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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band.

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Deutschland nicht aufhörten, wie sehr sie auch beeinträchtigt wurden. Aber der
Trieb, zu erwerben, und die Nothwendigkeit, das Leben zu erhalten, diese letzten
zwingenden Gewalten bewährten ihre unwiderstehliche Macht, und alle kriegfüh¬
renden Parteien waren in der- Lage, grade diese Thätigkeit civilisirter Menschen
am wenigsten entbehren zu können. ' Leichter als ein anderer, erwarb der Kauf¬
mann für seine Waaren die Lg-Joa, Zug-i-den der feindlichen Heere. Fast
immer stand es in seiner Gewalt, die Befehlshaber für sich zu gewinnen. Der
schwedische General, welcher in seinem Winterquartier die Fichtenwälder der
Gegend niedergeschlagen hatte, bedürfte einen unternehmenden Kaufmann, der
ihm das Holz abnahm, und wenn er mit der Bezahlung auf ein Hamburger
oder Amsterdamer Haus angewiesen war, so lag es auch in seinem höchsten
Interesse, daß die Flöße sicher durch das kaiserliche Heer Elbe oder Rhein ab
schwammen. Ja der Krieg machte die meisten Kriegsoversten und nicht wenige
Landesherrn zu gewandten Geschäftsleuten, welche die Usancen des Handels bis
zu einem gewissen Grade respectiren und den Waarenverkehr begünstigen mu߬
ten, wenn sie selbst ihre^Revenuen und ihre Beute sicher gewinnen wollten.

Während so auf der einen Seite die conservativen Gewalten des Lebens
Vieles bewahrten, was in der ungeheuren Verwüstung nach moderner Empfin¬
dung hätte zu Grunde gehen müssen, ist auf der andern Seite die Empfindung
des ^ nationalen Unglücks wieder sichtbar, wo wir sie wenig erwarten. An
den Höfen wie im Volke.

Gerade da, wo das Gemüth der Einzelnen nach der größten Freiheit rang,
im poetischen Schaffen, bei lauter und aufgeregter Geselligkeit drängt sich die
Vorstellung von dem Elend und Untergange des Vaterlands mitten in die
Verse, in Spiel und Scherz. Dem gelehrten Dichter, welcher sich aus der ro¬
hen Umgebung in die feine Welt des Horaz geflüchtet hat, begegnet es, daß
plötzlich unter den Gedichten an Sylvia und^Phyllis ein düsterer Klageaccord
die Reden seiner Schäfer und mythologischen Gestalten unterbricht.

Um 1640 trat die trauernde Germania sogar in die Repräsentation der
deutschen Höfe ein. Seit der junge Paris von Werber vor Mitgliedern des
Palmenordens seine wirksame Stilübung über das Unglück Deutschlands decla-
mirt hatte, geschah Aehnliches auch an andern Höfen. Im März 1641 führ¬
ten die kleinen Prinzen und Prinzessinnen in Hessen-Darmstadt mit ihren Leh¬
rern und einigen Hofleuten vor den Eltern ein Schauspiel, "Germanien in
Ueppigkeit, .am, Kriege, in Trauer" aus.*) Den lateinischen Reden im Stile
Cicero's, welche die Fürstenkinder zu allegorischen Figuren verkleidet decla-
mirten, sind Scenen aus dem deutschen Bauernleben eingeflochten. Eine der
letzten ist, wie die Bauern als Bettler im Verhungern sind, und nur durch ein ge-



") 6srma,ma luxuriös, äsksll^ta, luxsiis, cZomosäiola, Narben-xi 1842,
Grenjboten II. 1862. 19

Deutschland nicht aufhörten, wie sehr sie auch beeinträchtigt wurden. Aber der
Trieb, zu erwerben, und die Nothwendigkeit, das Leben zu erhalten, diese letzten
zwingenden Gewalten bewährten ihre unwiderstehliche Macht, und alle kriegfüh¬
renden Parteien waren in der- Lage, grade diese Thätigkeit civilisirter Menschen
am wenigsten entbehren zu können. ' Leichter als ein anderer, erwarb der Kauf¬
mann für seine Waaren die Lg-Joa, Zug-i-den der feindlichen Heere. Fast
immer stand es in seiner Gewalt, die Befehlshaber für sich zu gewinnen. Der
schwedische General, welcher in seinem Winterquartier die Fichtenwälder der
Gegend niedergeschlagen hatte, bedürfte einen unternehmenden Kaufmann, der
ihm das Holz abnahm, und wenn er mit der Bezahlung auf ein Hamburger
oder Amsterdamer Haus angewiesen war, so lag es auch in seinem höchsten
Interesse, daß die Flöße sicher durch das kaiserliche Heer Elbe oder Rhein ab
schwammen. Ja der Krieg machte die meisten Kriegsoversten und nicht wenige
Landesherrn zu gewandten Geschäftsleuten, welche die Usancen des Handels bis
zu einem gewissen Grade respectiren und den Waarenverkehr begünstigen mu߬
ten, wenn sie selbst ihre^Revenuen und ihre Beute sicher gewinnen wollten.

Während so auf der einen Seite die conservativen Gewalten des Lebens
Vieles bewahrten, was in der ungeheuren Verwüstung nach moderner Empfin¬
dung hätte zu Grunde gehen müssen, ist auf der andern Seite die Empfindung
des ^ nationalen Unglücks wieder sichtbar, wo wir sie wenig erwarten. An
den Höfen wie im Volke.

Gerade da, wo das Gemüth der Einzelnen nach der größten Freiheit rang,
im poetischen Schaffen, bei lauter und aufgeregter Geselligkeit drängt sich die
Vorstellung von dem Elend und Untergange des Vaterlands mitten in die
Verse, in Spiel und Scherz. Dem gelehrten Dichter, welcher sich aus der ro¬
hen Umgebung in die feine Welt des Horaz geflüchtet hat, begegnet es, daß
plötzlich unter den Gedichten an Sylvia und^Phyllis ein düsterer Klageaccord
die Reden seiner Schäfer und mythologischen Gestalten unterbricht.

Um 1640 trat die trauernde Germania sogar in die Repräsentation der
deutschen Höfe ein. Seit der junge Paris von Werber vor Mitgliedern des
Palmenordens seine wirksame Stilübung über das Unglück Deutschlands decla-
mirt hatte, geschah Aehnliches auch an andern Höfen. Im März 1641 führ¬
ten die kleinen Prinzen und Prinzessinnen in Hessen-Darmstadt mit ihren Leh¬
rern und einigen Hofleuten vor den Eltern ein Schauspiel, „Germanien in
Ueppigkeit, .am, Kriege, in Trauer" aus.*) Den lateinischen Reden im Stile
Cicero's, welche die Fürstenkinder zu allegorischen Figuren verkleidet decla-
mirten, sind Scenen aus dem deutschen Bauernleben eingeflochten. Eine der
letzten ist, wie die Bauern als Bettler im Verhungern sind, und nur durch ein ge-



") 6srma,ma luxuriös, äsksll^ta, luxsiis, cZomosäiola, Narben-xi 1842,
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[0153] Deutschland nicht aufhörten, wie sehr sie auch beeinträchtigt wurden. Aber der Trieb, zu erwerben, und die Nothwendigkeit, das Leben zu erhalten, diese letzten zwingenden Gewalten bewährten ihre unwiderstehliche Macht, und alle kriegfüh¬ renden Parteien waren in der- Lage, grade diese Thätigkeit civilisirter Menschen am wenigsten entbehren zu können. ' Leichter als ein anderer, erwarb der Kauf¬ mann für seine Waaren die Lg-Joa, Zug-i-den der feindlichen Heere. Fast immer stand es in seiner Gewalt, die Befehlshaber für sich zu gewinnen. Der schwedische General, welcher in seinem Winterquartier die Fichtenwälder der Gegend niedergeschlagen hatte, bedürfte einen unternehmenden Kaufmann, der ihm das Holz abnahm, und wenn er mit der Bezahlung auf ein Hamburger oder Amsterdamer Haus angewiesen war, so lag es auch in seinem höchsten Interesse, daß die Flöße sicher durch das kaiserliche Heer Elbe oder Rhein ab schwammen. Ja der Krieg machte die meisten Kriegsoversten und nicht wenige Landesherrn zu gewandten Geschäftsleuten, welche die Usancen des Handels bis zu einem gewissen Grade respectiren und den Waarenverkehr begünstigen mu߬ ten, wenn sie selbst ihre^Revenuen und ihre Beute sicher gewinnen wollten. Während so auf der einen Seite die conservativen Gewalten des Lebens Vieles bewahrten, was in der ungeheuren Verwüstung nach moderner Empfin¬ dung hätte zu Grunde gehen müssen, ist auf der andern Seite die Empfindung des ^ nationalen Unglücks wieder sichtbar, wo wir sie wenig erwarten. An den Höfen wie im Volke. Gerade da, wo das Gemüth der Einzelnen nach der größten Freiheit rang, im poetischen Schaffen, bei lauter und aufgeregter Geselligkeit drängt sich die Vorstellung von dem Elend und Untergange des Vaterlands mitten in die Verse, in Spiel und Scherz. Dem gelehrten Dichter, welcher sich aus der ro¬ hen Umgebung in die feine Welt des Horaz geflüchtet hat, begegnet es, daß plötzlich unter den Gedichten an Sylvia und^Phyllis ein düsterer Klageaccord die Reden seiner Schäfer und mythologischen Gestalten unterbricht. Um 1640 trat die trauernde Germania sogar in die Repräsentation der deutschen Höfe ein. Seit der junge Paris von Werber vor Mitgliedern des Palmenordens seine wirksame Stilübung über das Unglück Deutschlands decla- mirt hatte, geschah Aehnliches auch an andern Höfen. Im März 1641 führ¬ ten die kleinen Prinzen und Prinzessinnen in Hessen-Darmstadt mit ihren Leh¬ rern und einigen Hofleuten vor den Eltern ein Schauspiel, „Germanien in Ueppigkeit, .am, Kriege, in Trauer" aus.*) Den lateinischen Reden im Stile Cicero's, welche die Fürstenkinder zu allegorischen Figuren verkleidet decla- mirten, sind Scenen aus dem deutschen Bauernleben eingeflochten. Eine der letzten ist, wie die Bauern als Bettler im Verhungern sind, und nur durch ein ge- ") 6srma,ma luxuriös, äsksll^ta, luxsiis, cZomosäiola, Narben-xi 1842, Grenjboten II. 1862. 19

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113779/153>, abgerufen am 08.01.2025.