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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band.

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in seinem eignen Gefühl wie in dem seiner gläubigen Unterthanen am meisten
durch einen solchen Wechsel getränkt worden sein würde.

Nunmehr ordnete sich in der griechischen Chorkapelle die Procession, und
zugleich wurde das Militär in der Rotunde commandirt, Gewehr am Fuß, die
Passage rund um die Grabkapelle herum zu ungefähr vier Fuß Breite in seinem
Spalier zu eröffnen. Ich hoffte nun, daß meine Erlösung sich nähere; der
Bischof Abd-en-Nur aber meinte, ich möge mich gedulden, da vor dem Aufbrechen
der Procession noch Gebete zu lesen seien, von deren Länge ich keinen Be¬
griff habe.

Der freie Durchgang wurde zunächst benutzt, um den Truppen, die nun
schon vier Stunden lang in Staub und Hitze dagestanden, einen Trunk Wassers
zu spenden. Zwei Sakas, Soldaten mit ledernem Schlauche auf dem Rücken,
gingen zu dem Zwecke die Reihen entlang und füllten für einen Jeden eine
geräumige Messingschciale. Noch durstiger als die Soldaten waren sicher die
Pilger, welche in derselben Temperatur sich noch mit allerlei Unfug zu schaffen
gemacht hatten. Auch ertönte vielerseits aus dem Publicum ein stehendes:
"Hemschehri! Landsmann, mir auch!" Gewiß ehrt den türkischen Soldaten das
Vertrauen, das diese Worte einflößte, und ich bemerkte auch, daß den Bitten
freigebige Folge geleistet wurde.

Nach den Wasserträgern tauchte eine neue Erscheinung aus, eine junge
amerikanische Touristin, escortirt von ihrem Gemahl und einem Dragoman.
Ich war mit den Leuten bekannt geworden und wußte, daß sie blos.um der
berühmten Function beizuwohnen ihre Abreise um 14 Tage verschoben hatten;
auch war es mir nicht schwer, in den verstörten Mienen der Dame ihre jüngste
Geschichte zu lesen. Sie hatte auf der keinem Europäer verwehrten Empore der
Lateiner ein bescheidenes Schauplätzchcn gesucht, dort aber sich begnügen müssen,
die Rücken der dicht auf und an einander liegenden französischen Offiziere zu
betrachten, ein nur etwa für Feinde in der Schlacht erfreulicher Anblick --
und so abentheuerte sie nun in dem Soldatenspalier umher, um wo möglich
den Zweck ihres Aufenthaltes nicht zu verlieren. Ich beschloß sofort, den äsus
ex rrmenina. zu spielen und dem Paare einen Platz neben mir anzubieten, welche",
wie ich voraussah, der Bischof seiner Geschäfte wegen gern räumen würde.

Ich machte also, da meine Stimme nicht durchdrang, mit beredten Zeichen
den Vorschlag, der wie eine Erlösung begrüßt wurde. Die Leiter war auch bald
wieder zur Hand; als aber der Bischof hinabgestiegen war, schwankte die Dame,
'und es schien, als ob sie sich verlegen zurückziehen wollte -- gewiß nicht aus
Aengstlichkeit und noch weniger aus Besorgniß mit Oel nuk Lampenruß ihre
elegante Toilette zu verderben. Aber zu dieser Toilette gehörte eine patentirte
Crinoline, welche bis dahin im Gedränge zusammen gedrückt war. von der sich
aber voraussehen ließ, daß sie auf der Leiter über den Häuptern der Andächtigen


in seinem eignen Gefühl wie in dem seiner gläubigen Unterthanen am meisten
durch einen solchen Wechsel getränkt worden sein würde.

Nunmehr ordnete sich in der griechischen Chorkapelle die Procession, und
zugleich wurde das Militär in der Rotunde commandirt, Gewehr am Fuß, die
Passage rund um die Grabkapelle herum zu ungefähr vier Fuß Breite in seinem
Spalier zu eröffnen. Ich hoffte nun, daß meine Erlösung sich nähere; der
Bischof Abd-en-Nur aber meinte, ich möge mich gedulden, da vor dem Aufbrechen
der Procession noch Gebete zu lesen seien, von deren Länge ich keinen Be¬
griff habe.

Der freie Durchgang wurde zunächst benutzt, um den Truppen, die nun
schon vier Stunden lang in Staub und Hitze dagestanden, einen Trunk Wassers
zu spenden. Zwei Sakas, Soldaten mit ledernem Schlauche auf dem Rücken,
gingen zu dem Zwecke die Reihen entlang und füllten für einen Jeden eine
geräumige Messingschciale. Noch durstiger als die Soldaten waren sicher die
Pilger, welche in derselben Temperatur sich noch mit allerlei Unfug zu schaffen
gemacht hatten. Auch ertönte vielerseits aus dem Publicum ein stehendes:
„Hemschehri! Landsmann, mir auch!" Gewiß ehrt den türkischen Soldaten das
Vertrauen, das diese Worte einflößte, und ich bemerkte auch, daß den Bitten
freigebige Folge geleistet wurde.

Nach den Wasserträgern tauchte eine neue Erscheinung aus, eine junge
amerikanische Touristin, escortirt von ihrem Gemahl und einem Dragoman.
Ich war mit den Leuten bekannt geworden und wußte, daß sie blos.um der
berühmten Function beizuwohnen ihre Abreise um 14 Tage verschoben hatten;
auch war es mir nicht schwer, in den verstörten Mienen der Dame ihre jüngste
Geschichte zu lesen. Sie hatte auf der keinem Europäer verwehrten Empore der
Lateiner ein bescheidenes Schauplätzchcn gesucht, dort aber sich begnügen müssen,
die Rücken der dicht auf und an einander liegenden französischen Offiziere zu
betrachten, ein nur etwa für Feinde in der Schlacht erfreulicher Anblick —
und so abentheuerte sie nun in dem Soldatenspalier umher, um wo möglich
den Zweck ihres Aufenthaltes nicht zu verlieren. Ich beschloß sofort, den äsus
ex rrmenina. zu spielen und dem Paare einen Platz neben mir anzubieten, welche»,
wie ich voraussah, der Bischof seiner Geschäfte wegen gern räumen würde.

Ich machte also, da meine Stimme nicht durchdrang, mit beredten Zeichen
den Vorschlag, der wie eine Erlösung begrüßt wurde. Die Leiter war auch bald
wieder zur Hand; als aber der Bischof hinabgestiegen war, schwankte die Dame,
'und es schien, als ob sie sich verlegen zurückziehen wollte — gewiß nicht aus
Aengstlichkeit und noch weniger aus Besorgniß mit Oel nuk Lampenruß ihre
elegante Toilette zu verderben. Aber zu dieser Toilette gehörte eine patentirte
Crinoline, welche bis dahin im Gedränge zusammen gedrückt war. von der sich
aber voraussehen ließ, daß sie auf der Leiter über den Häuptern der Andächtigen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113779/138>, abgerufen am 08.01.2025.