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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band.

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Staat den denkenden Deutschen mehr und mehr; ohne ihn bleibt die Wahl nur
zwischen dem Einheitsstaate oder dem Untergange des -Vaterlandes. -- Wahr¬
haft kindisch aber ist für einen gewiegten Meister in Staatsgeschäften das Ge¬
heul über die angebliche Ausweisung von vierzehn Millionen biederer Oestreicher
aus dem Vaterhause. Aus dem Vaterhause, welches die Bundesacte uns er¬
baut hat, wollen wir die Oestreicher nicht vertreiben; sie aber wollen in kein
anderes, und wollen den übrigen Deutschen auch nicht gestatten, sich in dem
großen Hause wohnlich einzurichten, wie sie selbst es in ihren Räumen ver¬
suchen. Das ist unbillig und kann nicht lange mehr ertragen werden. In
diesem Augenblicke will Oestreich uns verbieten, mit den übrigen Nationen des
Festlandes freier zu verkehren, weil es ihm nicht gefällt ebenso mit uns und
mit den anderen zu verkehren, und weil es besorgt, daß es uns dorn nicht so
leicht mehr für seine fremden Zwecke werde ausbeuten können. In diesem
Augenblicke geht der Finanzausschuß in Wien mit dem Antrage vor, den
Gläubigern des Staates -- leider gibt es deren Viele unter uns -- künftig
'/--> statt an den vertragsmäßig bedungenen Zinsen abzuziehen. Die
einfachste Art der Convertirung! --Hier wird nicht, wie es sonst üblich, und
wie die Stümper Fould und v. d. Heydt noch jüngst gethan, den Gläubigern
die Wahl gelassen, ob sie sich mit weniger Zinsen begnügen, oder ihr Capital
zurück empfangen wollen. Nein -- man verkürzt ihnen die vertrags¬
mäßigen Zinsen, gibt ihnen statt 5 nur 4"/- Procent, nennt dies -- Ein¬
kommensteuer und damit Punctum!

Genug davon. Der erlauchte Verfasser hat ein Programm für seine Bun-
desreform. das Zusätze und Auslegungen bei einzelnen Artikeln der Bun¬
desacte fordert, welche diesem völkerrechtlichen Vertrage ein wesentlich anderes
Aussehen geben würden. Statt der "gemeinnützigen Bundestinrichtungen"
in Art. K, soll die "Pflege und größtmögliche Förderung des geistigen Lebens
sowohl als der materiellen Wohlfahrt der deutschen Nation" in Art. 1 unter
die Bundeszwecke aufgenommen werden. Den Artikeln 2, 6, und 9 hänge
man an; eine Executivgewalt gebildet aus den Gesandten von Oestreich, Preu¬
ßen und einem Vertreter der übrigen Bundesstaaten, ein deutsches Parlament
aus Mitgliedern der Landeskammern zur Mitwirkung bei Gesetzen und ge¬
meinnützigen Anordnungen, dann mit dem Rechte der Wünsche und Anträge.
Aus Artikel 7 streiche, man das Erforderniß der Einstimmigkeit und setze an
dessen Stelle die einfache, höchstens Zwei-drittel-Majorität. Den Artikel 12 be¬
reichere man mit einem obersten Bundesgerichte. Im Artikel t3 interpretire
man die "landständischen Verfassungen" im Sinne des constitutionellen Systems
und verpflichte man sich, liberale Verfassungen und Gesetze in den Einzelstaaten
künftig ungeschoren zu lassen. Die im Artikel 18 ä verheißene Preßfreiheit
schütze man vor Censur und Polizei in allen Einzelstaaten.


Staat den denkenden Deutschen mehr und mehr; ohne ihn bleibt die Wahl nur
zwischen dem Einheitsstaate oder dem Untergange des -Vaterlandes. — Wahr¬
haft kindisch aber ist für einen gewiegten Meister in Staatsgeschäften das Ge¬
heul über die angebliche Ausweisung von vierzehn Millionen biederer Oestreicher
aus dem Vaterhause. Aus dem Vaterhause, welches die Bundesacte uns er¬
baut hat, wollen wir die Oestreicher nicht vertreiben; sie aber wollen in kein
anderes, und wollen den übrigen Deutschen auch nicht gestatten, sich in dem
großen Hause wohnlich einzurichten, wie sie selbst es in ihren Räumen ver¬
suchen. Das ist unbillig und kann nicht lange mehr ertragen werden. In
diesem Augenblicke will Oestreich uns verbieten, mit den übrigen Nationen des
Festlandes freier zu verkehren, weil es ihm nicht gefällt ebenso mit uns und
mit den anderen zu verkehren, und weil es besorgt, daß es uns dorn nicht so
leicht mehr für seine fremden Zwecke werde ausbeuten können. In diesem
Augenblicke geht der Finanzausschuß in Wien mit dem Antrage vor, den
Gläubigern des Staates — leider gibt es deren Viele unter uns — künftig
'/--> statt an den vertragsmäßig bedungenen Zinsen abzuziehen. Die
einfachste Art der Convertirung! —Hier wird nicht, wie es sonst üblich, und
wie die Stümper Fould und v. d. Heydt noch jüngst gethan, den Gläubigern
die Wahl gelassen, ob sie sich mit weniger Zinsen begnügen, oder ihr Capital
zurück empfangen wollen. Nein — man verkürzt ihnen die vertrags¬
mäßigen Zinsen, gibt ihnen statt 5 nur 4"/- Procent, nennt dies — Ein¬
kommensteuer und damit Punctum!

Genug davon. Der erlauchte Verfasser hat ein Programm für seine Bun-
desreform. das Zusätze und Auslegungen bei einzelnen Artikeln der Bun¬
desacte fordert, welche diesem völkerrechtlichen Vertrage ein wesentlich anderes
Aussehen geben würden. Statt der „gemeinnützigen Bundestinrichtungen"
in Art. K, soll die „Pflege und größtmögliche Förderung des geistigen Lebens
sowohl als der materiellen Wohlfahrt der deutschen Nation" in Art. 1 unter
die Bundeszwecke aufgenommen werden. Den Artikeln 2, 6, und 9 hänge
man an; eine Executivgewalt gebildet aus den Gesandten von Oestreich, Preu¬
ßen und einem Vertreter der übrigen Bundesstaaten, ein deutsches Parlament
aus Mitgliedern der Landeskammern zur Mitwirkung bei Gesetzen und ge¬
meinnützigen Anordnungen, dann mit dem Rechte der Wünsche und Anträge.
Aus Artikel 7 streiche, man das Erforderniß der Einstimmigkeit und setze an
dessen Stelle die einfache, höchstens Zwei-drittel-Majorität. Den Artikel 12 be¬
reichere man mit einem obersten Bundesgerichte. Im Artikel t3 interpretire
man die „landständischen Verfassungen" im Sinne des constitutionellen Systems
und verpflichte man sich, liberale Verfassungen und Gesetze in den Einzelstaaten
künftig ungeschoren zu lassen. Die im Artikel 18 ä verheißene Preßfreiheit
schütze man vor Censur und Polizei in allen Einzelstaaten.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113779/414>, abgerufen am 06.01.2025.