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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band.

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Vorfall, den wir zugleich als Probe für die Ansichten seines Biographen über
den Umgang mit Menschen von Herrn Gwinner selbst erzählen lassen. Eine
gekannte seiner Hauswirthin 1821 hatte die Gewohnheit, in seinem Vorzimmer
Kaffeebcsuche zu empfangen. "Diese Person warf er einst unsanft zur Thür
hinaus, wobei sie auf den rechten Arm siel und arbeitsunfähig geworden sein
wollte. Es kam zum Proceß, der für ihn ungünstig endete; dear er mußte die
Alte lebenslänglich alimentiren. Sie besaß leider (!) eine zähe Constitution:
selbst der Würgengel der Cholera rang vergebens mit ihr, und er trug die Last
über zwanzig Jahre, bis er endlich auf ihren Todtenschein schreiben konnte!
odit HM", Able onus".

Aus Italien wieder M'ückgetehrt, nahm Schopenhauer 1825 einen aber¬
maligen Anlauf, sich in Berlin einen philosophischen Lehrstuhl zu gewinnen,
aber zu seinem Eolleg meldete sich nur "jene bekannte akademische Demimonde,
welche mit Professoren speist und aus Langeweile, Courtoisie oder Eitelkeit ein¬
mal in den Hörsaal gelaufen kommt, ohne ständiges Mitglied eine Collegs wer¬
den zu wollen." "So machte er sich denn mit dem Gedanken vertraut, auf
jede mündliche Lehrthätigkeit zu verzichten; denn den Versuch anderwärts zu
erneuern, erlaubte sein gerechter Stolz nicht." In der letzten Zeit seines Ber¬
liner Aufenthalts machte er die persönliche Bekanntschaft Alexanders von Hum¬
boldt, dem er sich Anfangs mit Verehrung näherte, bald al'er fremd fühlte, da
er in ihm nur Talent, nicht Geist, nur scivntig., nicht sapiontia fand, und der
ihm zuletzt auch nur einer von den "Götzen der Zeit" war.

"Der cirißere Anstoß, dessen es noch bedürfte, um ihn für immer von Ber¬
lin zu scheiden, war endlich die Cholera", die 1831 dort auftrat. Er beschloß,
sich im südlichen Deutschland als Privatgelehrter anzusiedeln und wählte Frank¬
furt, "nicht per Frankfurter wegen, sondern einzig um des Komforts", der ihm
-- wie Gwinner wiederholt bemerkt, -- zur Vollbringung seiner Mission un¬
umgängliches Bedürfniß war, "und der cholerafesten Lage willen." Hier
lebte er von 1833 an fast ein Menschenalter hindurch "unter den Shvpkeepers
und Moneymakers -- was sage ich! unter den Doctoren dieser vortrefflichen
Stadt ungestört und unerkannt", bis endlich vor etwa zwölf Jahren auch von
der Welt außer ihm die Entdeckung gemacht wurde, daß er wirklich und wahr¬
haftig der Philosoph des neunzehnten Jahrhunderts sei.

Wie er aussah, möge man im dritten Kapitel Gwinners nachlesen. Hier
genüge, zu bemerken, daß er unter Mittelgröße und von gedrungnem Bau war,
daß er einen ungewöhnlich großen Kopf, glanzreiche blaue Augen und einen
breiten Mund hatte, daß "sein Gesicht von Geist phosphorescirte", und daß
"seine Haltung durchweg aristokratisch war", worunter zu verstehen ist, daß er
"stets in ganzer Toilette, schwarzem Frack (nach dem Kleiderschnitt seiner Ju¬
gend), weißer Halsbinde und Schuhen erschien."


Vorfall, den wir zugleich als Probe für die Ansichten seines Biographen über
den Umgang mit Menschen von Herrn Gwinner selbst erzählen lassen. Eine
gekannte seiner Hauswirthin 1821 hatte die Gewohnheit, in seinem Vorzimmer
Kaffeebcsuche zu empfangen. „Diese Person warf er einst unsanft zur Thür
hinaus, wobei sie auf den rechten Arm siel und arbeitsunfähig geworden sein
wollte. Es kam zum Proceß, der für ihn ungünstig endete; dear er mußte die
Alte lebenslänglich alimentiren. Sie besaß leider (!) eine zähe Constitution:
selbst der Würgengel der Cholera rang vergebens mit ihr, und er trug die Last
über zwanzig Jahre, bis er endlich auf ihren Todtenschein schreiben konnte!
odit HM«, Able onus".

Aus Italien wieder M'ückgetehrt, nahm Schopenhauer 1825 einen aber¬
maligen Anlauf, sich in Berlin einen philosophischen Lehrstuhl zu gewinnen,
aber zu seinem Eolleg meldete sich nur „jene bekannte akademische Demimonde,
welche mit Professoren speist und aus Langeweile, Courtoisie oder Eitelkeit ein¬
mal in den Hörsaal gelaufen kommt, ohne ständiges Mitglied eine Collegs wer¬
den zu wollen." „So machte er sich denn mit dem Gedanken vertraut, auf
jede mündliche Lehrthätigkeit zu verzichten; denn den Versuch anderwärts zu
erneuern, erlaubte sein gerechter Stolz nicht." In der letzten Zeit seines Ber¬
liner Aufenthalts machte er die persönliche Bekanntschaft Alexanders von Hum¬
boldt, dem er sich Anfangs mit Verehrung näherte, bald al'er fremd fühlte, da
er in ihm nur Talent, nicht Geist, nur scivntig., nicht sapiontia fand, und der
ihm zuletzt auch nur einer von den „Götzen der Zeit" war.

„Der cirißere Anstoß, dessen es noch bedürfte, um ihn für immer von Ber¬
lin zu scheiden, war endlich die Cholera", die 1831 dort auftrat. Er beschloß,
sich im südlichen Deutschland als Privatgelehrter anzusiedeln und wählte Frank¬
furt, „nicht per Frankfurter wegen, sondern einzig um des Komforts", der ihm
— wie Gwinner wiederholt bemerkt, — zur Vollbringung seiner Mission un¬
umgängliches Bedürfniß war, „und der cholerafesten Lage willen." Hier
lebte er von 1833 an fast ein Menschenalter hindurch „unter den Shvpkeepers
und Moneymakers — was sage ich! unter den Doctoren dieser vortrefflichen
Stadt ungestört und unerkannt", bis endlich vor etwa zwölf Jahren auch von
der Welt außer ihm die Entdeckung gemacht wurde, daß er wirklich und wahr¬
haftig der Philosoph des neunzehnten Jahrhunderts sei.

Wie er aussah, möge man im dritten Kapitel Gwinners nachlesen. Hier
genüge, zu bemerken, daß er unter Mittelgröße und von gedrungnem Bau war,
daß er einen ungewöhnlich großen Kopf, glanzreiche blaue Augen und einen
breiten Mund hatte, daß „sein Gesicht von Geist phosphorescirte", und daß
„seine Haltung durchweg aristokratisch war", worunter zu verstehen ist, daß er
„stets in ganzer Toilette, schwarzem Frack (nach dem Kleiderschnitt seiner Ju¬
gend), weißer Halsbinde und Schuhen erschien."


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113779/192>, abgerufen am 08.01.2025.