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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band.

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Versuche man es nicht, der historischen Statue einen beliebigen Feder antiken
Gewandes anzuhängen, der ihr doch immer läßt, wie ein im letzten Augenblicke
erworbenes Putzstück aus der Trödelbude. Auch das ist vom Uebel, wenn in
einer besonderen Geberde die Bedeutung des Mannes schlagend sich aussprechen
soll; als ob sich ein Charakter in die Spitze eines theatralischen Momentes zu-
sammendrängen ließe! Es war ein Mißgriff, daß man im Goethe- und
Schiller-Denkmal zu Weimar die Freundschaft der Dichter und ihre gleiche Be¬
rechtigung zur Unsterblichkeit darstellen wollte. Was man durch die Beachtung
der bestimmten individuellen Erscheinung gutgemacht, das hat man durch den
unklaren Ausdruck eines so unplastischen Pathos wieder verdorben. Es ist zu
bedauern, daß Rietschel einer solchen Auffassung sich unterziehen mußte. Zu
der Knappheit der modernen Culturformen paßt überhaupt ein aufgeregtes,
schwungvoll heraussprudelndes Wesen nicht. Der Künstler hat den Hauch des
Geistes über die ganze Gestalt auszubreiten, diese muß fest in sich ruhend, als
die lebendige Stätte desselben erscheinen, gleichsam als seine unerschütterliche
WirMchtcit. Wohl steht hier nicht selten die gar zu ungünstige Kleidung dem
Bildner entgegen; nur um so mehr muß er, damit das Geringfügige und Zu¬
fällige zurücktrete, in einer ganz einfachen Haltung und Bewegung den Aus¬
druck der in ruhiger Gediegenheit in sich zusammengefaßten Persönlichkeit ge¬
ben und vornehmlich hat in deren Gesichtszügen ihr großes Thun und Leiden
sichtbar unsichtbar zu erscheinen. Aber auch dieses kleine Feld der Plastik, auf
dem die Gegenwart etwas Tüchtiges leisten könnte, scheint, nachdem Rauch und
Rietschel uns verlassen haben, auf eine weitere Ausbildung vorerst noch warten
zu müssen. Was sich Derartiges außer den Büsten und Skizzen jener Meister
auf der Ausstellung fand, war von geringer Bedeutung.

Aber ein anderes Verhältniß als die Sculptur nimmt die Malerei zum
Zeitalter ein. Für sie ist nicht umsonst der ganze weite Kreis der Natur und
Geschichte erschlossen, durch die Einkehr in die Tiefe der Dinge das Geheimniß
ihres Wesens aufgedeckt. Sie mag nun in der Weite der freigegebenen Welt
ungehindert schweifen, denn jede Erscheinung lebt und athmet im seelenvollen
Glanz des Lichtes und strahlt selber eine glühende Fülle des Lebens aus, seit
der menschliche Geist das blasse stille Jenseits verlassen und in der Wirklichkeit
als seinem wahren Reich sich eingebürgert hat. Vor der Fülle von Beziehun¬
gen und Verwickelungen, die nun erst recht sich aufthun, schrickt die Malerei
nicht zurück, denn sie sieht das Einzelne immer in dem Ganzen einer umgeben¬
den Welt, die ihr Leben voll und üppig selbst in den letzten Grashalm aus¬
streut. Und da im Ausdruck und im farbigen tiefleuchtenden Schein die Seele,
die innerliche Bewegung an das Tageslicht hinausschlägt, die geheime Tiefe
sichtbar widerzittert, so mag der Maler bisweilen auch in den verborgenen
Schacht hinabsteigen, das Gold hervorholen und in der Erscheinung als ähnungs-


Versuche man es nicht, der historischen Statue einen beliebigen Feder antiken
Gewandes anzuhängen, der ihr doch immer läßt, wie ein im letzten Augenblicke
erworbenes Putzstück aus der Trödelbude. Auch das ist vom Uebel, wenn in
einer besonderen Geberde die Bedeutung des Mannes schlagend sich aussprechen
soll; als ob sich ein Charakter in die Spitze eines theatralischen Momentes zu-
sammendrängen ließe! Es war ein Mißgriff, daß man im Goethe- und
Schiller-Denkmal zu Weimar die Freundschaft der Dichter und ihre gleiche Be¬
rechtigung zur Unsterblichkeit darstellen wollte. Was man durch die Beachtung
der bestimmten individuellen Erscheinung gutgemacht, das hat man durch den
unklaren Ausdruck eines so unplastischen Pathos wieder verdorben. Es ist zu
bedauern, daß Rietschel einer solchen Auffassung sich unterziehen mußte. Zu
der Knappheit der modernen Culturformen paßt überhaupt ein aufgeregtes,
schwungvoll heraussprudelndes Wesen nicht. Der Künstler hat den Hauch des
Geistes über die ganze Gestalt auszubreiten, diese muß fest in sich ruhend, als
die lebendige Stätte desselben erscheinen, gleichsam als seine unerschütterliche
WirMchtcit. Wohl steht hier nicht selten die gar zu ungünstige Kleidung dem
Bildner entgegen; nur um so mehr muß er, damit das Geringfügige und Zu¬
fällige zurücktrete, in einer ganz einfachen Haltung und Bewegung den Aus¬
druck der in ruhiger Gediegenheit in sich zusammengefaßten Persönlichkeit ge¬
ben und vornehmlich hat in deren Gesichtszügen ihr großes Thun und Leiden
sichtbar unsichtbar zu erscheinen. Aber auch dieses kleine Feld der Plastik, auf
dem die Gegenwart etwas Tüchtiges leisten könnte, scheint, nachdem Rauch und
Rietschel uns verlassen haben, auf eine weitere Ausbildung vorerst noch warten
zu müssen. Was sich Derartiges außer den Büsten und Skizzen jener Meister
auf der Ausstellung fand, war von geringer Bedeutung.

Aber ein anderes Verhältniß als die Sculptur nimmt die Malerei zum
Zeitalter ein. Für sie ist nicht umsonst der ganze weite Kreis der Natur und
Geschichte erschlossen, durch die Einkehr in die Tiefe der Dinge das Geheimniß
ihres Wesens aufgedeckt. Sie mag nun in der Weite der freigegebenen Welt
ungehindert schweifen, denn jede Erscheinung lebt und athmet im seelenvollen
Glanz des Lichtes und strahlt selber eine glühende Fülle des Lebens aus, seit
der menschliche Geist das blasse stille Jenseits verlassen und in der Wirklichkeit
als seinem wahren Reich sich eingebürgert hat. Vor der Fülle von Beziehun¬
gen und Verwickelungen, die nun erst recht sich aufthun, schrickt die Malerei
nicht zurück, denn sie sieht das Einzelne immer in dem Ganzen einer umgeben¬
den Welt, die ihr Leben voll und üppig selbst in den letzten Grashalm aus¬
streut. Und da im Ausdruck und im farbigen tiefleuchtenden Schein die Seele,
die innerliche Bewegung an das Tageslicht hinausschlägt, die geheime Tiefe
sichtbar widerzittert, so mag der Maler bisweilen auch in den verborgenen
Schacht hinabsteigen, das Gold hervorholen und in der Erscheinung als ähnungs-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113779/101>, abgerufen am 08.01.2025.