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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band.

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dann nach Rudolstadt, nicht blos, wie sein Biograph meint, weil jetzt an eine
ruhige Promotion in Berlin nicht mehr zu denken war, sondern auch, wie das Spätere
zeigen wird, weil einer der Grundzüge seines Wesens in unüberwindlicher Feig¬
heit bestand und weit davon gut vor dem Schuß ist. In Rudolstadt schrieb er
die Abhandlung "über die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde",
auf Grund deren er von der philosophischen Facultät zu Jena promovirt
wurde. Den folgenden Winter verlebte er in Weimar, wo er mit seiner Mut¬
ter immer mehr zerfiel. "Er warf ihr vor, das Andenken seines Vaters nicht
genug geehrt zu haben". --- "Ich und du sind zwei! Pflegte er manchmal aus
der tiefsten Verstimmung heraus ihr zu sagen". -- "Als er ihr die vierfache
Wurzel überreichte, scherzte sie, das sei wohl etwas für den Apotheker. Man
wird es noch lesen, entgegnete er, wenn von deinen Schriften kaum noch ein
Exemplar in einer Rumpelkammer stecken wird". -- "Damals schon sprach er
die Absicht aus, der Philosoph des neunzehnten Jahrhunderts zu werden." --
"Die Furcht des Sohnes, daß das väterliche Vermögen in den Händen der
Mutter noch ganz zusammenschwinden und ihm damit der Boden unter den
Füßen weggezogen werden könnte -- denn zum Erwerb fühlte er sich gänzlich
unfähig -- steigerte sein Mißtrauen zur Angst und führte zu so heftigen Auf¬
tritten zwischen beiden, daß sie ferner nicht zusammen leben konnten."

Mit Goethe bekannt geworden, beschäftigte er sich mit dessen Farbenlehre
und studirte unter Anleitung desselben Optik, wobei er fand, "daß Goethe die
Entstehung der sogenannten physischen Farben richtig erkläre, ebenso aber auch
daß dessen Lehre die Stelle einer allgemeinen optischen Theorie, die weder phy¬
sisch noch chemisch, sondern physiologisch gefaßt werden müsse, nicht vertreten
könne."

Im Frühjahr 1814 zog er nach Dresden, wo er vier Jahr blieb und das
Buch "die Welt als Wille und Vorstellung" verfaßte. "Obwohl die angebo¬
rene Aristokratie seines Charakters auch hier seinen Umgang sehr beschränkte,
so lebte er doch nicht eingezogen, sondern verkehrte mit den Zeitgenossen und
wußte seine ihr Recht fordernde Jugend, so weit es der höhere Zweck, die sou¬
veräne Macht seiner Bestimmung zuließ, als Mann von Welt zu genießen".
Als Kommentar zu diesen Andeutungen diene, daß sein Umgang durch "die an-
geborne Aristokratie seines Charakters" auf Belletristen dritten Ranges wie
Heult, F. A. Schulze (Laun) und Gustav Schilling sowie auf den gutherzig
duldsamer Dilettanten v. Quandt beschränkt wurde*) und daß die Genüsse,
welche "seine Jugend als ihr Recht forderte", -- man vergleiche Seite 45. 49,
54 und vorzüglich 147 -- vor Allem beim andern Geschlecht gesucht worden
zu sein scheinen. Auf die Entstehung jenes Buchs wirkten außer Kant beson-



.
") Mit Tieck brachten ihn Ausfälle gegen Fr. Schlegel auseinander.

dann nach Rudolstadt, nicht blos, wie sein Biograph meint, weil jetzt an eine
ruhige Promotion in Berlin nicht mehr zu denken war, sondern auch, wie das Spätere
zeigen wird, weil einer der Grundzüge seines Wesens in unüberwindlicher Feig¬
heit bestand und weit davon gut vor dem Schuß ist. In Rudolstadt schrieb er
die Abhandlung „über die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde",
auf Grund deren er von der philosophischen Facultät zu Jena promovirt
wurde. Den folgenden Winter verlebte er in Weimar, wo er mit seiner Mut¬
ter immer mehr zerfiel. „Er warf ihr vor, das Andenken seines Vaters nicht
genug geehrt zu haben". —- „Ich und du sind zwei! Pflegte er manchmal aus
der tiefsten Verstimmung heraus ihr zu sagen". — „Als er ihr die vierfache
Wurzel überreichte, scherzte sie, das sei wohl etwas für den Apotheker. Man
wird es noch lesen, entgegnete er, wenn von deinen Schriften kaum noch ein
Exemplar in einer Rumpelkammer stecken wird". — „Damals schon sprach er
die Absicht aus, der Philosoph des neunzehnten Jahrhunderts zu werden." —
„Die Furcht des Sohnes, daß das väterliche Vermögen in den Händen der
Mutter noch ganz zusammenschwinden und ihm damit der Boden unter den
Füßen weggezogen werden könnte — denn zum Erwerb fühlte er sich gänzlich
unfähig — steigerte sein Mißtrauen zur Angst und führte zu so heftigen Auf¬
tritten zwischen beiden, daß sie ferner nicht zusammen leben konnten."

Mit Goethe bekannt geworden, beschäftigte er sich mit dessen Farbenlehre
und studirte unter Anleitung desselben Optik, wobei er fand, „daß Goethe die
Entstehung der sogenannten physischen Farben richtig erkläre, ebenso aber auch
daß dessen Lehre die Stelle einer allgemeinen optischen Theorie, die weder phy¬
sisch noch chemisch, sondern physiologisch gefaßt werden müsse, nicht vertreten
könne."

Im Frühjahr 1814 zog er nach Dresden, wo er vier Jahr blieb und das
Buch „die Welt als Wille und Vorstellung" verfaßte. „Obwohl die angebo¬
rene Aristokratie seines Charakters auch hier seinen Umgang sehr beschränkte,
so lebte er doch nicht eingezogen, sondern verkehrte mit den Zeitgenossen und
wußte seine ihr Recht fordernde Jugend, so weit es der höhere Zweck, die sou¬
veräne Macht seiner Bestimmung zuließ, als Mann von Welt zu genießen".
Als Kommentar zu diesen Andeutungen diene, daß sein Umgang durch „die an-
geborne Aristokratie seines Charakters" auf Belletristen dritten Ranges wie
Heult, F. A. Schulze (Laun) und Gustav Schilling sowie auf den gutherzig
duldsamer Dilettanten v. Quandt beschränkt wurde*) und daß die Genüsse,
welche „seine Jugend als ihr Recht forderte", — man vergleiche Seite 45. 49,
54 und vorzüglich 147 — vor Allem beim andern Geschlecht gesucht worden
zu sein scheinen. Auf die Entstehung jenes Buchs wirkten außer Kant beson-



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") Mit Tieck brachten ihn Ausfälle gegen Fr. Schlegel auseinander.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113779/190>, abgerufen am 08.01.2025.