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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band.

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Block gelegt zu werden, und von noch schlimmerer Art war ein Holz, das fünf
Löcher für Hals, Hände und Füße hatte. Den Dieben und Läuflingen wurde
ein Zeichen auf die Stirn gebrannt, was natürlich die Inhaber später auf jede
Weise zu verbergen trachteten. Daher heißt es bei Diophilus von einem be-
trüglichen Fischhändler- "Er ließ sein Haar wachsen, als wäre es einer Gott¬
heit geweiht; dies war aber nicht der wahre Grund, sondern als Gebrannt-
markter trug er dasselbe als Vorhang der Stirn." Wenn ferner auch bei Mi߬
handlungen, die sie von Fremden erfuhren, der Herr das Recht der Klage hatte,
so war es für sie doch schmachvoll, daß ihnen alle Gegenwehr und Selbsthilfe
verboten war. Platon sagt im Gorgias: "Es kommt dem Manne nicht zu,
Beleidigungen zu erdulden, sondern nur dem Sklaven, für welchen der Tod
Wünschenswerther ist, als das Leben, weil er weder sich gegen Mißhandlungen
und Beleidigungen wehren kann, noch irgend einen Anderen dagegen schützen."
Noch weiter und am schimpflichsten wird ihre Rechtsunfähigkcit bezeugt durch
die Ungiltigkeit aller ihrer Aussagen vor Gericht, die nicht durch die Folter er¬
zwungen waren. Ja man legte diesen durch körperliche Qualen erpreßten
Sklavenaussagen eine größere processualische Beweiskraft bei, als den Zeug¬
nissen und Eiden freier Leute. Geradezu spricht dies der Redner Jsäus in den
Worten aus: "Wenn Sklaven und Freie vor Gericht stehen und es soll etwas
bei der Untersuchung herauskommen, so bedient Ihr euch nicht der Zeugnisse
der Freien, sondern foltert die Sklaven und sucht so den wirklichen Thatbestand
zu ergründen." Behauptet doch sogar Demosthenes irgendwo, daß gefolterte
Sklaven noch niemals einer unwahren Aussage überführt worden wären! Daß
für die Freien etwas sehr Herabwürdigendes in dieser Ansicht lag, scheint man
sonach gar nicht gefühlt zu haben. Die Verschiedenheit der Behandlung wirkte
natürlich auf die Sinnesart der Sklaven zurück, und daß erstere sehr verschie¬
den war. sieht man z. B. aus Platons Beschreibung: "Einige schenken dem
Sklavengeschlechte gar kein Vertrauen und bemühen sich, die Seelen der Leib¬
eignen durch Peitschen und Kunden der Natur der Thiere gemäß zu sklavischen
umzubilden. Andere thun von diesem Allen das Gegentheil." Die Folgen der
Behandlung schildert auch Xenophon, wenn er schreibt: Wenn ich dir nun zeige,
daß hier die Sklaven alle gefesselt sind und dennoch häufig entlaufen, dort aber
alle ledig und freiwillig arbeiten und bleiben: scheint dir dies nicht hinsichtlich
der Verwaltung des Hauswesens beachtungswerth zu sein? Aber wenn wir auch
annehmen müssen, daß Onkel Thoas Hütte bereits unter dem sonnigen Him¬
mel von Hellas gestanden hat, so gilt doch das von Seneca erwähnte Sprich¬
wort: "Soviel Sklaven, soviel Feinde", weniger von den Griechen, und selbst
Aristoteles mußte eingestehen, daß sich die Natur oft vergreife und den Skla¬
ven die edlere Natur der Freien schenke.

Freilassungen kamen in Griechenland nicht selten vor, am häusigsten durch


Block gelegt zu werden, und von noch schlimmerer Art war ein Holz, das fünf
Löcher für Hals, Hände und Füße hatte. Den Dieben und Läuflingen wurde
ein Zeichen auf die Stirn gebrannt, was natürlich die Inhaber später auf jede
Weise zu verbergen trachteten. Daher heißt es bei Diophilus von einem be-
trüglichen Fischhändler- „Er ließ sein Haar wachsen, als wäre es einer Gott¬
heit geweiht; dies war aber nicht der wahre Grund, sondern als Gebrannt-
markter trug er dasselbe als Vorhang der Stirn." Wenn ferner auch bei Mi߬
handlungen, die sie von Fremden erfuhren, der Herr das Recht der Klage hatte,
so war es für sie doch schmachvoll, daß ihnen alle Gegenwehr und Selbsthilfe
verboten war. Platon sagt im Gorgias: „Es kommt dem Manne nicht zu,
Beleidigungen zu erdulden, sondern nur dem Sklaven, für welchen der Tod
Wünschenswerther ist, als das Leben, weil er weder sich gegen Mißhandlungen
und Beleidigungen wehren kann, noch irgend einen Anderen dagegen schützen."
Noch weiter und am schimpflichsten wird ihre Rechtsunfähigkcit bezeugt durch
die Ungiltigkeit aller ihrer Aussagen vor Gericht, die nicht durch die Folter er¬
zwungen waren. Ja man legte diesen durch körperliche Qualen erpreßten
Sklavenaussagen eine größere processualische Beweiskraft bei, als den Zeug¬
nissen und Eiden freier Leute. Geradezu spricht dies der Redner Jsäus in den
Worten aus: „Wenn Sklaven und Freie vor Gericht stehen und es soll etwas
bei der Untersuchung herauskommen, so bedient Ihr euch nicht der Zeugnisse
der Freien, sondern foltert die Sklaven und sucht so den wirklichen Thatbestand
zu ergründen." Behauptet doch sogar Demosthenes irgendwo, daß gefolterte
Sklaven noch niemals einer unwahren Aussage überführt worden wären! Daß
für die Freien etwas sehr Herabwürdigendes in dieser Ansicht lag, scheint man
sonach gar nicht gefühlt zu haben. Die Verschiedenheit der Behandlung wirkte
natürlich auf die Sinnesart der Sklaven zurück, und daß erstere sehr verschie¬
den war. sieht man z. B. aus Platons Beschreibung: „Einige schenken dem
Sklavengeschlechte gar kein Vertrauen und bemühen sich, die Seelen der Leib¬
eignen durch Peitschen und Kunden der Natur der Thiere gemäß zu sklavischen
umzubilden. Andere thun von diesem Allen das Gegentheil." Die Folgen der
Behandlung schildert auch Xenophon, wenn er schreibt: Wenn ich dir nun zeige,
daß hier die Sklaven alle gefesselt sind und dennoch häufig entlaufen, dort aber
alle ledig und freiwillig arbeiten und bleiben: scheint dir dies nicht hinsichtlich
der Verwaltung des Hauswesens beachtungswerth zu sein? Aber wenn wir auch
annehmen müssen, daß Onkel Thoas Hütte bereits unter dem sonnigen Him¬
mel von Hellas gestanden hat, so gilt doch das von Seneca erwähnte Sprich¬
wort: „Soviel Sklaven, soviel Feinde", weniger von den Griechen, und selbst
Aristoteles mußte eingestehen, daß sich die Natur oft vergreife und den Skla¬
ven die edlere Natur der Freien schenke.

Freilassungen kamen in Griechenland nicht selten vor, am häusigsten durch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113779/22>, abgerufen am 06.01.2025.