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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band.

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Unterdeß haben zunächst wir, die wir außerhalb Preußens schreiben, die
größte Veranlassung, auf die Erfolge aufmerksam zu machen, die auch dieser
letzte innere Kampf in Preußen für den Staat gehabt hat. Ueber dem Par¬
teihader hat sich in, dem heilsamen Zwange des parlamentarischen Lebens überall
Patriotismus und eine fast begeisterte Empfindung für die Ehre und Größe
des Staates kund gegeben. Auch das Ministerium, am Tage der Wahlen das
unpopulärste, welches je in einem Verfassungsstaate gebildet wurde, hat Gele¬
genheit gehabt zu beweisen, daß ihm sich etwas von dem Aufschwünge mitge¬
theilt hat, der in das Volk gekommen ist. Noch vor wenig Tagen mußte man
voraussetzen, daß eine der ersten Folgen des Wahlsieges nach Eröffnung der
Kammern ein Protest gegen die Existenz des Ministeriums in irgend welcher
Form sein würde. Heut haben ernsthafte Verwickelungen nach außen die Stel¬
lung der Regierung wesentlich gebessert. Minister und Volksvertreter find jetzt
als Patrioten und Preußen engagirt, beide haben zunächst die Aufgabe, Ehre
und Würde Preußens gegen eine fremde Regierung zu vertreten.

Leider ist es eine deutsche Regierung, leider ist es die eines kleinen Staa¬
tes. Aber die schmachvolle Beleidigung, welche dem General Willisen in Kassel
zugefügt wurde, brennt jetzt in den Herzen, sie verlangt eine Jedermann ver¬
ständliche und gründliche Genugthuung. Es gibt nur eine, die Entfernung der
gegenwärtigen Regierung von Kurhessen, die Befreiung des Landes von einem
gesetzlosen, tyrannischen Regiment, von einer despotischen Willtürlaune, welche
der Haß gegen Preußen bis zur völligen Blindheit gebracht hat. Auch hier
soll sichtbar werden, daß das Schicksal blendet, bevor es vernichtet.

Während diese Zeilen geschrieben werden, ist das 48stündige Ultimatum
abgelaufen, welches Preußen an die kurhessische Regierung gestellt hat. Nach
allen Symptomen zu schließen hat der Kurfürst sich nicht zu der Entlassung
seines Ministeriums verstanden, er wird voraussichtlich damit zögern, selbst
wenn er dem stillen Rathe Oestreichs folgt, nachzugeben, bis die preußischen
Truppen in der That sein Land betreten; weicht er dann der Gewalt, so hat
er doch die Freude, sein Selbstgefühl bis zum letzten Augenblick zu bewahren
und nur dem äußersten Zwange zu weichen.

Aber die jetzt erhobene Forderung Preußens, daß der Kurfürst das Mini¬
sterium, welches einen preußischen Abgesandten beleidigt hat. entlasse, gibt allein
doch noch keine Aussicht, den hessischen Streit auf eine ehrenvolle und den
Bedürfnissen des hessischen Volkes entsprechende Weise zu erledigen. Was hin¬
dert den Kurfürsten, an der Stelle der gegenwärtigen Minister andere nicht
weniger preußenfeindliche zu ernennen? Wer sie auch sein möchten und wenn
sie Hassenpflug hießen, der jetzigen Forderung würde dadurch genügt und der
Vorwand zum kräftigen Eingreifen in die Verhältnisse des zerrütteten Staats
der preußischen Negierung genommen werden.


Unterdeß haben zunächst wir, die wir außerhalb Preußens schreiben, die
größte Veranlassung, auf die Erfolge aufmerksam zu machen, die auch dieser
letzte innere Kampf in Preußen für den Staat gehabt hat. Ueber dem Par¬
teihader hat sich in, dem heilsamen Zwange des parlamentarischen Lebens überall
Patriotismus und eine fast begeisterte Empfindung für die Ehre und Größe
des Staates kund gegeben. Auch das Ministerium, am Tage der Wahlen das
unpopulärste, welches je in einem Verfassungsstaate gebildet wurde, hat Gele¬
genheit gehabt zu beweisen, daß ihm sich etwas von dem Aufschwünge mitge¬
theilt hat, der in das Volk gekommen ist. Noch vor wenig Tagen mußte man
voraussetzen, daß eine der ersten Folgen des Wahlsieges nach Eröffnung der
Kammern ein Protest gegen die Existenz des Ministeriums in irgend welcher
Form sein würde. Heut haben ernsthafte Verwickelungen nach außen die Stel¬
lung der Regierung wesentlich gebessert. Minister und Volksvertreter find jetzt
als Patrioten und Preußen engagirt, beide haben zunächst die Aufgabe, Ehre
und Würde Preußens gegen eine fremde Regierung zu vertreten.

Leider ist es eine deutsche Regierung, leider ist es die eines kleinen Staa¬
tes. Aber die schmachvolle Beleidigung, welche dem General Willisen in Kassel
zugefügt wurde, brennt jetzt in den Herzen, sie verlangt eine Jedermann ver¬
ständliche und gründliche Genugthuung. Es gibt nur eine, die Entfernung der
gegenwärtigen Regierung von Kurhessen, die Befreiung des Landes von einem
gesetzlosen, tyrannischen Regiment, von einer despotischen Willtürlaune, welche
der Haß gegen Preußen bis zur völligen Blindheit gebracht hat. Auch hier
soll sichtbar werden, daß das Schicksal blendet, bevor es vernichtet.

Während diese Zeilen geschrieben werden, ist das 48stündige Ultimatum
abgelaufen, welches Preußen an die kurhessische Regierung gestellt hat. Nach
allen Symptomen zu schließen hat der Kurfürst sich nicht zu der Entlassung
seines Ministeriums verstanden, er wird voraussichtlich damit zögern, selbst
wenn er dem stillen Rathe Oestreichs folgt, nachzugeben, bis die preußischen
Truppen in der That sein Land betreten; weicht er dann der Gewalt, so hat
er doch die Freude, sein Selbstgefühl bis zum letzten Augenblick zu bewahren
und nur dem äußersten Zwange zu weichen.

Aber die jetzt erhobene Forderung Preußens, daß der Kurfürst das Mini¬
sterium, welches einen preußischen Abgesandten beleidigt hat. entlasse, gibt allein
doch noch keine Aussicht, den hessischen Streit auf eine ehrenvolle und den
Bedürfnissen des hessischen Volkes entsprechende Weise zu erledigen. Was hin¬
dert den Kurfürsten, an der Stelle der gegenwärtigen Minister andere nicht
weniger preußenfeindliche zu ernennen? Wer sie auch sein möchten und wenn
sie Hassenpflug hießen, der jetzigen Forderung würde dadurch genügt und der
Vorwand zum kräftigen Eingreifen in die Verhältnisse des zerrütteten Staats
der preußischen Negierung genommen werden.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113779/360>, abgerufen am 08.01.2025.