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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band.

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dem mußte. Die Fractionen der Linken und des linken Centrums waren durch
die Concessionen nicht zu gewinnen, und diejenigen Mitglieder der gouvernemen-
talen Partei, die. Guizot an der Spitze, eine selbständige Politik verfolgten,
waren, von allen persönlichen Verstimmungen abgesehn, den beiden Tendenzen
des Cabinets feindlich; sie wollten den energischsten Widerstand gegen Alles,
was ihnen als demokratisch und anarchistisch erschien; sie wachten aber zugleich
eifersüchtig über die Machtstellung der Kammer und waren nicht gemeint, den
Schwerpunkt der Regierung aus derselben herauslegen zu lassen. So konnte
Molo nur auf diejenigen allerdings zahlreichen Abgeordneten rechnen, die bereit
waren, 'jedes Ministerium, welches nicht eine extreme Richtung einschlug, zu
unterstützen. Aber die Stellung, die Guizot genommen hatte, brachte auch unter
diesen eine bedenkliche (Nahrung hervor. Trotz wiederholten Kammerauflösungen
ergaben sich daher für das Ministerium nur unbedeutende, schwankende, unzu¬
verlässige Majoritäten, während die Fractionen der Opposition, soweit sie
auch in ihren positiven Ansichten auseinander gingen, unter ihren Füh¬
rern Odilon Barrot, Thiers, Guizot. dem Cabinete in einer festgeschlos-
senen Koalition gegenüber standen. Ihren vereinigten Angriffen konnte
Molo auf die Dauer nicht widerstehen, und als daher die Wahlen im Früh¬
jahr 1839 gegen ihn ausgefallen waren, zog er sich 'zurück, den Gegnern als
Erbschaft die schwierige Aufgabe hinterlassend, aus ihren Gegensätzen eine ein¬
heitliche Regierung zusammenzuschmieden. Es trat indessen ein, was sich vor¬
aussehen ließ- die Koalition war unfähig ein Cabinet zu bilden, Guizot und
Odilon Barrot konnten sich nicht in einem Ministerrathe vereinigen, und auch
Thiers, wohl in der Meinung, die Situation auch ohne unwillkommene und
herrische Bundesgenossen zu beherrschen, weigerte sich, mit Guizot vereint sich
an der Regierung zu betheiligen. Die Folge dieser Verhältnisse war eine
zweimonatliche vom König mit kluger Geduld abgewartete Ministerkrise. Man
kam sogar, um wenigstens die Kammer in Thätigkeit zu setzen und ihr Gele¬
genheit zu geben, ihre allgemeine Richtung zu manifestiren, auf das seltsame
Auskunftsmittel, ein proviforisches Ministerium zu ernennen. Auch dieses Mit¬
tel führte der Lösung um seinen Schritt näher. Ein republikanischer Aufstand
bewirkte endlich, was alle Verhandlungen und Intriguen nicht vermocht hatten:
am 12. Mai constituirte sich, unter Soults Präsidentschaft, das neue Mini¬
sterium, das außer einigen farblosen Persönlichkeiten, aus gewählten, aber kei¬
neswegs den leitenden Mitgliedern der beiden Centren bestand. Daß ein so
zusammengesetztes Cabinet, aus dem zur geheimen Freude des Königs die Füh¬
rer der Koalition ausgeschlossen waren, eine starke parlamentarische Stellung
weder haben, noch gewinnen konnte, daß es in seiner Abhängigkeit, bald von
den persönlichen Anschauungen des Königs, bald von den schwankenden, unsi¬
cheren, und doch anspruchsvollen Wünschen der Kammer, vollends der Lösung


dem mußte. Die Fractionen der Linken und des linken Centrums waren durch
die Concessionen nicht zu gewinnen, und diejenigen Mitglieder der gouvernemen-
talen Partei, die. Guizot an der Spitze, eine selbständige Politik verfolgten,
waren, von allen persönlichen Verstimmungen abgesehn, den beiden Tendenzen
des Cabinets feindlich; sie wollten den energischsten Widerstand gegen Alles,
was ihnen als demokratisch und anarchistisch erschien; sie wachten aber zugleich
eifersüchtig über die Machtstellung der Kammer und waren nicht gemeint, den
Schwerpunkt der Regierung aus derselben herauslegen zu lassen. So konnte
Molo nur auf diejenigen allerdings zahlreichen Abgeordneten rechnen, die bereit
waren, 'jedes Ministerium, welches nicht eine extreme Richtung einschlug, zu
unterstützen. Aber die Stellung, die Guizot genommen hatte, brachte auch unter
diesen eine bedenkliche (Nahrung hervor. Trotz wiederholten Kammerauflösungen
ergaben sich daher für das Ministerium nur unbedeutende, schwankende, unzu¬
verlässige Majoritäten, während die Fractionen der Opposition, soweit sie
auch in ihren positiven Ansichten auseinander gingen, unter ihren Füh¬
rern Odilon Barrot, Thiers, Guizot. dem Cabinete in einer festgeschlos-
senen Koalition gegenüber standen. Ihren vereinigten Angriffen konnte
Molo auf die Dauer nicht widerstehen, und als daher die Wahlen im Früh¬
jahr 1839 gegen ihn ausgefallen waren, zog er sich 'zurück, den Gegnern als
Erbschaft die schwierige Aufgabe hinterlassend, aus ihren Gegensätzen eine ein¬
heitliche Regierung zusammenzuschmieden. Es trat indessen ein, was sich vor¬
aussehen ließ- die Koalition war unfähig ein Cabinet zu bilden, Guizot und
Odilon Barrot konnten sich nicht in einem Ministerrathe vereinigen, und auch
Thiers, wohl in der Meinung, die Situation auch ohne unwillkommene und
herrische Bundesgenossen zu beherrschen, weigerte sich, mit Guizot vereint sich
an der Regierung zu betheiligen. Die Folge dieser Verhältnisse war eine
zweimonatliche vom König mit kluger Geduld abgewartete Ministerkrise. Man
kam sogar, um wenigstens die Kammer in Thätigkeit zu setzen und ihr Gele¬
genheit zu geben, ihre allgemeine Richtung zu manifestiren, auf das seltsame
Auskunftsmittel, ein proviforisches Ministerium zu ernennen. Auch dieses Mit¬
tel führte der Lösung um seinen Schritt näher. Ein republikanischer Aufstand
bewirkte endlich, was alle Verhandlungen und Intriguen nicht vermocht hatten:
am 12. Mai constituirte sich, unter Soults Präsidentschaft, das neue Mini¬
sterium, das außer einigen farblosen Persönlichkeiten, aus gewählten, aber kei¬
neswegs den leitenden Mitgliedern der beiden Centren bestand. Daß ein so
zusammengesetztes Cabinet, aus dem zur geheimen Freude des Königs die Füh¬
rer der Koalition ausgeschlossen waren, eine starke parlamentarische Stellung
weder haben, noch gewinnen konnte, daß es in seiner Abhängigkeit, bald von
den persönlichen Anschauungen des Königs, bald von den schwankenden, unsi¬
cheren, und doch anspruchsvollen Wünschen der Kammer, vollends der Lösung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113779/37>, abgerufen am 06.01.2025.