Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Springfield. Siegel kam mit zwei Mann in der Nacht dahin. Er retirirte
nämlich immer zu und kam zuletzt an eine Mühle. Die Texas- und Arkansas-
Rangers, die besonders auf ihn Jagd machten, waren schon auf Schußweite
herangekommen und feuerten gegen 30 Schüsse auf ihn und seine Umgebung
ab. Viele stürzten, unter anderen ein Bekannter von mir von sieben Kugeln
durchbohrt. Da zog Siegel in aller Gemüthsruhe eine Cigarre und ein Schwe-
felholz aus der Tasche, zündete jene an und sagte dann zu seinen Leuten: sie
möchten sich ergeben, damit er ungehinderter entfliehen könne, er würde sie spä¬
ter nicht verlassen. 'Dann setzte er mit seinem trefflichen Pferde über eine min¬
destens 8 Fuß hohe Fenz und entkam so, wie durch ein Wunder. Das Pferd
des Oberstlieutnant Albert, der folgen wollte, stürzte bei dem gewagten Sprunge
und er selbst wurde gefangen.

Siegel wurde bis zwei Meilen vor Springsield verfolgt. Abends kamen
die Cavallcristen. die ihm nachgesetzt waren zurück und sagten: den Siegel kön¬
nen wir niemals fangen. Wir Gefangenen blieben die Nacht über beim
Schlachtfelde liegen. Der Geruch war hier furchtbar. Denkt Euch eine Hitze
von 140 Fahrenheit, und ihr werdet begreifen, wenn binnen einer halben
Stunde Alles in Verwesung überging. Die Leichen der Menschen und Thiere
waren durch die Gluth ganz aufgelöst. Die Aasgeier machten sich gierig und
haufenweise zu dieser Beute. Die Schwerblessirten, die man auf dem Schlacht¬
felde zurückließ, hatten am meisten zu leiden und mußten eben durch Blut¬
verlust, Durst und Hunger elend umkommen. Einer meiner Bekannten bekam
einen Schuß in den Arm und wurde gefangen; im Verlauf einer Stunde wim¬
melte die Wunde von Würmern. Der Anblick Schwerverwundeter auf dein
Schlachtfeld ist gräßlich; besonders Einer machte mir das Blut in den Adern >
gerinnen. Er war über und über in Blut gebadet: seine ganze untere Kinn¬
lade vom Munde an hatte eine Kanonenkugel weggerissen. Er hob flehend die
Hände gegen mich auf und versuchte, freilich vergebens, zu sprechen. So mußte
ich ihn verlassen. .

Bei Carthago hatten die Feinde gegen 900 Tode und Verwundete, wir
40; in dieser Schlacht bei Wilsons Creek hatten jene gegen 5000 Todte
und 2300 Verwundete.*) Freilich sind unsere Verluste auch bedeutend;
bei einer einzigen Compagnie waren 7 Todte und 4 Verwundete. Einer un¬
serer tapfersten Offiziere sagte nach der >Schlacht zu mir: "Ich habe während
des Kampfes gebetet und glaubte nicht, daß ein einziger Mann von uns da¬
von kommen würde."



") Die Zahlen sind hier offenbar viel zu hoch gegriffen, Der Schreiber dieses schrieb bald
nach jenem Ereigniß, also ehe noch dje beiderseitigen Verluste consentire waren, so. wie
er es gehört, und da bei solchen Gelegenheiten die Amerikaner den Mund etwas voll nehmen,
so ist Obiges um so leichter erklärlich.

Springfield. Siegel kam mit zwei Mann in der Nacht dahin. Er retirirte
nämlich immer zu und kam zuletzt an eine Mühle. Die Texas- und Arkansas-
Rangers, die besonders auf ihn Jagd machten, waren schon auf Schußweite
herangekommen und feuerten gegen 30 Schüsse auf ihn und seine Umgebung
ab. Viele stürzten, unter anderen ein Bekannter von mir von sieben Kugeln
durchbohrt. Da zog Siegel in aller Gemüthsruhe eine Cigarre und ein Schwe-
felholz aus der Tasche, zündete jene an und sagte dann zu seinen Leuten: sie
möchten sich ergeben, damit er ungehinderter entfliehen könne, er würde sie spä¬
ter nicht verlassen. 'Dann setzte er mit seinem trefflichen Pferde über eine min¬
destens 8 Fuß hohe Fenz und entkam so, wie durch ein Wunder. Das Pferd
des Oberstlieutnant Albert, der folgen wollte, stürzte bei dem gewagten Sprunge
und er selbst wurde gefangen.

Siegel wurde bis zwei Meilen vor Springsield verfolgt. Abends kamen
die Cavallcristen. die ihm nachgesetzt waren zurück und sagten: den Siegel kön¬
nen wir niemals fangen. Wir Gefangenen blieben die Nacht über beim
Schlachtfelde liegen. Der Geruch war hier furchtbar. Denkt Euch eine Hitze
von 140 Fahrenheit, und ihr werdet begreifen, wenn binnen einer halben
Stunde Alles in Verwesung überging. Die Leichen der Menschen und Thiere
waren durch die Gluth ganz aufgelöst. Die Aasgeier machten sich gierig und
haufenweise zu dieser Beute. Die Schwerblessirten, die man auf dem Schlacht¬
felde zurückließ, hatten am meisten zu leiden und mußten eben durch Blut¬
verlust, Durst und Hunger elend umkommen. Einer meiner Bekannten bekam
einen Schuß in den Arm und wurde gefangen; im Verlauf einer Stunde wim¬
melte die Wunde von Würmern. Der Anblick Schwerverwundeter auf dein
Schlachtfeld ist gräßlich; besonders Einer machte mir das Blut in den Adern >
gerinnen. Er war über und über in Blut gebadet: seine ganze untere Kinn¬
lade vom Munde an hatte eine Kanonenkugel weggerissen. Er hob flehend die
Hände gegen mich auf und versuchte, freilich vergebens, zu sprechen. So mußte
ich ihn verlassen. .

Bei Carthago hatten die Feinde gegen 900 Tode und Verwundete, wir
40; in dieser Schlacht bei Wilsons Creek hatten jene gegen 5000 Todte
und 2300 Verwundete.*) Freilich sind unsere Verluste auch bedeutend;
bei einer einzigen Compagnie waren 7 Todte und 4 Verwundete. Einer un¬
serer tapfersten Offiziere sagte nach der >Schlacht zu mir: „Ich habe während
des Kampfes gebetet und glaubte nicht, daß ein einziger Mann von uns da¬
von kommen würde."



") Die Zahlen sind hier offenbar viel zu hoch gegriffen, Der Schreiber dieses schrieb bald
nach jenem Ereigniß, also ehe noch dje beiderseitigen Verluste consentire waren, so. wie
er es gehört, und da bei solchen Gelegenheiten die Amerikaner den Mund etwas voll nehmen,
so ist Obiges um so leichter erklärlich.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0213" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/113993"/>
            <p xml:id="ID_609" prev="#ID_608"> Springfield. Siegel kam mit zwei Mann in der Nacht dahin. Er retirirte<lb/>
nämlich immer zu und kam zuletzt an eine Mühle. Die Texas- und Arkansas-<lb/>
Rangers, die besonders auf ihn Jagd machten, waren schon auf Schußweite<lb/>
herangekommen und feuerten gegen 30 Schüsse auf ihn und seine Umgebung<lb/>
ab. Viele stürzten, unter anderen ein Bekannter von mir von sieben Kugeln<lb/>
durchbohrt. Da zog Siegel in aller Gemüthsruhe eine Cigarre und ein Schwe-<lb/>
felholz aus der Tasche, zündete jene an und sagte dann zu seinen Leuten: sie<lb/>
möchten sich ergeben, damit er ungehinderter entfliehen könne, er würde sie spä¬<lb/>
ter nicht verlassen. 'Dann setzte er mit seinem trefflichen Pferde über eine min¬<lb/>
destens 8 Fuß hohe Fenz und entkam so, wie durch ein Wunder. Das Pferd<lb/>
des Oberstlieutnant Albert, der folgen wollte, stürzte bei dem gewagten Sprunge<lb/>
und er selbst wurde gefangen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_610"> Siegel wurde bis zwei Meilen vor Springsield verfolgt. Abends kamen<lb/>
die Cavallcristen. die ihm nachgesetzt waren zurück und sagten: den Siegel kön¬<lb/>
nen wir niemals fangen. Wir Gefangenen blieben die Nacht über beim<lb/>
Schlachtfelde liegen. Der Geruch war hier furchtbar. Denkt Euch eine Hitze<lb/>
von 140 Fahrenheit, und ihr werdet begreifen, wenn binnen einer halben<lb/>
Stunde Alles in Verwesung überging. Die Leichen der Menschen und Thiere<lb/>
waren durch die Gluth ganz aufgelöst. Die Aasgeier machten sich gierig und<lb/>
haufenweise zu dieser Beute. Die Schwerblessirten, die man auf dem Schlacht¬<lb/>
felde zurückließ, hatten am meisten zu leiden und mußten eben durch Blut¬<lb/>
verlust, Durst und Hunger elend umkommen. Einer meiner Bekannten bekam<lb/>
einen Schuß in den Arm und wurde gefangen; im Verlauf einer Stunde wim¬<lb/>
melte die Wunde von Würmern. Der Anblick Schwerverwundeter auf dein<lb/>
Schlachtfeld ist gräßlich; besonders Einer machte mir das Blut in den Adern &gt;<lb/>
gerinnen. Er war über und über in Blut gebadet: seine ganze untere Kinn¬<lb/>
lade vom Munde an hatte eine Kanonenkugel weggerissen. Er hob flehend die<lb/>
Hände gegen mich auf und versuchte, freilich vergebens, zu sprechen. So mußte<lb/>
ich ihn verlassen. .</p><lb/>
            <p xml:id="ID_611"> Bei Carthago hatten die Feinde gegen 900 Tode und Verwundete, wir<lb/>
40; in dieser Schlacht bei Wilsons Creek hatten jene gegen 5000 Todte<lb/>
und 2300 Verwundete.*) Freilich sind unsere Verluste auch bedeutend;<lb/>
bei einer einzigen Compagnie waren 7 Todte und 4 Verwundete. Einer un¬<lb/>
serer tapfersten Offiziere sagte nach der &gt;Schlacht zu mir: &#x201E;Ich habe während<lb/>
des Kampfes gebetet und glaubte nicht, daß ein einziger Mann von uns da¬<lb/>
von kommen würde."</p><lb/>
            <note xml:id="FID_16" place="foot"> ") Die Zahlen sind hier offenbar viel zu hoch gegriffen, Der Schreiber dieses schrieb bald<lb/>
nach jenem Ereigniß, also ehe noch dje beiderseitigen Verluste consentire waren, so. wie<lb/>
er es gehört, und da bei solchen Gelegenheiten die Amerikaner den Mund etwas voll nehmen,<lb/>
so ist Obiges um so leichter erklärlich.</note><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0213] Springfield. Siegel kam mit zwei Mann in der Nacht dahin. Er retirirte nämlich immer zu und kam zuletzt an eine Mühle. Die Texas- und Arkansas- Rangers, die besonders auf ihn Jagd machten, waren schon auf Schußweite herangekommen und feuerten gegen 30 Schüsse auf ihn und seine Umgebung ab. Viele stürzten, unter anderen ein Bekannter von mir von sieben Kugeln durchbohrt. Da zog Siegel in aller Gemüthsruhe eine Cigarre und ein Schwe- felholz aus der Tasche, zündete jene an und sagte dann zu seinen Leuten: sie möchten sich ergeben, damit er ungehinderter entfliehen könne, er würde sie spä¬ ter nicht verlassen. 'Dann setzte er mit seinem trefflichen Pferde über eine min¬ destens 8 Fuß hohe Fenz und entkam so, wie durch ein Wunder. Das Pferd des Oberstlieutnant Albert, der folgen wollte, stürzte bei dem gewagten Sprunge und er selbst wurde gefangen. Siegel wurde bis zwei Meilen vor Springsield verfolgt. Abends kamen die Cavallcristen. die ihm nachgesetzt waren zurück und sagten: den Siegel kön¬ nen wir niemals fangen. Wir Gefangenen blieben die Nacht über beim Schlachtfelde liegen. Der Geruch war hier furchtbar. Denkt Euch eine Hitze von 140 Fahrenheit, und ihr werdet begreifen, wenn binnen einer halben Stunde Alles in Verwesung überging. Die Leichen der Menschen und Thiere waren durch die Gluth ganz aufgelöst. Die Aasgeier machten sich gierig und haufenweise zu dieser Beute. Die Schwerblessirten, die man auf dem Schlacht¬ felde zurückließ, hatten am meisten zu leiden und mußten eben durch Blut¬ verlust, Durst und Hunger elend umkommen. Einer meiner Bekannten bekam einen Schuß in den Arm und wurde gefangen; im Verlauf einer Stunde wim¬ melte die Wunde von Würmern. Der Anblick Schwerverwundeter auf dein Schlachtfeld ist gräßlich; besonders Einer machte mir das Blut in den Adern > gerinnen. Er war über und über in Blut gebadet: seine ganze untere Kinn¬ lade vom Munde an hatte eine Kanonenkugel weggerissen. Er hob flehend die Hände gegen mich auf und versuchte, freilich vergebens, zu sprechen. So mußte ich ihn verlassen. . Bei Carthago hatten die Feinde gegen 900 Tode und Verwundete, wir 40; in dieser Schlacht bei Wilsons Creek hatten jene gegen 5000 Todte und 2300 Verwundete.*) Freilich sind unsere Verluste auch bedeutend; bei einer einzigen Compagnie waren 7 Todte und 4 Verwundete. Einer un¬ serer tapfersten Offiziere sagte nach der >Schlacht zu mir: „Ich habe während des Kampfes gebetet und glaubte nicht, daß ein einziger Mann von uns da¬ von kommen würde." ") Die Zahlen sind hier offenbar viel zu hoch gegriffen, Der Schreiber dieses schrieb bald nach jenem Ereigniß, also ehe noch dje beiderseitigen Verluste consentire waren, so. wie er es gehört, und da bei solchen Gelegenheiten die Amerikaner den Mund etwas voll nehmen, so ist Obiges um so leichter erklärlich.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113779
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113779/213
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113779/213>, abgerufen am 06.01.2025.