Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band.uns doch am meisten an dieser Frage gelegen, und für den unbefangenen Be¬ Allen Werten voran, welche in diesem Zweige der Kunst die letzten Jahre Von dem großen Talente Lessings, dem es an Fleiß und Uebung nicht uns doch am meisten an dieser Frage gelegen, und für den unbefangenen Be¬ Allen Werten voran, welche in diesem Zweige der Kunst die letzten Jahre Von dem großen Talente Lessings, dem es an Fleiß und Uebung nicht <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0176" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/113956"/> <p xml:id="ID_481" prev="#ID_480"> uns doch am meisten an dieser Frage gelegen, und für den unbefangenen Be¬<lb/> schauer hat wohl ein Gemälde, das einen Stoff aus der Geschichte behandelt,<lb/> der nicht gerade auf eine welthistorische Bedeutung Anspruch machen kann, gleich<lb/> hohen Werth, wenn es nur einen Inhalt von allgemein menschlichem Interesse<lb/> in großen bestimmten Zügen und wörtlich malerischer Erscheinung darstellt.</p><lb/> <p xml:id="ID_482"> Allen Werten voran, welche in diesem Zweige der Kunst die letzten Jahre<lb/> haben entstehen sehen, ist Lessings Gefangennahme des Papstes Paschalis zu<lb/> nennen. Bon jeher läßt sich in der Wahl der Stoffe, die Lessing getroffen hat,<lb/> ein ernster Sinn nicht verkennen; der Streit der Kaiser mit den Päpsten, dann<lb/> die Reformation in ihren verschiedenen Phasen haben seine Phantasie lebhaft<lb/> beschäftigt, und man sieht es seinen Bildern an, daß er sich nul den mäch¬<lb/> tigen Ideen, welche die geschichtlichen Personen bewegte, und mit dem Geiste<lb/> des vergangenen Zeitalters zu durchdringen suchte. Wir wollen vor dem jüng¬<lb/> sten Lilde darüber mit dem Künstler nicht rechten, ob das dargestellte Ereigniß<lb/> in dem ganzen Verlaufe jenes Kampfes eine so hervorragende Stelle einnahm;<lb/> hat es doch wenigstens mittelbar den ersten Abschluß des Streites, das Worm-<lb/> ser Eoncvrcat mit veranlaßt. Es handelt sich also um den offen ausbrechen¬<lb/> den Conflict der Gegensätze: aus der Gestalt und den Zügen des Kaisers läßt<lb/> sich der kräftige, emschivssene und doch feste, besonnene Charakter Heinrichs des<lb/> Fünften- wohl herauslesen, und der Papst zeigt in dem gefährlichen Mo¬<lb/> mente den Sieg der geistigen Fassung über den inneren Aufruhr der Leiden¬<lb/> schaften. Aber hier zeigt sich schon, daß die Kunst dem historischen Verständniß<lb/> nicht folgen kann. Es waren lediglich äußere Umstände (vornehmlich die Ein¬<lb/> sprache des deutschen Klerus), die den Papst zur Zurücknahme seines Pactcs mit<lb/> Heinrich zwangen; wie soll das nun der Künstler zum Ausdruck bringen?<lb/> Man sieht, wie unerquicklich die Kritik wird, wenn der Stoff, die Frage nach<lb/> dem historisch bedeutenden Momente in den Vordergrund tritt. Aber schlimmer<lb/> ist noch, daß der Maler einen Befehl darzustellen hatte; also eine abstracte<lb/> Aeußerung des Willens wird zum eigentlichen Gegenstand des Bildes. Dieser<lb/> Borgang läßt sich natürlich in der Erscheinung nicht malerisch niederlegen, er<lb/> läßt sich durch die Spannung der Züge und des Körpers, die Bewegung der<lb/> Arme nur andeuten. Das Malerische sind denn auch vornehmlich die Neben¬<lb/> figuren, die verschiedene Wirkung des Ereignisses auf dieselben, die als Em¬<lb/> pfindung sich vollständig herausbilden ließ. Die Individualisirung ist, wie<lb/> man weiß, Lessings Sache, und dieses Talent hal er auch hier bewährt. Dagegen<lb/> ist die unmalerische Beziehung der Gegensätze auch in der Composition fühl¬<lb/> bar; es wollen sich die Gruppen zu einem harmonischen Ganzen nicht ordnen,<lb/> es fehlt in der Gruppirung an dem Zug und Schwung, der den Blick des Be¬<lb/> schauers zu fesseln vermag.</p><lb/> <p xml:id="ID_483" next="#ID_484"> Von dem großen Talente Lessings, dem es an Fleiß und Uebung nicht</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0176]
uns doch am meisten an dieser Frage gelegen, und für den unbefangenen Be¬
schauer hat wohl ein Gemälde, das einen Stoff aus der Geschichte behandelt,
der nicht gerade auf eine welthistorische Bedeutung Anspruch machen kann, gleich
hohen Werth, wenn es nur einen Inhalt von allgemein menschlichem Interesse
in großen bestimmten Zügen und wörtlich malerischer Erscheinung darstellt.
Allen Werten voran, welche in diesem Zweige der Kunst die letzten Jahre
haben entstehen sehen, ist Lessings Gefangennahme des Papstes Paschalis zu
nennen. Bon jeher läßt sich in der Wahl der Stoffe, die Lessing getroffen hat,
ein ernster Sinn nicht verkennen; der Streit der Kaiser mit den Päpsten, dann
die Reformation in ihren verschiedenen Phasen haben seine Phantasie lebhaft
beschäftigt, und man sieht es seinen Bildern an, daß er sich nul den mäch¬
tigen Ideen, welche die geschichtlichen Personen bewegte, und mit dem Geiste
des vergangenen Zeitalters zu durchdringen suchte. Wir wollen vor dem jüng¬
sten Lilde darüber mit dem Künstler nicht rechten, ob das dargestellte Ereigniß
in dem ganzen Verlaufe jenes Kampfes eine so hervorragende Stelle einnahm;
hat es doch wenigstens mittelbar den ersten Abschluß des Streites, das Worm-
ser Eoncvrcat mit veranlaßt. Es handelt sich also um den offen ausbrechen¬
den Conflict der Gegensätze: aus der Gestalt und den Zügen des Kaisers läßt
sich der kräftige, emschivssene und doch feste, besonnene Charakter Heinrichs des
Fünften- wohl herauslesen, und der Papst zeigt in dem gefährlichen Mo¬
mente den Sieg der geistigen Fassung über den inneren Aufruhr der Leiden¬
schaften. Aber hier zeigt sich schon, daß die Kunst dem historischen Verständniß
nicht folgen kann. Es waren lediglich äußere Umstände (vornehmlich die Ein¬
sprache des deutschen Klerus), die den Papst zur Zurücknahme seines Pactcs mit
Heinrich zwangen; wie soll das nun der Künstler zum Ausdruck bringen?
Man sieht, wie unerquicklich die Kritik wird, wenn der Stoff, die Frage nach
dem historisch bedeutenden Momente in den Vordergrund tritt. Aber schlimmer
ist noch, daß der Maler einen Befehl darzustellen hatte; also eine abstracte
Aeußerung des Willens wird zum eigentlichen Gegenstand des Bildes. Dieser
Borgang läßt sich natürlich in der Erscheinung nicht malerisch niederlegen, er
läßt sich durch die Spannung der Züge und des Körpers, die Bewegung der
Arme nur andeuten. Das Malerische sind denn auch vornehmlich die Neben¬
figuren, die verschiedene Wirkung des Ereignisses auf dieselben, die als Em¬
pfindung sich vollständig herausbilden ließ. Die Individualisirung ist, wie
man weiß, Lessings Sache, und dieses Talent hal er auch hier bewährt. Dagegen
ist die unmalerische Beziehung der Gegensätze auch in der Composition fühl¬
bar; es wollen sich die Gruppen zu einem harmonischen Ganzen nicht ordnen,
es fehlt in der Gruppirung an dem Zug und Schwung, der den Blick des Be¬
schauers zu fesseln vermag.
Von dem großen Talente Lessings, dem es an Fleiß und Uebung nicht
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