Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

selbst ein Buch wie Carlyle's "Französische Revolution", dem sicher Niemand
leicht in Nußland zu begegnen erwarten wird.

Wir tragen noch nach, daß Petersburg auch eine illustrirte Zeitung und
ein Witzblatt besitzt. Letzteres hatte freilich bis auf die letzten Jahre weit mehr
Aehnliche'eit mit dem gefesselten und geknebelten Pariser Charivari als mit dem
Londoner Punch oder unserem Kladderadatsch, doch ist nicht in Abrede zu stellen,
daß die Russen bedeutendes Talent zu komischen und satirischen Productionen
besitzen. Einen Beweis dafür lieferten die zahlreichen Carricaturen, die wäh¬
rend des letzten Krieges erschienen und namentlich England und seine Staats¬
männer und Generale, gelegentlich aber auch russische Feldherrn verspotteten,
bis endlich mit der Einnahme Scbastovols und der allgemeinen Erschöpfung
des Landes der Nation das spaßen verging.

So lange die Belagerung währte, waren die russischen Witzbolde ziemlich
fruchtbar, und ein paar Beispiele werden zeigen, daß sie auch recht glücklich in
ihren Scherzen waren. So zeigt eine der Carricaturen aus dem Anfang des
Krimfeldzugs eine große Wage, in deren einer Schale ein russischer Mujik in
seinem bunten Hemd, in die Stiefel gesteckten Hosen, schmalrandigem Hut und
mit einem gewaltigen Prügel steht, während sich in der andern französische Ge¬
nerale, englische Admiräle, sardinische und türkische Soldaten in Menge befin¬
den. Der Mujit wiegt schwerer als sie alle, und seine Schale hebt sich nicht
einen Zoll. In Nußland pflegt man den Gewichten die Gestalt von Kanonen¬
kugeln zu geben, an denen sich oben Griffe befinden, und der Künstler hat diese
Aehnlichkeit benutzt und die Alliirten dargestellt, wie sie immer neue Gewichte
oder neue Kanonenkugeln in die Wagschale werfen und doch den Mujik nicht
zum Steigen bringen können. So zeigt ferner ein anderes Bild, wie Admiral
Napier, nachdem er umsonst in jenem berühmten Tagesbefehl seinen Matrosen
geboten, ihre Entersäbel zu wetzen, und statt Sveaborg und Kronstäbe nur ein
paar Hundert Schifserboote genommen, in dem britischen Parlament mit einem
großen Fisch unterm Arm erscheint, der einzigen Beute seiner Expedition in
die Ostsee.

Nachdem die Russen an der Alma und bei Jnkerman geschlagen worden,
schrieb die öffentliche Meinung in Petersburg dies dem Ungeschick der Generale
zu, und es gab verschiedene Carricaturen, welche diese Ansicht darstellten. Eine
von denselben zeigt die Heerführer der Alliirten zum Kriegsrath versammelt.
Es ist soeben eine Sendung Miniv-Büchsen eingetroffen, und dieselben sollen
an die Truppen vertheilt werden. Man berathet, was für specielle Anweisungen
man den Soldaten in Betreff ihres Gebrauchs ertheilen soll. Sollen sie auf
die feindlichen Colonnen im Allgemeinen feuern, die Stabsoffiziere wegschießen
oder auf die Generale zielen? "Um des Himmels willen nur den Generalen
keinen Schaden thun!" ruft einer der Alliirten, welcher die (angebliche) Unfä-


selbst ein Buch wie Carlyle's „Französische Revolution", dem sicher Niemand
leicht in Nußland zu begegnen erwarten wird.

Wir tragen noch nach, daß Petersburg auch eine illustrirte Zeitung und
ein Witzblatt besitzt. Letzteres hatte freilich bis auf die letzten Jahre weit mehr
Aehnliche'eit mit dem gefesselten und geknebelten Pariser Charivari als mit dem
Londoner Punch oder unserem Kladderadatsch, doch ist nicht in Abrede zu stellen,
daß die Russen bedeutendes Talent zu komischen und satirischen Productionen
besitzen. Einen Beweis dafür lieferten die zahlreichen Carricaturen, die wäh¬
rend des letzten Krieges erschienen und namentlich England und seine Staats¬
männer und Generale, gelegentlich aber auch russische Feldherrn verspotteten,
bis endlich mit der Einnahme Scbastovols und der allgemeinen Erschöpfung
des Landes der Nation das spaßen verging.

So lange die Belagerung währte, waren die russischen Witzbolde ziemlich
fruchtbar, und ein paar Beispiele werden zeigen, daß sie auch recht glücklich in
ihren Scherzen waren. So zeigt eine der Carricaturen aus dem Anfang des
Krimfeldzugs eine große Wage, in deren einer Schale ein russischer Mujik in
seinem bunten Hemd, in die Stiefel gesteckten Hosen, schmalrandigem Hut und
mit einem gewaltigen Prügel steht, während sich in der andern französische Ge¬
nerale, englische Admiräle, sardinische und türkische Soldaten in Menge befin¬
den. Der Mujit wiegt schwerer als sie alle, und seine Schale hebt sich nicht
einen Zoll. In Nußland pflegt man den Gewichten die Gestalt von Kanonen¬
kugeln zu geben, an denen sich oben Griffe befinden, und der Künstler hat diese
Aehnlichkeit benutzt und die Alliirten dargestellt, wie sie immer neue Gewichte
oder neue Kanonenkugeln in die Wagschale werfen und doch den Mujik nicht
zum Steigen bringen können. So zeigt ferner ein anderes Bild, wie Admiral
Napier, nachdem er umsonst in jenem berühmten Tagesbefehl seinen Matrosen
geboten, ihre Entersäbel zu wetzen, und statt Sveaborg und Kronstäbe nur ein
paar Hundert Schifserboote genommen, in dem britischen Parlament mit einem
großen Fisch unterm Arm erscheint, der einzigen Beute seiner Expedition in
die Ostsee.

Nachdem die Russen an der Alma und bei Jnkerman geschlagen worden,
schrieb die öffentliche Meinung in Petersburg dies dem Ungeschick der Generale
zu, und es gab verschiedene Carricaturen, welche diese Ansicht darstellten. Eine
von denselben zeigt die Heerführer der Alliirten zum Kriegsrath versammelt.
Es ist soeben eine Sendung Miniv-Büchsen eingetroffen, und dieselben sollen
an die Truppen vertheilt werden. Man berathet, was für specielle Anweisungen
man den Soldaten in Betreff ihres Gebrauchs ertheilen soll. Sollen sie auf
die feindlichen Colonnen im Allgemeinen feuern, die Stabsoffiziere wegschießen
oder auf die Generale zielen? „Um des Himmels willen nur den Generalen
keinen Schaden thun!" ruft einer der Alliirten, welcher die (angebliche) Unfä-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0352" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/114132"/>
          <p xml:id="ID_1122" prev="#ID_1121"> selbst ein Buch wie Carlyle's &#x201E;Französische Revolution", dem sicher Niemand<lb/>
leicht in Nußland zu begegnen erwarten wird.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1123"> Wir tragen noch nach, daß Petersburg auch eine illustrirte Zeitung und<lb/>
ein Witzblatt besitzt. Letzteres hatte freilich bis auf die letzten Jahre weit mehr<lb/>
Aehnliche'eit mit dem gefesselten und geknebelten Pariser Charivari als mit dem<lb/>
Londoner Punch oder unserem Kladderadatsch, doch ist nicht in Abrede zu stellen,<lb/>
daß die Russen bedeutendes Talent zu komischen und satirischen Productionen<lb/>
besitzen. Einen Beweis dafür lieferten die zahlreichen Carricaturen, die wäh¬<lb/>
rend des letzten Krieges erschienen und namentlich England und seine Staats¬<lb/>
männer und Generale, gelegentlich aber auch russische Feldherrn verspotteten,<lb/>
bis endlich mit der Einnahme Scbastovols und der allgemeinen Erschöpfung<lb/>
des Landes der Nation das spaßen verging.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1124"> So lange die Belagerung währte, waren die russischen Witzbolde ziemlich<lb/>
fruchtbar, und ein paar Beispiele werden zeigen, daß sie auch recht glücklich in<lb/>
ihren Scherzen waren. So zeigt eine der Carricaturen aus dem Anfang des<lb/>
Krimfeldzugs eine große Wage, in deren einer Schale ein russischer Mujik in<lb/>
seinem bunten Hemd, in die Stiefel gesteckten Hosen, schmalrandigem Hut und<lb/>
mit einem gewaltigen Prügel steht, während sich in der andern französische Ge¬<lb/>
nerale, englische Admiräle, sardinische und türkische Soldaten in Menge befin¬<lb/>
den. Der Mujit wiegt schwerer als sie alle, und seine Schale hebt sich nicht<lb/>
einen Zoll. In Nußland pflegt man den Gewichten die Gestalt von Kanonen¬<lb/>
kugeln zu geben, an denen sich oben Griffe befinden, und der Künstler hat diese<lb/>
Aehnlichkeit benutzt und die Alliirten dargestellt, wie sie immer neue Gewichte<lb/>
oder neue Kanonenkugeln in die Wagschale werfen und doch den Mujik nicht<lb/>
zum Steigen bringen können. So zeigt ferner ein anderes Bild, wie Admiral<lb/>
Napier, nachdem er umsonst in jenem berühmten Tagesbefehl seinen Matrosen<lb/>
geboten, ihre Entersäbel zu wetzen, und statt Sveaborg und Kronstäbe nur ein<lb/>
paar Hundert Schifserboote genommen, in dem britischen Parlament mit einem<lb/>
großen Fisch unterm Arm erscheint, der einzigen Beute seiner Expedition in<lb/>
die Ostsee.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1125" next="#ID_1126"> Nachdem die Russen an der Alma und bei Jnkerman geschlagen worden,<lb/>
schrieb die öffentliche Meinung in Petersburg dies dem Ungeschick der Generale<lb/>
zu, und es gab verschiedene Carricaturen, welche diese Ansicht darstellten. Eine<lb/>
von denselben zeigt die Heerführer der Alliirten zum Kriegsrath versammelt.<lb/>
Es ist soeben eine Sendung Miniv-Büchsen eingetroffen, und dieselben sollen<lb/>
an die Truppen vertheilt werden. Man berathet, was für specielle Anweisungen<lb/>
man den Soldaten in Betreff ihres Gebrauchs ertheilen soll. Sollen sie auf<lb/>
die feindlichen Colonnen im Allgemeinen feuern, die Stabsoffiziere wegschießen<lb/>
oder auf die Generale zielen? &#x201E;Um des Himmels willen nur den Generalen<lb/>
keinen Schaden thun!" ruft einer der Alliirten, welcher die (angebliche) Unfä-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0352] selbst ein Buch wie Carlyle's „Französische Revolution", dem sicher Niemand leicht in Nußland zu begegnen erwarten wird. Wir tragen noch nach, daß Petersburg auch eine illustrirte Zeitung und ein Witzblatt besitzt. Letzteres hatte freilich bis auf die letzten Jahre weit mehr Aehnliche'eit mit dem gefesselten und geknebelten Pariser Charivari als mit dem Londoner Punch oder unserem Kladderadatsch, doch ist nicht in Abrede zu stellen, daß die Russen bedeutendes Talent zu komischen und satirischen Productionen besitzen. Einen Beweis dafür lieferten die zahlreichen Carricaturen, die wäh¬ rend des letzten Krieges erschienen und namentlich England und seine Staats¬ männer und Generale, gelegentlich aber auch russische Feldherrn verspotteten, bis endlich mit der Einnahme Scbastovols und der allgemeinen Erschöpfung des Landes der Nation das spaßen verging. So lange die Belagerung währte, waren die russischen Witzbolde ziemlich fruchtbar, und ein paar Beispiele werden zeigen, daß sie auch recht glücklich in ihren Scherzen waren. So zeigt eine der Carricaturen aus dem Anfang des Krimfeldzugs eine große Wage, in deren einer Schale ein russischer Mujik in seinem bunten Hemd, in die Stiefel gesteckten Hosen, schmalrandigem Hut und mit einem gewaltigen Prügel steht, während sich in der andern französische Ge¬ nerale, englische Admiräle, sardinische und türkische Soldaten in Menge befin¬ den. Der Mujit wiegt schwerer als sie alle, und seine Schale hebt sich nicht einen Zoll. In Nußland pflegt man den Gewichten die Gestalt von Kanonen¬ kugeln zu geben, an denen sich oben Griffe befinden, und der Künstler hat diese Aehnlichkeit benutzt und die Alliirten dargestellt, wie sie immer neue Gewichte oder neue Kanonenkugeln in die Wagschale werfen und doch den Mujik nicht zum Steigen bringen können. So zeigt ferner ein anderes Bild, wie Admiral Napier, nachdem er umsonst in jenem berühmten Tagesbefehl seinen Matrosen geboten, ihre Entersäbel zu wetzen, und statt Sveaborg und Kronstäbe nur ein paar Hundert Schifserboote genommen, in dem britischen Parlament mit einem großen Fisch unterm Arm erscheint, der einzigen Beute seiner Expedition in die Ostsee. Nachdem die Russen an der Alma und bei Jnkerman geschlagen worden, schrieb die öffentliche Meinung in Petersburg dies dem Ungeschick der Generale zu, und es gab verschiedene Carricaturen, welche diese Ansicht darstellten. Eine von denselben zeigt die Heerführer der Alliirten zum Kriegsrath versammelt. Es ist soeben eine Sendung Miniv-Büchsen eingetroffen, und dieselben sollen an die Truppen vertheilt werden. Man berathet, was für specielle Anweisungen man den Soldaten in Betreff ihres Gebrauchs ertheilen soll. Sollen sie auf die feindlichen Colonnen im Allgemeinen feuern, die Stabsoffiziere wegschießen oder auf die Generale zielen? „Um des Himmels willen nur den Generalen keinen Schaden thun!" ruft einer der Alliirten, welcher die (angebliche) Unfä-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113779
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113779/352
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113779/352>, abgerufen am 08.01.2025.