Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

rasirten Köpfe, das Alles zuckend, sich schiebend, sich zerrend, und allmälig in
dem immer dichter werdenden Qualm sich verdunkelnd, und man hat ein schwa¬
ches Bild der Aussicht, die sich uns darbot. Jetzt nicht die Lungen und die
Ellenbogen zum Aeußersten der Freudenbezeugung anzustrengen, wäre Vergehen
gewesen; hatte sich doch nunmehr Allen die Sündenvergebung durch ein Zeichen
bestätigt, und war doch auch der Auferstehungskirche das Licht wiedergegeben,
nachdem in der Charfreitagsnacht das letzte Lämpchen verlöscht worden! Ja
die Auferstehungskirche hatte ihr Licht wieder, nicht das gottlose Sonnenlicht,
das keine Feste respectirt, und auch Juden und Heiden, ja selbst Protestanten
bescheint, sondern ihr echtes alt-confessionell orthodoxes Licht, die rauchenden
Kerzen und die qualmenden Oellampen! Meine überseeische Nachbarin wollte
eine Aeußerung thun, aber sie vermochte den Laut ihrer Stimme sich selbst
nicht hörbar zu machen. Was hätte sie auch sagen sollen? Daß ihr in der
alten wie in der neuen Welt noch nie so Seltsames vorgekommen? Das war
überflüssig! Selbst die Sonne schien besiegt; über dem blendenden Kreise, den
ihre Strahlen vorher durch die Kuppelöffnung beschrieben, erhob sich jetzt bis
zur höchsten Höhe des Gebäudes eine bräunliche, opake Säule, welche nebst den
wie Meereswellen durch den Rauch zuckenden, rothen Feuerzungen den Gedan¬
ken einer Höllenscene aufkommen ließ.

Diese Akme aber dauerte nicht lange, das Abbrennen der sich schnell ver¬
zehrenden Kerzcnbündel setzte ihr ein Ziel. Nach kaum zwölf Minuten erloschen
dieselben eins nach dem andern, und bald war Nichts von ihnen übrig, als
der brenzliche Harzgeruch, welcher uns und manche andere Zuschauer sehr in-
commodirte. Die europäische Gesellschaft der lateinischen Empore, die franzö¬
sischen Offiziere u. s. w. verschwanden eiligst. Auch dem Pilgergewühl vor uns
war mit den Lichtern die Exstase ausgegangen und ,voll des Bewußtseins ihre
Schuldigkeit gethan zu haben, verließen die Griechen die Kirche, um Vorberei¬
tungen für die Küche zu treffen. Auch die Soldaten marschirten ab, und mit
rothen Augen wäre" wir ihnen gern ins Freie gefolgt, wenn nur die Leiter
zu beschaffen gewesen wäre. Dennoch machte die Kirche noch keineswegs den
Eindruck eines leeren Gebäudes, andre Gestalten, andre Trachten füllten all¬
mälig die leer werdenden Räume. Es waren die vier Nationen des jakobi-
tischen Bekenntnisses, welche, vorher elend zusammengedrängt, sich jetzt in Er¬
wartung einer Gesammtfunction ihrer eigenen Geistlichkeit gemächlich auf den
frühern von den orthodoxen Pilgern eingenommenen Plätzen ausbreiteten.

Schon waren aus den Sacristeien der Syrier und Kopten die alterge¬
schwärzten Kirchenstandartcn hervorgezogen und wie bei den Griechen an bevor¬
zugte Laien vertheilt worden. Die Procession nahm denn auch bald ihren An¬
fang. Bei den Armeniern als den mächtigsten unter den jakobitischen Christen
hatte sich der Zug geordnet, welcher sich nun ebenfalls von Norden her um


rasirten Köpfe, das Alles zuckend, sich schiebend, sich zerrend, und allmälig in
dem immer dichter werdenden Qualm sich verdunkelnd, und man hat ein schwa¬
ches Bild der Aussicht, die sich uns darbot. Jetzt nicht die Lungen und die
Ellenbogen zum Aeußersten der Freudenbezeugung anzustrengen, wäre Vergehen
gewesen; hatte sich doch nunmehr Allen die Sündenvergebung durch ein Zeichen
bestätigt, und war doch auch der Auferstehungskirche das Licht wiedergegeben,
nachdem in der Charfreitagsnacht das letzte Lämpchen verlöscht worden! Ja
die Auferstehungskirche hatte ihr Licht wieder, nicht das gottlose Sonnenlicht,
das keine Feste respectirt, und auch Juden und Heiden, ja selbst Protestanten
bescheint, sondern ihr echtes alt-confessionell orthodoxes Licht, die rauchenden
Kerzen und die qualmenden Oellampen! Meine überseeische Nachbarin wollte
eine Aeußerung thun, aber sie vermochte den Laut ihrer Stimme sich selbst
nicht hörbar zu machen. Was hätte sie auch sagen sollen? Daß ihr in der
alten wie in der neuen Welt noch nie so Seltsames vorgekommen? Das war
überflüssig! Selbst die Sonne schien besiegt; über dem blendenden Kreise, den
ihre Strahlen vorher durch die Kuppelöffnung beschrieben, erhob sich jetzt bis
zur höchsten Höhe des Gebäudes eine bräunliche, opake Säule, welche nebst den
wie Meereswellen durch den Rauch zuckenden, rothen Feuerzungen den Gedan¬
ken einer Höllenscene aufkommen ließ.

Diese Akme aber dauerte nicht lange, das Abbrennen der sich schnell ver¬
zehrenden Kerzcnbündel setzte ihr ein Ziel. Nach kaum zwölf Minuten erloschen
dieselben eins nach dem andern, und bald war Nichts von ihnen übrig, als
der brenzliche Harzgeruch, welcher uns und manche andere Zuschauer sehr in-
commodirte. Die europäische Gesellschaft der lateinischen Empore, die franzö¬
sischen Offiziere u. s. w. verschwanden eiligst. Auch dem Pilgergewühl vor uns
war mit den Lichtern die Exstase ausgegangen und ,voll des Bewußtseins ihre
Schuldigkeit gethan zu haben, verließen die Griechen die Kirche, um Vorberei¬
tungen für die Küche zu treffen. Auch die Soldaten marschirten ab, und mit
rothen Augen wäre» wir ihnen gern ins Freie gefolgt, wenn nur die Leiter
zu beschaffen gewesen wäre. Dennoch machte die Kirche noch keineswegs den
Eindruck eines leeren Gebäudes, andre Gestalten, andre Trachten füllten all¬
mälig die leer werdenden Räume. Es waren die vier Nationen des jakobi-
tischen Bekenntnisses, welche, vorher elend zusammengedrängt, sich jetzt in Er¬
wartung einer Gesammtfunction ihrer eigenen Geistlichkeit gemächlich auf den
frühern von den orthodoxen Pilgern eingenommenen Plätzen ausbreiteten.

Schon waren aus den Sacristeien der Syrier und Kopten die alterge¬
schwärzten Kirchenstandartcn hervorgezogen und wie bei den Griechen an bevor¬
zugte Laien vertheilt worden. Die Procession nahm denn auch bald ihren An¬
fang. Bei den Armeniern als den mächtigsten unter den jakobitischen Christen
hatte sich der Zug geordnet, welcher sich nun ebenfalls von Norden her um


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0146" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/113926"/>
          <p xml:id="ID_396" prev="#ID_395"> rasirten Köpfe, das Alles zuckend, sich schiebend, sich zerrend, und allmälig in<lb/>
dem immer dichter werdenden Qualm sich verdunkelnd, und man hat ein schwa¬<lb/>
ches Bild der Aussicht, die sich uns darbot. Jetzt nicht die Lungen und die<lb/>
Ellenbogen zum Aeußersten der Freudenbezeugung anzustrengen, wäre Vergehen<lb/>
gewesen; hatte sich doch nunmehr Allen die Sündenvergebung durch ein Zeichen<lb/>
bestätigt, und war doch auch der Auferstehungskirche das Licht wiedergegeben,<lb/>
nachdem in der Charfreitagsnacht das letzte Lämpchen verlöscht worden! Ja<lb/>
die Auferstehungskirche hatte ihr Licht wieder, nicht das gottlose Sonnenlicht,<lb/>
das keine Feste respectirt, und auch Juden und Heiden, ja selbst Protestanten<lb/>
bescheint, sondern ihr echtes alt-confessionell orthodoxes Licht, die rauchenden<lb/>
Kerzen und die qualmenden Oellampen! Meine überseeische Nachbarin wollte<lb/>
eine Aeußerung thun, aber sie vermochte den Laut ihrer Stimme sich selbst<lb/>
nicht hörbar zu machen. Was hätte sie auch sagen sollen? Daß ihr in der<lb/>
alten wie in der neuen Welt noch nie so Seltsames vorgekommen? Das war<lb/>
überflüssig! Selbst die Sonne schien besiegt; über dem blendenden Kreise, den<lb/>
ihre Strahlen vorher durch die Kuppelöffnung beschrieben, erhob sich jetzt bis<lb/>
zur höchsten Höhe des Gebäudes eine bräunliche, opake Säule, welche nebst den<lb/>
wie Meereswellen durch den Rauch zuckenden, rothen Feuerzungen den Gedan¬<lb/>
ken einer Höllenscene aufkommen ließ.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_397"> Diese Akme aber dauerte nicht lange, das Abbrennen der sich schnell ver¬<lb/>
zehrenden Kerzcnbündel setzte ihr ein Ziel. Nach kaum zwölf Minuten erloschen<lb/>
dieselben eins nach dem andern, und bald war Nichts von ihnen übrig, als<lb/>
der brenzliche Harzgeruch, welcher uns und manche andere Zuschauer sehr in-<lb/>
commodirte. Die europäische Gesellschaft der lateinischen Empore, die franzö¬<lb/>
sischen Offiziere u. s. w. verschwanden eiligst. Auch dem Pilgergewühl vor uns<lb/>
war mit den Lichtern die Exstase ausgegangen und ,voll des Bewußtseins ihre<lb/>
Schuldigkeit gethan zu haben, verließen die Griechen die Kirche, um Vorberei¬<lb/>
tungen für die Küche zu treffen. Auch die Soldaten marschirten ab, und mit<lb/>
rothen Augen wäre» wir ihnen gern ins Freie gefolgt, wenn nur die Leiter<lb/>
zu beschaffen gewesen wäre. Dennoch machte die Kirche noch keineswegs den<lb/>
Eindruck eines leeren Gebäudes, andre Gestalten, andre Trachten füllten all¬<lb/>
mälig die leer werdenden Räume. Es waren die vier Nationen des jakobi-<lb/>
tischen Bekenntnisses, welche, vorher elend zusammengedrängt, sich jetzt in Er¬<lb/>
wartung einer Gesammtfunction ihrer eigenen Geistlichkeit gemächlich auf den<lb/>
frühern von den orthodoxen Pilgern eingenommenen Plätzen ausbreiteten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_398" next="#ID_399"> Schon waren aus den Sacristeien der Syrier und Kopten die alterge¬<lb/>
schwärzten Kirchenstandartcn hervorgezogen und wie bei den Griechen an bevor¬<lb/>
zugte Laien vertheilt worden. Die Procession nahm denn auch bald ihren An¬<lb/>
fang. Bei den Armeniern als den mächtigsten unter den jakobitischen Christen<lb/>
hatte sich der Zug geordnet, welcher sich nun ebenfalls von Norden her um</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0146] rasirten Köpfe, das Alles zuckend, sich schiebend, sich zerrend, und allmälig in dem immer dichter werdenden Qualm sich verdunkelnd, und man hat ein schwa¬ ches Bild der Aussicht, die sich uns darbot. Jetzt nicht die Lungen und die Ellenbogen zum Aeußersten der Freudenbezeugung anzustrengen, wäre Vergehen gewesen; hatte sich doch nunmehr Allen die Sündenvergebung durch ein Zeichen bestätigt, und war doch auch der Auferstehungskirche das Licht wiedergegeben, nachdem in der Charfreitagsnacht das letzte Lämpchen verlöscht worden! Ja die Auferstehungskirche hatte ihr Licht wieder, nicht das gottlose Sonnenlicht, das keine Feste respectirt, und auch Juden und Heiden, ja selbst Protestanten bescheint, sondern ihr echtes alt-confessionell orthodoxes Licht, die rauchenden Kerzen und die qualmenden Oellampen! Meine überseeische Nachbarin wollte eine Aeußerung thun, aber sie vermochte den Laut ihrer Stimme sich selbst nicht hörbar zu machen. Was hätte sie auch sagen sollen? Daß ihr in der alten wie in der neuen Welt noch nie so Seltsames vorgekommen? Das war überflüssig! Selbst die Sonne schien besiegt; über dem blendenden Kreise, den ihre Strahlen vorher durch die Kuppelöffnung beschrieben, erhob sich jetzt bis zur höchsten Höhe des Gebäudes eine bräunliche, opake Säule, welche nebst den wie Meereswellen durch den Rauch zuckenden, rothen Feuerzungen den Gedan¬ ken einer Höllenscene aufkommen ließ. Diese Akme aber dauerte nicht lange, das Abbrennen der sich schnell ver¬ zehrenden Kerzcnbündel setzte ihr ein Ziel. Nach kaum zwölf Minuten erloschen dieselben eins nach dem andern, und bald war Nichts von ihnen übrig, als der brenzliche Harzgeruch, welcher uns und manche andere Zuschauer sehr in- commodirte. Die europäische Gesellschaft der lateinischen Empore, die franzö¬ sischen Offiziere u. s. w. verschwanden eiligst. Auch dem Pilgergewühl vor uns war mit den Lichtern die Exstase ausgegangen und ,voll des Bewußtseins ihre Schuldigkeit gethan zu haben, verließen die Griechen die Kirche, um Vorberei¬ tungen für die Küche zu treffen. Auch die Soldaten marschirten ab, und mit rothen Augen wäre» wir ihnen gern ins Freie gefolgt, wenn nur die Leiter zu beschaffen gewesen wäre. Dennoch machte die Kirche noch keineswegs den Eindruck eines leeren Gebäudes, andre Gestalten, andre Trachten füllten all¬ mälig die leer werdenden Räume. Es waren die vier Nationen des jakobi- tischen Bekenntnisses, welche, vorher elend zusammengedrängt, sich jetzt in Er¬ wartung einer Gesammtfunction ihrer eigenen Geistlichkeit gemächlich auf den frühern von den orthodoxen Pilgern eingenommenen Plätzen ausbreiteten. Schon waren aus den Sacristeien der Syrier und Kopten die alterge¬ schwärzten Kirchenstandartcn hervorgezogen und wie bei den Griechen an bevor¬ zugte Laien vertheilt worden. Die Procession nahm denn auch bald ihren An¬ fang. Bei den Armeniern als den mächtigsten unter den jakobitischen Christen hatte sich der Zug geordnet, welcher sich nun ebenfalls von Norden her um

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113779
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113779/146
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113779/146>, abgerufen am 08.01.2025.