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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band.

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stohlenes Brod gerettet werden. -- Dergleichen wurde zwischen Lachen und Weinen
dramatisch dargestellt!

Deshalb sind sehr viele Verhältnisse, über welche man vergebens in den
Geschichtswerken und Chroniken der Zeit Auskunft sucht, aus den poetischen
Ueberresten der dreißig Jahre zu erklären. Es ist bekannt, daß das Jahr 16l8
in Deutschland noch die breite, behagliche und volksthümliche Weise zu reimen
vorfand, welche zur Reformationszeit neben dem historischen Volkslieds herge¬
laufen war, und daß diese Art Poesie in ganz anderer Weise, als die moderne,
zum Ausdruck der Vvlksstimmungen benutzt wurde. Ungeheuer ist die Anzahl
der gereimten Flugschriften und der fliegenden Blätter, welche mit einem zu¬
weilen gar nicht schlechten Kupferstich versehen sind und durch Text und Bild
einzelne Momente der Zeitgeschichte illustriren. Sie flatterten auch bei der klein¬
sten Gelegenheit aus und flogen mit großer Schnelligkeit durch das Land, in
der ersten Hälfte des Krieges massenhaft gekauft, behend nachgedruckt. Jede
Parteifarbe, jeder Ton der Empfindung wird in ihnen angeschlagen. Sie sind
die populärsten Angriffs- und Vertheidigungswaffen jeder Partei. Bösartige
Hiebe, seine Scttyre, harmlose Neckerei, Zorn, Klage und Siegesfreude schwir¬
ren darin durcheinander. Auch das ist bekannt, wie der Krieg allmälig diese
Art poetischen Schaffens den Deutschen nahm, die Lust und Kraft wurden schwächer,
nur einzeln und dünn klingen zuletzt die Klagestimmen im Volkston; die ge¬
spreizte Kunstpoesie der gebildeten Dichter, welche fast allein übrig blieb, ent¬
behrt die Kraft, die bittere Laune und dle Unmittelbarkeit des Ausdrucks.

Es war die Aufgabe des oben angezeigten Werkes, solche poetische Klänge
aus der Kriegszeit zu sammeln, sofern sie besonders charakteristisch sind oder
zur Erklärung irgend eines geschichtlichen Momentes beitragen. Die Samm¬
lung ist nicht die erste ihrer Art; nach den historischen Volksliedern von Wolfs,
Körner, Soltau und der musterhaften Sammlung von Hildebrand war der
dreißigjährige Krieg auch noch durch den Abdruck fliegender Blätter von Scheible
und zuletzt durch Weller's Sammlung von Liedern und Gedichten vertreten. Das
vorliegende Werk ist in seiner Anlage größer und reicher, die Auswahl mit be¬
sonderer Umsicht getroffen, vieles sehr Seltene, seit dem Kriege nicht wieder
Gedruckte ist darin zu finden, sorgfältige Anmerkungen und ein Wortverzeichnis^
erleichtern den Gebrauch. Die Sammlung enthält sowohl Lieder als Reime, aus¬
nahmsweise auch merkwürdige Prvsastücke, unter diesen den dankenswerthen Abdruck
der höchst seltenen Flugschrieft "Uova, uovg.vt.iqua,." Geordnet sind die Mitthei¬
lungen nach der Zeitfolge: der böhmische Krieg, die Auflösung der Union, Wal-
lensteins Herrschaft, der Eonvent zu Leipzig und die Zerstörung Magdeburgs,
Gustav Adolf's Siege, die Zeit nach Gustav Adolf, endlich religiöse, politische und
sociale Verhältnisse während des Krieges. Eifrig waren die Herausgeber be¬
müht, die Texte frei von Fehlern wieder zu geben, die Anmerkungen enthalten


stohlenes Brod gerettet werden. — Dergleichen wurde zwischen Lachen und Weinen
dramatisch dargestellt!

Deshalb sind sehr viele Verhältnisse, über welche man vergebens in den
Geschichtswerken und Chroniken der Zeit Auskunft sucht, aus den poetischen
Ueberresten der dreißig Jahre zu erklären. Es ist bekannt, daß das Jahr 16l8
in Deutschland noch die breite, behagliche und volksthümliche Weise zu reimen
vorfand, welche zur Reformationszeit neben dem historischen Volkslieds herge¬
laufen war, und daß diese Art Poesie in ganz anderer Weise, als die moderne,
zum Ausdruck der Vvlksstimmungen benutzt wurde. Ungeheuer ist die Anzahl
der gereimten Flugschriften und der fliegenden Blätter, welche mit einem zu¬
weilen gar nicht schlechten Kupferstich versehen sind und durch Text und Bild
einzelne Momente der Zeitgeschichte illustriren. Sie flatterten auch bei der klein¬
sten Gelegenheit aus und flogen mit großer Schnelligkeit durch das Land, in
der ersten Hälfte des Krieges massenhaft gekauft, behend nachgedruckt. Jede
Parteifarbe, jeder Ton der Empfindung wird in ihnen angeschlagen. Sie sind
die populärsten Angriffs- und Vertheidigungswaffen jeder Partei. Bösartige
Hiebe, seine Scttyre, harmlose Neckerei, Zorn, Klage und Siegesfreude schwir¬
ren darin durcheinander. Auch das ist bekannt, wie der Krieg allmälig diese
Art poetischen Schaffens den Deutschen nahm, die Lust und Kraft wurden schwächer,
nur einzeln und dünn klingen zuletzt die Klagestimmen im Volkston; die ge¬
spreizte Kunstpoesie der gebildeten Dichter, welche fast allein übrig blieb, ent¬
behrt die Kraft, die bittere Laune und dle Unmittelbarkeit des Ausdrucks.

Es war die Aufgabe des oben angezeigten Werkes, solche poetische Klänge
aus der Kriegszeit zu sammeln, sofern sie besonders charakteristisch sind oder
zur Erklärung irgend eines geschichtlichen Momentes beitragen. Die Samm¬
lung ist nicht die erste ihrer Art; nach den historischen Volksliedern von Wolfs,
Körner, Soltau und der musterhaften Sammlung von Hildebrand war der
dreißigjährige Krieg auch noch durch den Abdruck fliegender Blätter von Scheible
und zuletzt durch Weller's Sammlung von Liedern und Gedichten vertreten. Das
vorliegende Werk ist in seiner Anlage größer und reicher, die Auswahl mit be¬
sonderer Umsicht getroffen, vieles sehr Seltene, seit dem Kriege nicht wieder
Gedruckte ist darin zu finden, sorgfältige Anmerkungen und ein Wortverzeichnis^
erleichtern den Gebrauch. Die Sammlung enthält sowohl Lieder als Reime, aus¬
nahmsweise auch merkwürdige Prvsastücke, unter diesen den dankenswerthen Abdruck
der höchst seltenen Flugschrieft „Uova, uovg.vt.iqua,." Geordnet sind die Mitthei¬
lungen nach der Zeitfolge: der böhmische Krieg, die Auflösung der Union, Wal-
lensteins Herrschaft, der Eonvent zu Leipzig und die Zerstörung Magdeburgs,
Gustav Adolf's Siege, die Zeit nach Gustav Adolf, endlich religiöse, politische und
sociale Verhältnisse während des Krieges. Eifrig waren die Herausgeber be¬
müht, die Texte frei von Fehlern wieder zu geben, die Anmerkungen enthalten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113779/154>, abgerufen am 06.01.2025.