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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band.

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Konsequenzen zieht, die sich aus der griechischen Staatsidee ergeben, und
von seinem aristotelischen Standpunkt aus den ganzen dritten Stand vom
eigentlichen Staatsleben ausschließt, setzt das Sklavenelement ohne Bedenken
als nothwendig voraus und findet es recht, daß für Freie und Sklaven ver¬
schiedene Gesetze existiren. Daß Aristoteles dasselbe thut, ist ebensowenig zu
verwundern, da sich seine ganze Philosophie an das Vorhandene, Empirische,
durchgängig anschmiegt. Indem er eine besondere Sklaventugend annahm, die
ebenso wie die des Weibes und des Kindes von der des Mannes verschieden
wäre und überhaupt die moralische Tugend von der natürlichen Bestimmung,
über Andere zu herrschen, abhängig machte, gelangte er von falscher Voraussetzung
zu falschem Schlüsse und behauptete endlich ebenfalls der allgemeinen Ansicht
seiner Landsleute gemäß, daß die Hellenen, vermöge ihrer größern geistigen
Regsamkeit zum Herrschen bestimmt, nie rechtmäßig zu Sklaven werden könnten,
wohl aber die Barbaren, die nur unter sich freigeboren wären, den Griechen
gegenüber sich ins Joch beugen müßten. Daher nennt er auch den Sklaven
ein "beseeltes Werkzeug", jedes Werkzeug einen "unbeseelten Sklaven", und
sagt, daß sich letzterer hinsichtlich des Gebrauches wenig vom Hausthier unter¬
scheide. Freilich -- jund das muß man ferner zur Entschuldigung des Alter¬
thums in Anschlag bringen -- war auch das Staatsleben, wie es in Hellas
war und wie es nach Platonischen und Aristotelischen Ideen sein sollte, nur
unter Voraussetzung der Sklaverei möglich, und ohne dieselbe wäre vielleicht
die volle Harmonie des griechischen Wesens in der Geschichte gar nicht zur Er¬
scheinung gekommen. Es war, wie schon angedeutet, nothwendig, daß der
Bürgerstand den Handwerksarbeiten und damit zugleich der den Geist nieder¬
drückenden, den Körper ermattenden Mühe um des Lebens Nothdurft entnom¬
men war, damit der zur Theilnahme an der öffentlichen Gewalt berechtigte
freie Bürger in voller Unabhängigkeit sich um die Angelegenheiten des Staates
kümmern konnte. Dadurch ist natürlich die Sklaverei keineswegs gerechtfertigt;
denn auch bei uns gibt es überall eine auf die niedern Arbeiten des Lebens
angewiesene Klasse, die vor dem Gesetze dennoch mit den Andern auf gleicher
Stufe der Berechtigung steht (wenn sich auch sonst ihr Loos in Wirklichkeit
wenig von dem der Sklaven unterscheidet!"; aber man kann einmal nicht dem
Nativnalstolze der Hellenen etwas zumuthen wollen, das bei den christlichen
Völkern so viele Jahrhunderte gebraucht hat, um zur vollen Anerkennung zu
gelangen, während es doch klar im Principe der Religion gelegen hat. Außer¬
dem ist ja der Zustand der aus der Leibeigenschaft Entlassener noch heute in
manchen Ländern, z. B. in den deutschen Ostseeprovinzen Rußlands, beinahe
noch erbärmlicher als früher, wo sie wenigstens lvor dem Hungertode ge¬
schützt waren.

Es herrschte unter den Griechen selbst die Annahme, daß es einst eine Zeit


Konsequenzen zieht, die sich aus der griechischen Staatsidee ergeben, und
von seinem aristotelischen Standpunkt aus den ganzen dritten Stand vom
eigentlichen Staatsleben ausschließt, setzt das Sklavenelement ohne Bedenken
als nothwendig voraus und findet es recht, daß für Freie und Sklaven ver¬
schiedene Gesetze existiren. Daß Aristoteles dasselbe thut, ist ebensowenig zu
verwundern, da sich seine ganze Philosophie an das Vorhandene, Empirische,
durchgängig anschmiegt. Indem er eine besondere Sklaventugend annahm, die
ebenso wie die des Weibes und des Kindes von der des Mannes verschieden
wäre und überhaupt die moralische Tugend von der natürlichen Bestimmung,
über Andere zu herrschen, abhängig machte, gelangte er von falscher Voraussetzung
zu falschem Schlüsse und behauptete endlich ebenfalls der allgemeinen Ansicht
seiner Landsleute gemäß, daß die Hellenen, vermöge ihrer größern geistigen
Regsamkeit zum Herrschen bestimmt, nie rechtmäßig zu Sklaven werden könnten,
wohl aber die Barbaren, die nur unter sich freigeboren wären, den Griechen
gegenüber sich ins Joch beugen müßten. Daher nennt er auch den Sklaven
ein „beseeltes Werkzeug", jedes Werkzeug einen „unbeseelten Sklaven", und
sagt, daß sich letzterer hinsichtlich des Gebrauches wenig vom Hausthier unter¬
scheide. Freilich — jund das muß man ferner zur Entschuldigung des Alter¬
thums in Anschlag bringen — war auch das Staatsleben, wie es in Hellas
war und wie es nach Platonischen und Aristotelischen Ideen sein sollte, nur
unter Voraussetzung der Sklaverei möglich, und ohne dieselbe wäre vielleicht
die volle Harmonie des griechischen Wesens in der Geschichte gar nicht zur Er¬
scheinung gekommen. Es war, wie schon angedeutet, nothwendig, daß der
Bürgerstand den Handwerksarbeiten und damit zugleich der den Geist nieder¬
drückenden, den Körper ermattenden Mühe um des Lebens Nothdurft entnom¬
men war, damit der zur Theilnahme an der öffentlichen Gewalt berechtigte
freie Bürger in voller Unabhängigkeit sich um die Angelegenheiten des Staates
kümmern konnte. Dadurch ist natürlich die Sklaverei keineswegs gerechtfertigt;
denn auch bei uns gibt es überall eine auf die niedern Arbeiten des Lebens
angewiesene Klasse, die vor dem Gesetze dennoch mit den Andern auf gleicher
Stufe der Berechtigung steht (wenn sich auch sonst ihr Loos in Wirklichkeit
wenig von dem der Sklaven unterscheidet!»; aber man kann einmal nicht dem
Nativnalstolze der Hellenen etwas zumuthen wollen, das bei den christlichen
Völkern so viele Jahrhunderte gebraucht hat, um zur vollen Anerkennung zu
gelangen, während es doch klar im Principe der Religion gelegen hat. Außer¬
dem ist ja der Zustand der aus der Leibeigenschaft Entlassener noch heute in
manchen Ländern, z. B. in den deutschen Ostseeprovinzen Rußlands, beinahe
noch erbärmlicher als früher, wo sie wenigstens lvor dem Hungertode ge¬
schützt waren.

Es herrschte unter den Griechen selbst die Annahme, daß es einst eine Zeit


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113779/10>, abgerufen am 06.01.2025.