Strafrede hielt, in welcher er die Herren wegen ihrer Widerhaarig-
keit bei Ausführung seiner Reformpläne tadelte und es ablehnte bei dem Fest,
das ihm angeboten wurde, zugegen zu sein. Zwei Jahre vorher, bei dem Krö¬
nungsball, war der Adel, der damals noch nicht an die ernstliche Absicht des
Herrschers, die Bauern zu befreien, glauben mochte, höchst eifrig mit Kundge¬
bungen ehrerbietiger Zuneigung gewesen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113779/470>, abgerufen am 06.01.2025.