Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band.land streng verboten sind. Wir sehen, Herr Herzen hat einen wunderlichen Wir halten dieses Urtheil für durchaus begründet, zumal da Edwards an Dazu aber kommt bei Herzen noch ein auffallender Widerspruch, der durch land streng verboten sind. Wir sehen, Herr Herzen hat einen wunderlichen Wir halten dieses Urtheil für durchaus begründet, zumal da Edwards an Dazu aber kommt bei Herzen noch ein auffallender Widerspruch, der durch <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0357" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/114137"/> <p xml:id="ID_1137" prev="#ID_1136"> land streng verboten sind. Wir sehen, Herr Herzen hat einen wunderlichen<lb/> Begriff von der Freiheit. Er meint, daß England nicht frei, und was noch<lb/> seltsamer, daß'Amerika frei ist. Sicher könnte er in den Vereinigten Staaten<lb/> seine „Glocke" und seinen „Polarstern" herausgeben, so lange er sich auf die<lb/> Vergötterung der Häupter der Verschwörung von 1825 (deren Porträts, den<lb/> Umschlag des „Polarsterns" schmücken) oder darauf beschränkte, die Minister<lb/> des jetzigen Kaisers mit Nennung ihrer Namen der Absicht, ihren Souverain<lb/> zu ermorden, anzuklagen. Vielleicht auch würde man ihm gestatten seine Artikel<lb/> über die Befreiung der Leibeigenen drucken zu lassen. Aber sage er in einem<lb/> der südlichen Staaten auch nur ein Wort von der Befreiung der amerikanischen<lb/> Sklaven, und er wird sehr wahrscheinlich finden, daß der freieste Fleck in Ame¬<lb/> rika das Deck eines nach England bestimmten Schiffes ist. Herr Herzen macht<lb/> sich die vollständige Freiheit, die hier zu Lande allen Schriftstellern gelassen<lb/> ist, in maßloser Weise zu Nutze. Er schreibt in der That wie jemand, der<lb/> nicht daran gewöhnt ist, zu sagen, was er mag, wie ein freigewordener Sklave,<lb/> wie ein Parvenu der Freiheit."</p><lb/> <p xml:id="ID_1138"> Wir halten dieses Urtheil für durchaus begründet, zumal da Edwards an<lb/> andern Stellen den im Allgemeinen guten Willen und die mannichfachen Ver¬<lb/> dienste des hier Getadelten anerkennt. Die Flüchtlingsliteratur ist in der Regel<lb/> von beschränktem Werth, und plötzlich freigewordene Menschen reden und thun<lb/> Wie plötzlich befreite Völker selten etwas nach den Grundsätzen der Billigkeit.<lb/> Der Verstand wird von dem Gefühl, die Erfahrung von der Stimmung über¬<lb/> wuchert.</p><lb/> <p xml:id="ID_1139" next="#ID_1140"> Dazu aber kommt bei Herzen noch ein auffallender Widerspruch, der durch<lb/> alle seine Schriften geht, dem man in der Unterhaltung mit der Mehrzahl der<lb/> „Jungrussen" begegnet, und der auch unserm Berichterstatter nicht entgangen<lb/> ist. „Herrn Herzen," sagt er, „passirt es häufig, daß er an der einen Stelle<lb/> klagt, wie Europa von Rußland weniger wisse, als Cäsar vor seinem Einbruch<lb/> in Gallien von den Galliern gewußt habe, dann an einer andern uns (wie<lb/> der selige O'Connell von den Jrländern) versichert, daß der russische Bauer<lb/> der beste von der Welt' sei. uns begeistert die russischen Dichter preist, uns die<lb/> glühende Strebsamkeit der studirenden Jugend in Moskau rühmt, und dann<lb/> wieder mit augenscheinlichem Behagen die Bauern als Mordbrenner darstellt,<lb/> auf die Zahl der von ihren Leibeignen ermordeten Leibhcrren hinweist (die er<lb/> sehr übertreibt), den Kaiser Nicolaus als Mörder von Leuten anklagt, denen<lb/> er nur Gutes gethan, kurz so eifrig und erfolgreich Alles was guk in Rußland<lb/> verhüllt, Alles was schlecht in den Vordergrund schiebt und sogar vergrößert.<lb/> Die Folge »se. daß der Leser (natürlich um der mit kritischem Blick) sich geneigt<lb/> fühlt, dem Himmel zu danken, daß er in der That so wenig von dem Lande<lb/> weiß, und daß wir uns sagen, wie Cäsar die Gallier erst kennen lernte als er</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0357]
land streng verboten sind. Wir sehen, Herr Herzen hat einen wunderlichen
Begriff von der Freiheit. Er meint, daß England nicht frei, und was noch
seltsamer, daß'Amerika frei ist. Sicher könnte er in den Vereinigten Staaten
seine „Glocke" und seinen „Polarstern" herausgeben, so lange er sich auf die
Vergötterung der Häupter der Verschwörung von 1825 (deren Porträts, den
Umschlag des „Polarsterns" schmücken) oder darauf beschränkte, die Minister
des jetzigen Kaisers mit Nennung ihrer Namen der Absicht, ihren Souverain
zu ermorden, anzuklagen. Vielleicht auch würde man ihm gestatten seine Artikel
über die Befreiung der Leibeigenen drucken zu lassen. Aber sage er in einem
der südlichen Staaten auch nur ein Wort von der Befreiung der amerikanischen
Sklaven, und er wird sehr wahrscheinlich finden, daß der freieste Fleck in Ame¬
rika das Deck eines nach England bestimmten Schiffes ist. Herr Herzen macht
sich die vollständige Freiheit, die hier zu Lande allen Schriftstellern gelassen
ist, in maßloser Weise zu Nutze. Er schreibt in der That wie jemand, der
nicht daran gewöhnt ist, zu sagen, was er mag, wie ein freigewordener Sklave,
wie ein Parvenu der Freiheit."
Wir halten dieses Urtheil für durchaus begründet, zumal da Edwards an
andern Stellen den im Allgemeinen guten Willen und die mannichfachen Ver¬
dienste des hier Getadelten anerkennt. Die Flüchtlingsliteratur ist in der Regel
von beschränktem Werth, und plötzlich freigewordene Menschen reden und thun
Wie plötzlich befreite Völker selten etwas nach den Grundsätzen der Billigkeit.
Der Verstand wird von dem Gefühl, die Erfahrung von der Stimmung über¬
wuchert.
Dazu aber kommt bei Herzen noch ein auffallender Widerspruch, der durch
alle seine Schriften geht, dem man in der Unterhaltung mit der Mehrzahl der
„Jungrussen" begegnet, und der auch unserm Berichterstatter nicht entgangen
ist. „Herrn Herzen," sagt er, „passirt es häufig, daß er an der einen Stelle
klagt, wie Europa von Rußland weniger wisse, als Cäsar vor seinem Einbruch
in Gallien von den Galliern gewußt habe, dann an einer andern uns (wie
der selige O'Connell von den Jrländern) versichert, daß der russische Bauer
der beste von der Welt' sei. uns begeistert die russischen Dichter preist, uns die
glühende Strebsamkeit der studirenden Jugend in Moskau rühmt, und dann
wieder mit augenscheinlichem Behagen die Bauern als Mordbrenner darstellt,
auf die Zahl der von ihren Leibeignen ermordeten Leibhcrren hinweist (die er
sehr übertreibt), den Kaiser Nicolaus als Mörder von Leuten anklagt, denen
er nur Gutes gethan, kurz so eifrig und erfolgreich Alles was guk in Rußland
verhüllt, Alles was schlecht in den Vordergrund schiebt und sogar vergrößert.
Die Folge »se. daß der Leser (natürlich um der mit kritischem Blick) sich geneigt
fühlt, dem Himmel zu danken, daß er in der That so wenig von dem Lande
weiß, und daß wir uns sagen, wie Cäsar die Gallier erst kennen lernte als er
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