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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band.

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Kaufleute erster Gilde sind sie etwa so groß wie Genrebilder. In den Häu¬
sern des Adels endlich überschreiten sie selten die bescheidnen Grenzen von
Miniaturgemälden. "Das kleinste Ikon, weiches ich jemals sah", bemerkt
Edwards, "befand sich im Speisesaal des Adelsclubs zu Moskau, wo ganz
oben an der Decke in der östlichen Ecke ein winziges Hciligenbildchen ange¬
bracht war, das von fern wie die Pique-Königin in der Karte aussah und
^ sicher nicht größer war."

Die russischen Städte haben in der Regel sehr viele Kirchen, Moskau soll
früher deren nicht weniger als vierzig mal vierzig besessen haben -- jeden¬
falls eine Uebertreibung mit Anwendung der Zahl vierzig, die im Orient auch
unter Moslemin als besonders heilig gilt. Dafür aber sind die Kirchen mit
wenigen Ausnahmen sehr klein, namentlich die ältern. Diese sind im byzan¬
tinischen Styl gebaut, mit kleinen Fenstern und dicken Mauern. Gewöhnlich
erheben sich über das Dach derselben fünf Kuppeln, vier an den Ecken des
Gebäudes, welches stets ein Parallelogramm bildet, und eine größere in der
Mitte. Diese Kuppeln sind außen mit schreienden Farben angestrichen, ver¬
oldet oder versilbert, und enden mit einem Kreuz, das aus einem Halbmond
steht. Einige Kirchen haben nur drei, manche nur zwei Kuppeln, andre wieder
sieben, ja die groteske Kirche des Iwan Vlagennoi in Moskau besitzt deren nicht
weniger als dreizehn, und dieselben sind ebenso wie die Thürme von der verschieden¬
sten Form und Farbe, eine von der gewöhnlichen Zwiebelgestalt, eine andere wie
eine Melone gestreift, eine dritte in Facetten zerschnitten wie ein Tannzapfen,
eine vierte gewunden wie ein Turban, wieder eine andere mehr artischockenförmig.
Inwendig sind die Kuppeln in der Regel mit sehr häßlichen Heiligenbildern
bemalt, häufig gilt dies auch von den Wänden und Säulen. Die neuern
Kirchen gleichen in der Hauptsache meist den alten, nur sind sie gewöhnlich
an den Außenwänden mit zahlreichen Säulen korinthischer Ordnung geschmückt.
Der Glockenthurm steht regelmäßig einige Schritte abgesondert von der Kirche
und trägt fast überall eine Menge großer und kleiner Glocken, die aber nicht
wie die unsern geläutet, sondern mit einem Hammer geschlagen werden.

Die russische Normalkirche zerfällt im Innern in drei Theile- eine kleine
Vorhalle, in der sieh gar nichts befindet, das Schiff, welches ein gleichseitiges
Viereck bildet und immer ohne Sitze ist, und das Heiligste, welches stets im
Osten liegt, über das Schiff nicht erhöht, aber von demselben durch eine Wand
geschieden ist und dem Priester zur Vornahme der heiligen Handlungen sowie
als Chor und Sacristei dient. Jene Wand, Jkonostasis genannt und von oben
bis unten mit Heiligenbildern bedeckt, hat drei Thüren, eine, die "königliche",
in der Mitte und eine auf jeder Seite. Unmittelbar hinter der Königspfortc,
die mit einem rothen Vorhang geschlossen ist, wenn der Priester die Wandlung
vollbringt, befindet sich der Altar, ein freistehender einfacher Würfel, aus dem


Kaufleute erster Gilde sind sie etwa so groß wie Genrebilder. In den Häu¬
sern des Adels endlich überschreiten sie selten die bescheidnen Grenzen von
Miniaturgemälden. „Das kleinste Ikon, weiches ich jemals sah", bemerkt
Edwards, „befand sich im Speisesaal des Adelsclubs zu Moskau, wo ganz
oben an der Decke in der östlichen Ecke ein winziges Hciligenbildchen ange¬
bracht war, das von fern wie die Pique-Königin in der Karte aussah und
^ sicher nicht größer war."

Die russischen Städte haben in der Regel sehr viele Kirchen, Moskau soll
früher deren nicht weniger als vierzig mal vierzig besessen haben — jeden¬
falls eine Uebertreibung mit Anwendung der Zahl vierzig, die im Orient auch
unter Moslemin als besonders heilig gilt. Dafür aber sind die Kirchen mit
wenigen Ausnahmen sehr klein, namentlich die ältern. Diese sind im byzan¬
tinischen Styl gebaut, mit kleinen Fenstern und dicken Mauern. Gewöhnlich
erheben sich über das Dach derselben fünf Kuppeln, vier an den Ecken des
Gebäudes, welches stets ein Parallelogramm bildet, und eine größere in der
Mitte. Diese Kuppeln sind außen mit schreienden Farben angestrichen, ver¬
oldet oder versilbert, und enden mit einem Kreuz, das aus einem Halbmond
steht. Einige Kirchen haben nur drei, manche nur zwei Kuppeln, andre wieder
sieben, ja die groteske Kirche des Iwan Vlagennoi in Moskau besitzt deren nicht
weniger als dreizehn, und dieselben sind ebenso wie die Thürme von der verschieden¬
sten Form und Farbe, eine von der gewöhnlichen Zwiebelgestalt, eine andere wie
eine Melone gestreift, eine dritte in Facetten zerschnitten wie ein Tannzapfen,
eine vierte gewunden wie ein Turban, wieder eine andere mehr artischockenförmig.
Inwendig sind die Kuppeln in der Regel mit sehr häßlichen Heiligenbildern
bemalt, häufig gilt dies auch von den Wänden und Säulen. Die neuern
Kirchen gleichen in der Hauptsache meist den alten, nur sind sie gewöhnlich
an den Außenwänden mit zahlreichen Säulen korinthischer Ordnung geschmückt.
Der Glockenthurm steht regelmäßig einige Schritte abgesondert von der Kirche
und trägt fast überall eine Menge großer und kleiner Glocken, die aber nicht
wie die unsern geläutet, sondern mit einem Hammer geschlagen werden.

Die russische Normalkirche zerfällt im Innern in drei Theile- eine kleine
Vorhalle, in der sieh gar nichts befindet, das Schiff, welches ein gleichseitiges
Viereck bildet und immer ohne Sitze ist, und das Heiligste, welches stets im
Osten liegt, über das Schiff nicht erhöht, aber von demselben durch eine Wand
geschieden ist und dem Priester zur Vornahme der heiligen Handlungen sowie
als Chor und Sacristei dient. Jene Wand, Jkonostasis genannt und von oben
bis unten mit Heiligenbildern bedeckt, hat drei Thüren, eine, die „königliche",
in der Mitte und eine auf jeder Seite. Unmittelbar hinter der Königspfortc,
die mit einem rothen Vorhang geschlossen ist, wenn der Priester die Wandlung
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[0434] Kaufleute erster Gilde sind sie etwa so groß wie Genrebilder. In den Häu¬ sern des Adels endlich überschreiten sie selten die bescheidnen Grenzen von Miniaturgemälden. „Das kleinste Ikon, weiches ich jemals sah", bemerkt Edwards, „befand sich im Speisesaal des Adelsclubs zu Moskau, wo ganz oben an der Decke in der östlichen Ecke ein winziges Hciligenbildchen ange¬ bracht war, das von fern wie die Pique-Königin in der Karte aussah und ^ sicher nicht größer war." Die russischen Städte haben in der Regel sehr viele Kirchen, Moskau soll früher deren nicht weniger als vierzig mal vierzig besessen haben — jeden¬ falls eine Uebertreibung mit Anwendung der Zahl vierzig, die im Orient auch unter Moslemin als besonders heilig gilt. Dafür aber sind die Kirchen mit wenigen Ausnahmen sehr klein, namentlich die ältern. Diese sind im byzan¬ tinischen Styl gebaut, mit kleinen Fenstern und dicken Mauern. Gewöhnlich erheben sich über das Dach derselben fünf Kuppeln, vier an den Ecken des Gebäudes, welches stets ein Parallelogramm bildet, und eine größere in der Mitte. Diese Kuppeln sind außen mit schreienden Farben angestrichen, ver¬ oldet oder versilbert, und enden mit einem Kreuz, das aus einem Halbmond steht. Einige Kirchen haben nur drei, manche nur zwei Kuppeln, andre wieder sieben, ja die groteske Kirche des Iwan Vlagennoi in Moskau besitzt deren nicht weniger als dreizehn, und dieselben sind ebenso wie die Thürme von der verschieden¬ sten Form und Farbe, eine von der gewöhnlichen Zwiebelgestalt, eine andere wie eine Melone gestreift, eine dritte in Facetten zerschnitten wie ein Tannzapfen, eine vierte gewunden wie ein Turban, wieder eine andere mehr artischockenförmig. Inwendig sind die Kuppeln in der Regel mit sehr häßlichen Heiligenbildern bemalt, häufig gilt dies auch von den Wänden und Säulen. Die neuern Kirchen gleichen in der Hauptsache meist den alten, nur sind sie gewöhnlich an den Außenwänden mit zahlreichen Säulen korinthischer Ordnung geschmückt. Der Glockenthurm steht regelmäßig einige Schritte abgesondert von der Kirche und trägt fast überall eine Menge großer und kleiner Glocken, die aber nicht wie die unsern geläutet, sondern mit einem Hammer geschlagen werden. Die russische Normalkirche zerfällt im Innern in drei Theile- eine kleine Vorhalle, in der sieh gar nichts befindet, das Schiff, welches ein gleichseitiges Viereck bildet und immer ohne Sitze ist, und das Heiligste, welches stets im Osten liegt, über das Schiff nicht erhöht, aber von demselben durch eine Wand geschieden ist und dem Priester zur Vornahme der heiligen Handlungen sowie als Chor und Sacristei dient. Jene Wand, Jkonostasis genannt und von oben bis unten mit Heiligenbildern bedeckt, hat drei Thüren, eine, die „königliche", in der Mitte und eine auf jeder Seite. Unmittelbar hinter der Königspfortc, die mit einem rothen Vorhang geschlossen ist, wenn der Priester die Wandlung vollbringt, befindet sich der Altar, ein freistehender einfacher Würfel, aus dem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113779/434>, abgerufen am 08.01.2025.