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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band.

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griechischen Meister den Bann nicht, der noch immer wie mit sieben Siegeln
den Zauber der Form geschlossen hält? Da Ihr den frommen Sinn, den inni¬
gen Ausdruck des Mittelalters nicht habt, nicht haben könnt, da Ihr die Ge¬
stalt mit der heitern Fülle der Phantasie nicht beleben kommt, die das wieder-
erwachende Italien üppig nach allen Seiten hin ausstreute, da Ihr endlich den
Inhalt Eurer Zeit in Marmor nicht zu fassen vermögen so lernet einmal das
Leben in der Form entdecken, im Aeußeren das unbemittelbare Dasein des Geistes
erblicken, in der Form die Seele selber, nicht das bloße Werkzeug eines, ich
weiß nicht welches Innern! Würde Euch die Form erst aufgehen, so würde
auch aus den Zügen Euerer Gestalten ein inneres Leben hervorsehen. Ließe
sich das der Künstler von der Geschichte zurufen, so würde er es nicht versuchen,
wie das nun in Köln zu sehen war. jungen gährenden Wein in krystallene
Schcialen zu gießen; denn das ist es, wenn man König Lear und Lady Mac¬
beth plastisch darzustellen unternimmt.

Indessen hat die Sculptur der Gegenwart noch ein anderes Feld als das
der idealen Darstellungen, und auf ihm, wenn es auch ein engbegrenztes ist.
vermag sie der Eigenthümlichkeit des modernen Geistes in gewissen Grenzen
einen plastischen Ausdruck zu geben. Die Geschichte saßt sich auch jetzt noch
in einzelnen großen Individuen zusammen, welche den allgemeinen Inhalt der
Zeit mit ihrer eigenen Natur zu einem Ganzen verschmelzen. In ihnen kann
durch den Kampf und Zufall des in heiße Gegensätze verwickelten Lebens die
körperliche Form bis zu einem gewissen Grade gebrochen sein, ohne deshalb
plastisch unbildsam zu werden; der Adel und Sieg des Geistes gibt der Gestalt
das Gepräge der von innen herausgebildeter Erscheinung, aus den individu¬
ellen Zügen blickt, in der vom Kampf wohl mitgenommenen, aber strammen,
straffen Persönlichkeit ruht eine ganze Welt. Die einfache von der Noth der
Wirklichkeit unberührte Idealität der Form ist verloren, aber die Gestalt ist in
der Bedingtheit ihres natürlichen Daseins zum idealen Ausdruck des Geistes
erhoben. Daß diese von der Arbeit der Geschichte gehobene und geläuterte In¬
dividualität zur plastischen Darstellung gar wohl sich eignet, das haben Rauch
und Rietschel begriffen, nachdem Dannecker mit seiner Büste Schiller's voran¬
gegangen war. Und eben deshalb, weil der historische Mensch, der nun in die
Kunst an die Stelle des friedlichen, kampflosen Ideals eintritt, an sich zeigen
soll, daß der innere Gehalt sein äußeres Dasein ohne Rast durchdrungen habe,
daß die spröde Wirklichkeit vom Hauche des Geistes ganz durchströmt sei: des¬
halb hat ihn die Plastik genau in der Bestimmtheit seiner gegenwärtigen Er¬
scheinung zu bilden, in seinem Costüm, in der Eigenthümlichkeit seiner Haltung
und Züge. Es' muß sich zeigen, daß die Vermittlung mit den Mächten seines
Zeitalters eine gewordene, daß auch das Aendere, Zufällige, Besondere in den
Kampf mit hineingezogen ist und nun auch am Siege Theil nimmt. Daher


griechischen Meister den Bann nicht, der noch immer wie mit sieben Siegeln
den Zauber der Form geschlossen hält? Da Ihr den frommen Sinn, den inni¬
gen Ausdruck des Mittelalters nicht habt, nicht haben könnt, da Ihr die Ge¬
stalt mit der heitern Fülle der Phantasie nicht beleben kommt, die das wieder-
erwachende Italien üppig nach allen Seiten hin ausstreute, da Ihr endlich den
Inhalt Eurer Zeit in Marmor nicht zu fassen vermögen so lernet einmal das
Leben in der Form entdecken, im Aeußeren das unbemittelbare Dasein des Geistes
erblicken, in der Form die Seele selber, nicht das bloße Werkzeug eines, ich
weiß nicht welches Innern! Würde Euch die Form erst aufgehen, so würde
auch aus den Zügen Euerer Gestalten ein inneres Leben hervorsehen. Ließe
sich das der Künstler von der Geschichte zurufen, so würde er es nicht versuchen,
wie das nun in Köln zu sehen war. jungen gährenden Wein in krystallene
Schcialen zu gießen; denn das ist es, wenn man König Lear und Lady Mac¬
beth plastisch darzustellen unternimmt.

Indessen hat die Sculptur der Gegenwart noch ein anderes Feld als das
der idealen Darstellungen, und auf ihm, wenn es auch ein engbegrenztes ist.
vermag sie der Eigenthümlichkeit des modernen Geistes in gewissen Grenzen
einen plastischen Ausdruck zu geben. Die Geschichte saßt sich auch jetzt noch
in einzelnen großen Individuen zusammen, welche den allgemeinen Inhalt der
Zeit mit ihrer eigenen Natur zu einem Ganzen verschmelzen. In ihnen kann
durch den Kampf und Zufall des in heiße Gegensätze verwickelten Lebens die
körperliche Form bis zu einem gewissen Grade gebrochen sein, ohne deshalb
plastisch unbildsam zu werden; der Adel und Sieg des Geistes gibt der Gestalt
das Gepräge der von innen herausgebildeter Erscheinung, aus den individu¬
ellen Zügen blickt, in der vom Kampf wohl mitgenommenen, aber strammen,
straffen Persönlichkeit ruht eine ganze Welt. Die einfache von der Noth der
Wirklichkeit unberührte Idealität der Form ist verloren, aber die Gestalt ist in
der Bedingtheit ihres natürlichen Daseins zum idealen Ausdruck des Geistes
erhoben. Daß diese von der Arbeit der Geschichte gehobene und geläuterte In¬
dividualität zur plastischen Darstellung gar wohl sich eignet, das haben Rauch
und Rietschel begriffen, nachdem Dannecker mit seiner Büste Schiller's voran¬
gegangen war. Und eben deshalb, weil der historische Mensch, der nun in die
Kunst an die Stelle des friedlichen, kampflosen Ideals eintritt, an sich zeigen
soll, daß der innere Gehalt sein äußeres Dasein ohne Rast durchdrungen habe,
daß die spröde Wirklichkeit vom Hauche des Geistes ganz durchströmt sei: des¬
halb hat ihn die Plastik genau in der Bestimmtheit seiner gegenwärtigen Er¬
scheinung zu bilden, in seinem Costüm, in der Eigenthümlichkeit seiner Haltung
und Züge. Es' muß sich zeigen, daß die Vermittlung mit den Mächten seines
Zeitalters eine gewordene, daß auch das Aendere, Zufällige, Besondere in den
Kampf mit hineingezogen ist und nun auch am Siege Theil nimmt. Daher


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113779/100>, abgerufen am 08.01.2025.