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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band.

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rinn Stütze zu geben, noch selbst eine lebensfähige Regierung aus den Ta¬
lenten ihrer Mitte zu besetzen.

Zu dieser Aussicht haben nicht wenig die Wahlerlasse der neuen Minister
beigetragen, denn ein großer Theil der Beamten ist dadurch neutralisirt wor¬
den, und ihre Thätigkeit als Wähler, Wahlmänner und Deputirte wäre
vorzugsweise den Altliberalcn zu Gute gekommen. Auf der andern Seite hat
der Polizeigeist der Erlasse die öffentliche Meinung sofort gegen das neue
Ministerium erbittert; die Fortschrittspartei wird den nächsten Nutzen davonzie¬
hen, aber auch sie wird eine Anzahl ihrer besonnenen Kandidaten verlieren und
die Lücken durch neue Namen oder solche Persönlichkeiten ausfüllen, welche in
den letzten Kammern noch keine Aussicht hatten, gewählt zu werden. Diese
Veränderung in der Zusammensetzung der Fortschrittspartei wird wieder nicht
dazu beitragen, ihre Haltung ruhig, ihr Auftreten vorsichtig zu machen.

Deshalb läßt sich schon jetzt voraussagen, das, die Gegensätze in der nächsten
Session des Abgeordnetenhauses sehr feindlich gespannt sein werden, und daß
die Hoffnung gering ist, dem Gegensatz werde sofort eine befriedigende Versöh¬
nung der Krone mit der Volksstimmung und eine feste liberale Regierung fol¬
gen. -- Unterdeß hat durch die letzten indiscreten Enthüllungen der Presse das
Ministerium v. d. Heydt einen Schlag erhalten, den es nur schwer überwinden
wird.

Das Volk erkennt vielleicht aus den Reformen, welche jetzt plötzlich in den
Steuern und dem Militäretat eingeführt werden sollen, einen Fortschritt und Sieg,
eine Frucht des innern Parteikampfes, aber es fühlt sich dafür dem Ministerium
durchaus nicht verpflichtet. Daß der Trieb der Selbsterhaltung Herrn v. d.
Heydt diese Concessionen abgezwungen hat, wird seine Stellung dem nächsten
Landtage gegenüber nicht klarer und leichter machen, und die Art und Weise,
wie seine Pläne an das Licht getreten sind, trägt, so fürchten wir, nicht dazu
bei, seine Popularität zu erhöhen.

Es wäre nicht unmöglich, daß der neue Finanzminister mit Kollegen, über
welche er eine souveräne Herrschaft ausübt, sich zu dem neuen Abgeordneten¬
hause freundlich stellen könnte. Ein kräftiger, herrschlustiger Wille, in Preußen
so selten, vermag sich wohl eine widerwillige Anerkennung zu erzwingen. Aber
dazu wäre ein vollständiger Wechsel seiner Parteitaktik nothwendig. Wer in
der nächsten Zukunft in Preußen mit Erfolg regieren will, der muß, wie er
auch heiße, die Unterstützung der Fortschrittspartei für sich gewinnen. Diese
Thatsache mag man bedauern, sie ist unleugbar. Man kann diese Partei nicht
mehr ignoriren, kein kluger Politiker wird sie mit Abneigung und Hochmuth
behandeln. Es ist hohe Zeit, daß man sich gewöhne, sie als einen berechtigten
Factor im Leben des Staates zu betrachten, und es ist durchaus unfruchtbar,
ihr heut noch vorzuhalten, daß sie im ersten Jahre ihrer politischen Thätigkeit


rinn Stütze zu geben, noch selbst eine lebensfähige Regierung aus den Ta¬
lenten ihrer Mitte zu besetzen.

Zu dieser Aussicht haben nicht wenig die Wahlerlasse der neuen Minister
beigetragen, denn ein großer Theil der Beamten ist dadurch neutralisirt wor¬
den, und ihre Thätigkeit als Wähler, Wahlmänner und Deputirte wäre
vorzugsweise den Altliberalcn zu Gute gekommen. Auf der andern Seite hat
der Polizeigeist der Erlasse die öffentliche Meinung sofort gegen das neue
Ministerium erbittert; die Fortschrittspartei wird den nächsten Nutzen davonzie¬
hen, aber auch sie wird eine Anzahl ihrer besonnenen Kandidaten verlieren und
die Lücken durch neue Namen oder solche Persönlichkeiten ausfüllen, welche in
den letzten Kammern noch keine Aussicht hatten, gewählt zu werden. Diese
Veränderung in der Zusammensetzung der Fortschrittspartei wird wieder nicht
dazu beitragen, ihre Haltung ruhig, ihr Auftreten vorsichtig zu machen.

Deshalb läßt sich schon jetzt voraussagen, das, die Gegensätze in der nächsten
Session des Abgeordnetenhauses sehr feindlich gespannt sein werden, und daß
die Hoffnung gering ist, dem Gegensatz werde sofort eine befriedigende Versöh¬
nung der Krone mit der Volksstimmung und eine feste liberale Regierung fol¬
gen. — Unterdeß hat durch die letzten indiscreten Enthüllungen der Presse das
Ministerium v. d. Heydt einen Schlag erhalten, den es nur schwer überwinden
wird.

Das Volk erkennt vielleicht aus den Reformen, welche jetzt plötzlich in den
Steuern und dem Militäretat eingeführt werden sollen, einen Fortschritt und Sieg,
eine Frucht des innern Parteikampfes, aber es fühlt sich dafür dem Ministerium
durchaus nicht verpflichtet. Daß der Trieb der Selbsterhaltung Herrn v. d.
Heydt diese Concessionen abgezwungen hat, wird seine Stellung dem nächsten
Landtage gegenüber nicht klarer und leichter machen, und die Art und Weise,
wie seine Pläne an das Licht getreten sind, trägt, so fürchten wir, nicht dazu
bei, seine Popularität zu erhöhen.

Es wäre nicht unmöglich, daß der neue Finanzminister mit Kollegen, über
welche er eine souveräne Herrschaft ausübt, sich zu dem neuen Abgeordneten¬
hause freundlich stellen könnte. Ein kräftiger, herrschlustiger Wille, in Preußen
so selten, vermag sich wohl eine widerwillige Anerkennung zu erzwingen. Aber
dazu wäre ein vollständiger Wechsel seiner Parteitaktik nothwendig. Wer in
der nächsten Zukunft in Preußen mit Erfolg regieren will, der muß, wie er
auch heiße, die Unterstützung der Fortschrittspartei für sich gewinnen. Diese
Thatsache mag man bedauern, sie ist unleugbar. Man kann diese Partei nicht
mehr ignoriren, kein kluger Politiker wird sie mit Abneigung und Hochmuth
behandeln. Es ist hohe Zeit, daß man sich gewöhne, sie als einen berechtigten
Factor im Leben des Staates zu betrachten, und es ist durchaus unfruchtbar,
ihr heut noch vorzuhalten, daß sie im ersten Jahre ihrer politischen Thätigkeit


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[0125] rinn Stütze zu geben, noch selbst eine lebensfähige Regierung aus den Ta¬ lenten ihrer Mitte zu besetzen. Zu dieser Aussicht haben nicht wenig die Wahlerlasse der neuen Minister beigetragen, denn ein großer Theil der Beamten ist dadurch neutralisirt wor¬ den, und ihre Thätigkeit als Wähler, Wahlmänner und Deputirte wäre vorzugsweise den Altliberalcn zu Gute gekommen. Auf der andern Seite hat der Polizeigeist der Erlasse die öffentliche Meinung sofort gegen das neue Ministerium erbittert; die Fortschrittspartei wird den nächsten Nutzen davonzie¬ hen, aber auch sie wird eine Anzahl ihrer besonnenen Kandidaten verlieren und die Lücken durch neue Namen oder solche Persönlichkeiten ausfüllen, welche in den letzten Kammern noch keine Aussicht hatten, gewählt zu werden. Diese Veränderung in der Zusammensetzung der Fortschrittspartei wird wieder nicht dazu beitragen, ihre Haltung ruhig, ihr Auftreten vorsichtig zu machen. Deshalb läßt sich schon jetzt voraussagen, das, die Gegensätze in der nächsten Session des Abgeordnetenhauses sehr feindlich gespannt sein werden, und daß die Hoffnung gering ist, dem Gegensatz werde sofort eine befriedigende Versöh¬ nung der Krone mit der Volksstimmung und eine feste liberale Regierung fol¬ gen. — Unterdeß hat durch die letzten indiscreten Enthüllungen der Presse das Ministerium v. d. Heydt einen Schlag erhalten, den es nur schwer überwinden wird. Das Volk erkennt vielleicht aus den Reformen, welche jetzt plötzlich in den Steuern und dem Militäretat eingeführt werden sollen, einen Fortschritt und Sieg, eine Frucht des innern Parteikampfes, aber es fühlt sich dafür dem Ministerium durchaus nicht verpflichtet. Daß der Trieb der Selbsterhaltung Herrn v. d. Heydt diese Concessionen abgezwungen hat, wird seine Stellung dem nächsten Landtage gegenüber nicht klarer und leichter machen, und die Art und Weise, wie seine Pläne an das Licht getreten sind, trägt, so fürchten wir, nicht dazu bei, seine Popularität zu erhöhen. Es wäre nicht unmöglich, daß der neue Finanzminister mit Kollegen, über welche er eine souveräne Herrschaft ausübt, sich zu dem neuen Abgeordneten¬ hause freundlich stellen könnte. Ein kräftiger, herrschlustiger Wille, in Preußen so selten, vermag sich wohl eine widerwillige Anerkennung zu erzwingen. Aber dazu wäre ein vollständiger Wechsel seiner Parteitaktik nothwendig. Wer in der nächsten Zukunft in Preußen mit Erfolg regieren will, der muß, wie er auch heiße, die Unterstützung der Fortschrittspartei für sich gewinnen. Diese Thatsache mag man bedauern, sie ist unleugbar. Man kann diese Partei nicht mehr ignoriren, kein kluger Politiker wird sie mit Abneigung und Hochmuth behandeln. Es ist hohe Zeit, daß man sich gewöhne, sie als einen berechtigten Factor im Leben des Staates zu betrachten, und es ist durchaus unfruchtbar, ihr heut noch vorzuhalten, daß sie im ersten Jahre ihrer politischen Thätigkeit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113779/125>, abgerufen am 06.01.2025.