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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band.

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des gebildeten Formen- und Farbensinnes, mit welchem die großen Meister die
Erscheinung über die Noth der zufälligen Realität in das reine Gebiet der
künstlerischen Wirklichkeit erhoben haben. Aber das ist es eben, was nicht sel¬
ten unsere Maler, und nicht die schlechtesten, bestreiten: wozu, so lautet ihre
Entgegnung, uns mühsam eine Form eine und Anschauung zu eigen machen,
die, so vollendet sie auch seien, einem vergangenen Zeitalter angehören, das wir
nun überwunden haben? Wozu unsre Eigenthümlichkeit der Gefahr aussetzen,
daß sie unter so mächtigem Einflüsse sich verwische, und weshalb endlich soll
unsere Anschauungsweise nicht aus sich selber und dem unmittelbaren Anschluß
an die Natur die Form finden, welche dem modernen Inhalt den ursprüng¬
lichen Ausdruck gebe?

Dreierlei Einwände, von denen übrigens die beiden ersten wenig bedeuten. ^
Jede Zeit, die in irgend einem Zweige der Kunst wirkliche Meisterwerke schasst,
findet in diesen den eigenthümlichen und doch vollendeten Ausdruck ihres We¬
sens; aber eben deshalb, weil sie ihr Leben und ihren Inhalt voll, ungebrochen
und mit gesammelter schöpferischer Kraft in diese Form gegossen, erhält dieselbe
ein selbständiges und für alle Zeiten mustergiltiges Dasein: "es ist die Ge¬
stalt, welche frei von jeder Zcitgcwalt die Gespielin seliger Natur ist." Sie
wird nicht als der Ausdruck jenes Wesens, sondern als Form und ästhetische
Erscheinung überhaupt Norm und Gesetz für jede nachfolgende Kunst, denn sie
ist aus einem Product des Geistes zur zweiten, zur gebildeten Natur gewor¬
ben. Handelt es sich hier aber nicht um eine nun überwundene Anschauungs¬
weise, sondern um eine künstlerische Wirklichkeit, die der Maler als Vorbild der
Darstellung zugleich mit der ursprünglichen Natur in sich aufnehmen soll: so
hat er auch von ihr nichts für seine Eigenthümlichkeit zu fürchten, sobald er
nur die Mühe sich gibt, gründlich in dieselbe einzudringen. Im Gegentheil,
die tiefere Kenntniß der vergangenen, vollendeten Kunst erleichtert ihm sein
Schaffen, sie gibt ihm eben so viele Mittel an die Hand, den Inhalt seiner
Phantasie in den Fluß eines freien und klaren Gestaltens zu bringen. Die
Eigenthümlichkeit, welche durch die Bildung unsicher zu werden fürchtet, steht
von vornherein auf schwachen Füßen und wird auch so nicht weit kommen.

Es ist überhaupt in unsern Tagen mit dem Glauben der Originalität eine
eigene Sache, auch wenn wir das Epigramm: "Ein tzuiÄÄin sagt, ich bin
von keiner Schule" auf die modernen Künstler, unter denen doch manche tüch¬
tige Kraft ist, nicht anwenden wollen. Jener Glaube ist, sofern er die Einflüsse
früherer Kunstperioden von sich abhalten will, eine fast kindliche Verblendung.
Der Maler steht nun einmal auf dem Boden einer allgemeinen Bildung, die
eine ganze Welt von fremden Elementen in sich aufgenommen hat, er lebt in
einer Luft, die mit den Vorstellungen ^verflossener Jahrhunderte wie geschwän¬
gert ist; dazu ist ihm in der Lehrzeit in den Akademien manche halbverstandene,


des gebildeten Formen- und Farbensinnes, mit welchem die großen Meister die
Erscheinung über die Noth der zufälligen Realität in das reine Gebiet der
künstlerischen Wirklichkeit erhoben haben. Aber das ist es eben, was nicht sel¬
ten unsere Maler, und nicht die schlechtesten, bestreiten: wozu, so lautet ihre
Entgegnung, uns mühsam eine Form eine und Anschauung zu eigen machen,
die, so vollendet sie auch seien, einem vergangenen Zeitalter angehören, das wir
nun überwunden haben? Wozu unsre Eigenthümlichkeit der Gefahr aussetzen,
daß sie unter so mächtigem Einflüsse sich verwische, und weshalb endlich soll
unsere Anschauungsweise nicht aus sich selber und dem unmittelbaren Anschluß
an die Natur die Form finden, welche dem modernen Inhalt den ursprüng¬
lichen Ausdruck gebe?

Dreierlei Einwände, von denen übrigens die beiden ersten wenig bedeuten. ^
Jede Zeit, die in irgend einem Zweige der Kunst wirkliche Meisterwerke schasst,
findet in diesen den eigenthümlichen und doch vollendeten Ausdruck ihres We¬
sens; aber eben deshalb, weil sie ihr Leben und ihren Inhalt voll, ungebrochen
und mit gesammelter schöpferischer Kraft in diese Form gegossen, erhält dieselbe
ein selbständiges und für alle Zeiten mustergiltiges Dasein: „es ist die Ge¬
stalt, welche frei von jeder Zcitgcwalt die Gespielin seliger Natur ist." Sie
wird nicht als der Ausdruck jenes Wesens, sondern als Form und ästhetische
Erscheinung überhaupt Norm und Gesetz für jede nachfolgende Kunst, denn sie
ist aus einem Product des Geistes zur zweiten, zur gebildeten Natur gewor¬
ben. Handelt es sich hier aber nicht um eine nun überwundene Anschauungs¬
weise, sondern um eine künstlerische Wirklichkeit, die der Maler als Vorbild der
Darstellung zugleich mit der ursprünglichen Natur in sich aufnehmen soll: so
hat er auch von ihr nichts für seine Eigenthümlichkeit zu fürchten, sobald er
nur die Mühe sich gibt, gründlich in dieselbe einzudringen. Im Gegentheil,
die tiefere Kenntniß der vergangenen, vollendeten Kunst erleichtert ihm sein
Schaffen, sie gibt ihm eben so viele Mittel an die Hand, den Inhalt seiner
Phantasie in den Fluß eines freien und klaren Gestaltens zu bringen. Die
Eigenthümlichkeit, welche durch die Bildung unsicher zu werden fürchtet, steht
von vornherein auf schwachen Füßen und wird auch so nicht weit kommen.

Es ist überhaupt in unsern Tagen mit dem Glauben der Originalität eine
eigene Sache, auch wenn wir das Epigramm: „Ein tzuiÄÄin sagt, ich bin
von keiner Schule" auf die modernen Künstler, unter denen doch manche tüch¬
tige Kraft ist, nicht anwenden wollen. Jener Glaube ist, sofern er die Einflüsse
früherer Kunstperioden von sich abhalten will, eine fast kindliche Verblendung.
Der Maler steht nun einmal auf dem Boden einer allgemeinen Bildung, die
eine ganze Welt von fremden Elementen in sich aufgenommen hat, er lebt in
einer Luft, die mit den Vorstellungen ^verflossener Jahrhunderte wie geschwän¬
gert ist; dazu ist ihm in der Lehrzeit in den Akademien manche halbverstandene,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113779/170>, abgerufen am 06.01.2025.