Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

den Traditionen des Landes noch heute als "der grüne Graf" rühmlich ge¬
priesen wird. Er feierte seine Siege über Piemontesen und Lombarden durch
ein glänzendes Turnier in Chambery, bei welchem er sammt Pferd und Ge¬
folge in völlig grüner Tracht erschien. Er stiftete den Orden der Liebes-Seen,
der 50 Jahre später von Amadeus dem Achten zum Orden der Verkündigung
umgemodelt wurde, und als solcher noch heute besteht. Seine Regierung war
eine ununterbrochene Reihe von Feldzügen und Siegern gegen die Dauphins,
gegen Piemont, gegen tue Visconti in Mailand, gegen Griechenland, wo er
Johannes Paläologus wieder auf den Thron setzte; auf einer Expedition gegen
Sicilien starb er an der Pest, in der Nähe von Bitonto in der Terra ti Bari.
-- Sein Enkel Amadeus der Achte trägt zuerst den Titel Herzog, den er vom
Kaiser Sigismund im Jahre 1416 erhielt. Durch seine Vermählung mit einer
Tochter des Herzogs von Burgund berufen thätigen Antheil an den innern
Kämpfen Frankreichs zu nehmen, zeigte er sich überall als würdiger Erbe seiner
Ahnen; aber das Mißgeschick war an seine Ferse geheftet und traf ihn so¬
wohl in seinem öffentlichen als in seinem häuslichen Leben. Zerfallen mit der
Welt, ließ er an einer der schönsten Stellen des Genfer See's, in der Nähe von
Thonvn, die Eremitage la Ripaille erbauen und zog sich dorthin zurück, in Beglei¬
tung von sechs Rittern, die seine Gesellschaft und seinen Rath bildeten. Hier
verlebte er fünf Jahre in einer eigenthümlichen Clausur, unter Befolgung streng
geregelter Vorschriften. Die ritterlichen Eremiten trugen ein graues Kleid, mit
goldnem Kreuz und goldnem Gürtel, eine rothe Mütze deckte das Haupt. Zwei
Tage jeder Woche waren den Religions-Uebungen gewidmet, fünf Tage den
Geschäften des Staats. Man rühmt die Weisheit, mit welcher der Herzog
von Ripaille aus regierte, während sein Sohn Ludwig als Generalstatthalter
seiner Staaten eingesetzt worden.

Er war der erste Fürst Savoyens, der ein Gesetzbuch publicirte. Um so
auffallender muß es erscheinen, daß im Lause der Zeit das Wort Ripaille einen
andern, geradezu entgegengesetzten -Sinn bekommen hat; jetzt bezeichnet man
damit eine Schmauserei und tÄrcz Aix-rillo heißt ?in lustiges Leben führen,
was mit den Ueberlieferungen der alten Chroniken gar nicht zusammen passen
will. Und die Glaubwürdigkeit dieser letztern findet ihre Bestätigung in den
Ereignissen der folgenden Jahre. Damals tagte das Baseler Concil, wel¬
ches gegen die päpstliche Oberherrschaft und° Verwaltung mit Nachdruck auf¬
trat und sogar im Jahre 1439 zur förmlichen Absetzung des Papstes Eugen
des Vierten schritt. Dasselbe Concil bot nun dem Herzog Amadeus die Tiara
an. Dieser läßt sich verlocken, abdicirt zu Gunsten seines Sohnes Ludwig
und wird als Papst Felix der Fünfte geweiht. Eugen der Vierte protestirt,
appellirt an das schon früher von ihm zusammenberufcne Concil von Ferrara,
und die Kirche theilt sich in zwei Parteien. Für unsern Amadeus-Felix nahm


den Traditionen des Landes noch heute als „der grüne Graf" rühmlich ge¬
priesen wird. Er feierte seine Siege über Piemontesen und Lombarden durch
ein glänzendes Turnier in Chambery, bei welchem er sammt Pferd und Ge¬
folge in völlig grüner Tracht erschien. Er stiftete den Orden der Liebes-Seen,
der 50 Jahre später von Amadeus dem Achten zum Orden der Verkündigung
umgemodelt wurde, und als solcher noch heute besteht. Seine Regierung war
eine ununterbrochene Reihe von Feldzügen und Siegern gegen die Dauphins,
gegen Piemont, gegen tue Visconti in Mailand, gegen Griechenland, wo er
Johannes Paläologus wieder auf den Thron setzte; auf einer Expedition gegen
Sicilien starb er an der Pest, in der Nähe von Bitonto in der Terra ti Bari.
— Sein Enkel Amadeus der Achte trägt zuerst den Titel Herzog, den er vom
Kaiser Sigismund im Jahre 1416 erhielt. Durch seine Vermählung mit einer
Tochter des Herzogs von Burgund berufen thätigen Antheil an den innern
Kämpfen Frankreichs zu nehmen, zeigte er sich überall als würdiger Erbe seiner
Ahnen; aber das Mißgeschick war an seine Ferse geheftet und traf ihn so¬
wohl in seinem öffentlichen als in seinem häuslichen Leben. Zerfallen mit der
Welt, ließ er an einer der schönsten Stellen des Genfer See's, in der Nähe von
Thonvn, die Eremitage la Ripaille erbauen und zog sich dorthin zurück, in Beglei¬
tung von sechs Rittern, die seine Gesellschaft und seinen Rath bildeten. Hier
verlebte er fünf Jahre in einer eigenthümlichen Clausur, unter Befolgung streng
geregelter Vorschriften. Die ritterlichen Eremiten trugen ein graues Kleid, mit
goldnem Kreuz und goldnem Gürtel, eine rothe Mütze deckte das Haupt. Zwei
Tage jeder Woche waren den Religions-Uebungen gewidmet, fünf Tage den
Geschäften des Staats. Man rühmt die Weisheit, mit welcher der Herzog
von Ripaille aus regierte, während sein Sohn Ludwig als Generalstatthalter
seiner Staaten eingesetzt worden.

Er war der erste Fürst Savoyens, der ein Gesetzbuch publicirte. Um so
auffallender muß es erscheinen, daß im Lause der Zeit das Wort Ripaille einen
andern, geradezu entgegengesetzten -Sinn bekommen hat; jetzt bezeichnet man
damit eine Schmauserei und tÄrcz Aix-rillo heißt ?in lustiges Leben führen,
was mit den Ueberlieferungen der alten Chroniken gar nicht zusammen passen
will. Und die Glaubwürdigkeit dieser letztern findet ihre Bestätigung in den
Ereignissen der folgenden Jahre. Damals tagte das Baseler Concil, wel¬
ches gegen die päpstliche Oberherrschaft und° Verwaltung mit Nachdruck auf¬
trat und sogar im Jahre 1439 zur förmlichen Absetzung des Papstes Eugen
des Vierten schritt. Dasselbe Concil bot nun dem Herzog Amadeus die Tiara
an. Dieser läßt sich verlocken, abdicirt zu Gunsten seines Sohnes Ludwig
und wird als Papst Felix der Fünfte geweiht. Eugen der Vierte protestirt,
appellirt an das schon früher von ihm zusammenberufcne Concil von Ferrara,
und die Kirche theilt sich in zwei Parteien. Für unsern Amadeus-Felix nahm


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0250" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/114030"/>
          <p xml:id="ID_726" prev="#ID_725"> den Traditionen des Landes noch heute als &#x201E;der grüne Graf" rühmlich ge¬<lb/>
priesen wird. Er feierte seine Siege über Piemontesen und Lombarden durch<lb/>
ein glänzendes Turnier in Chambery, bei welchem er sammt Pferd und Ge¬<lb/>
folge in völlig grüner Tracht erschien. Er stiftete den Orden der Liebes-Seen,<lb/>
der 50 Jahre später von Amadeus dem Achten zum Orden der Verkündigung<lb/>
umgemodelt wurde, und als solcher noch heute besteht. Seine Regierung war<lb/>
eine ununterbrochene Reihe von Feldzügen und Siegern gegen die Dauphins,<lb/>
gegen Piemont, gegen tue Visconti in Mailand, gegen Griechenland, wo er<lb/>
Johannes Paläologus wieder auf den Thron setzte; auf einer Expedition gegen<lb/>
Sicilien starb er an der Pest, in der Nähe von Bitonto in der Terra ti Bari.<lb/>
&#x2014; Sein Enkel Amadeus der Achte trägt zuerst den Titel Herzog, den er vom<lb/>
Kaiser Sigismund im Jahre 1416 erhielt. Durch seine Vermählung mit einer<lb/>
Tochter des Herzogs von Burgund berufen thätigen Antheil an den innern<lb/>
Kämpfen Frankreichs zu nehmen, zeigte er sich überall als würdiger Erbe seiner<lb/>
Ahnen; aber das Mißgeschick war an seine Ferse geheftet und traf ihn so¬<lb/>
wohl in seinem öffentlichen als in seinem häuslichen Leben. Zerfallen mit der<lb/>
Welt, ließ er an einer der schönsten Stellen des Genfer See's, in der Nähe von<lb/>
Thonvn, die Eremitage la Ripaille erbauen und zog sich dorthin zurück, in Beglei¬<lb/>
tung von sechs Rittern, die seine Gesellschaft und seinen Rath bildeten. Hier<lb/>
verlebte er fünf Jahre in einer eigenthümlichen Clausur, unter Befolgung streng<lb/>
geregelter Vorschriften. Die ritterlichen Eremiten trugen ein graues Kleid, mit<lb/>
goldnem Kreuz und goldnem Gürtel, eine rothe Mütze deckte das Haupt. Zwei<lb/>
Tage jeder Woche waren den Religions-Uebungen gewidmet, fünf Tage den<lb/>
Geschäften des Staats. Man rühmt die Weisheit, mit welcher der Herzog<lb/>
von Ripaille aus regierte, während sein Sohn Ludwig als Generalstatthalter<lb/>
seiner Staaten eingesetzt worden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_727" next="#ID_728"> Er war der erste Fürst Savoyens, der ein Gesetzbuch publicirte. Um so<lb/>
auffallender muß es erscheinen, daß im Lause der Zeit das Wort Ripaille einen<lb/>
andern, geradezu entgegengesetzten -Sinn bekommen hat; jetzt bezeichnet man<lb/>
damit eine Schmauserei und tÄrcz Aix-rillo heißt ?in lustiges Leben führen,<lb/>
was mit den Ueberlieferungen der alten Chroniken gar nicht zusammen passen<lb/>
will. Und die Glaubwürdigkeit dieser letztern findet ihre Bestätigung in den<lb/>
Ereignissen der folgenden Jahre. Damals tagte das Baseler Concil, wel¬<lb/>
ches gegen die päpstliche Oberherrschaft und° Verwaltung mit Nachdruck auf¬<lb/>
trat und sogar im Jahre 1439 zur förmlichen Absetzung des Papstes Eugen<lb/>
des Vierten schritt. Dasselbe Concil bot nun dem Herzog Amadeus die Tiara<lb/>
an. Dieser läßt sich verlocken, abdicirt zu Gunsten seines Sohnes Ludwig<lb/>
und wird als Papst Felix der Fünfte geweiht. Eugen der Vierte protestirt,<lb/>
appellirt an das schon früher von ihm zusammenberufcne Concil von Ferrara,<lb/>
und die Kirche theilt sich in zwei Parteien. Für unsern Amadeus-Felix nahm</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0250] den Traditionen des Landes noch heute als „der grüne Graf" rühmlich ge¬ priesen wird. Er feierte seine Siege über Piemontesen und Lombarden durch ein glänzendes Turnier in Chambery, bei welchem er sammt Pferd und Ge¬ folge in völlig grüner Tracht erschien. Er stiftete den Orden der Liebes-Seen, der 50 Jahre später von Amadeus dem Achten zum Orden der Verkündigung umgemodelt wurde, und als solcher noch heute besteht. Seine Regierung war eine ununterbrochene Reihe von Feldzügen und Siegern gegen die Dauphins, gegen Piemont, gegen tue Visconti in Mailand, gegen Griechenland, wo er Johannes Paläologus wieder auf den Thron setzte; auf einer Expedition gegen Sicilien starb er an der Pest, in der Nähe von Bitonto in der Terra ti Bari. — Sein Enkel Amadeus der Achte trägt zuerst den Titel Herzog, den er vom Kaiser Sigismund im Jahre 1416 erhielt. Durch seine Vermählung mit einer Tochter des Herzogs von Burgund berufen thätigen Antheil an den innern Kämpfen Frankreichs zu nehmen, zeigte er sich überall als würdiger Erbe seiner Ahnen; aber das Mißgeschick war an seine Ferse geheftet und traf ihn so¬ wohl in seinem öffentlichen als in seinem häuslichen Leben. Zerfallen mit der Welt, ließ er an einer der schönsten Stellen des Genfer See's, in der Nähe von Thonvn, die Eremitage la Ripaille erbauen und zog sich dorthin zurück, in Beglei¬ tung von sechs Rittern, die seine Gesellschaft und seinen Rath bildeten. Hier verlebte er fünf Jahre in einer eigenthümlichen Clausur, unter Befolgung streng geregelter Vorschriften. Die ritterlichen Eremiten trugen ein graues Kleid, mit goldnem Kreuz und goldnem Gürtel, eine rothe Mütze deckte das Haupt. Zwei Tage jeder Woche waren den Religions-Uebungen gewidmet, fünf Tage den Geschäften des Staats. Man rühmt die Weisheit, mit welcher der Herzog von Ripaille aus regierte, während sein Sohn Ludwig als Generalstatthalter seiner Staaten eingesetzt worden. Er war der erste Fürst Savoyens, der ein Gesetzbuch publicirte. Um so auffallender muß es erscheinen, daß im Lause der Zeit das Wort Ripaille einen andern, geradezu entgegengesetzten -Sinn bekommen hat; jetzt bezeichnet man damit eine Schmauserei und tÄrcz Aix-rillo heißt ?in lustiges Leben führen, was mit den Ueberlieferungen der alten Chroniken gar nicht zusammen passen will. Und die Glaubwürdigkeit dieser letztern findet ihre Bestätigung in den Ereignissen der folgenden Jahre. Damals tagte das Baseler Concil, wel¬ ches gegen die päpstliche Oberherrschaft und° Verwaltung mit Nachdruck auf¬ trat und sogar im Jahre 1439 zur förmlichen Absetzung des Papstes Eugen des Vierten schritt. Dasselbe Concil bot nun dem Herzog Amadeus die Tiara an. Dieser läßt sich verlocken, abdicirt zu Gunsten seines Sohnes Ludwig und wird als Papst Felix der Fünfte geweiht. Eugen der Vierte protestirt, appellirt an das schon früher von ihm zusammenberufcne Concil von Ferrara, und die Kirche theilt sich in zwei Parteien. Für unsern Amadeus-Felix nahm

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113779
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113779/250
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113779/250>, abgerufen am 06.01.2025.