Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.hörten die Rücksichten auf, welche hie und da den festen systematischen Gang der In beiden Beziehungen ist im Laufe des Jahres wenig oder nichts geschehen. Man hatte also beim Schluß des letzten Landtages die Aussicht vor sich, daß In diese Stimmung schlug das Programm der Fortschrittspartei ein. Sein hörten die Rücksichten auf, welche hie und da den festen systematischen Gang der In beiden Beziehungen ist im Laufe des Jahres wenig oder nichts geschehen. Man hatte also beim Schluß des letzten Landtages die Aussicht vor sich, daß In diese Stimmung schlug das Programm der Fortschrittspartei ein. Sein <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0085" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/113327"/> <p xml:id="ID_250" prev="#ID_249"> hörten die Rücksichten auf, welche hie und da den festen systematischen Gang der<lb/> Regierung gehemmt hatten. Jetzt begann man, alle Verhältnisse des Staats zu<lb/> dem Geiste des neuen Königs in unmittelbare Beziehung zu setzen. Unter dem<lb/> Eindruck solcher Stimmungen trat im vorigen Jahre der Landtag zusammen. Hier<lb/> liegt der tiefere Grund, weshalb man von da an sich zu größerer Ungeduld berech¬<lb/> tigt glaubte. Auf die Periode der Regentschaft blickte man zurück mit einem auf¬<lb/> richtigen Dankgefühl, daß sie Recht und Gesetz zur Geltung gebracht, daß sie Hu¬<lb/> manität und Liberalität in die Verwaltung zurückgeführt hatte. Aber damit konnte<lb/> doch der Umschwung nicht beendigt sein. Eine bessere Handhabung der laufenden<lb/> Geschäfte genügt nicht in dem drängenden Ernst dieser Zeit. Es mußte nun doch<lb/> endlich Ernst gemacht werden milder Beseitigung der Hemmnisse unserer innern Entwick¬<lb/> lung, mit der Anbahnung einer Reform der deutschen Verhältnisse.</p><lb/> <p xml:id="ID_251"> In beiden Beziehungen ist im Laufe des Jahres wenig oder nichts geschehen.<lb/> Während des letzten Landtages machte die Haltung der Regierung vielmehr den<lb/> Eindruck, daß es ihr an einem festen Plan und durchgreifenden Gedanken fehle.<lb/> Mit Ausnahme der Grundstcucrreform, in welcher man schließlich der feudalen<lb/> Partei noch die erheblichsten Zugeständnisse gemacht hatte, war jeder Gesetzentwurf<lb/> von irgend einer Bedeutung an dem Widerstand des Herrenhauses gescheitert. Die<lb/> Regierung aber sah dem ruhig zu, als ob wir Zeit hätten, mit der gesammten<lb/> Tntwickelung unserer Gesetzgebung zu warten, bis in die dicken Köpfe unserer Junker<lb/> etwas mehr Licht eingedrungen sein wird. Die im November verfügte Veränderung<lb/> in der Vertretung des alten und befestigten Grundbesitzes im Herrenhause kann<lb/> uns nur wenig verschlagen. Das ist eine Reform, die höchstens unseren Kindem<lb/> zu Gute kommt. Denn sie tritt erst in Kraft, nachdem etwa 50 Mitglieder des<lb/> Herrenhauses gestorben sein werden. Außerdem aber ist diese homöopathische Dosis<lb/> gradezu vom Uebel ; denn es ist damit eine neue Anerkennung der Verordnung vom<lb/> 12. October 1854 verbunden, deren Legalität im höchsten Grade zweifelhaft ist und<lb/> auf welcher die unglückselige Zusammensetzung des Herrenhauses zum größten Theil<lb/> beruht.</p><lb/> <p xml:id="ID_252"> Man hatte also beim Schluß des letzten Landtages die Aussicht vor sich, daß<lb/> noch für geraume Zeit jeder Fortschritt im Inneren durch das Herrenhaus werde<lb/> vernichtet werden. Und wenn im Innern, dann nothwendig auch in der deutschen<lb/> Frage. Denn wie soll Preußen seine Attractionskraft gegen die übrigen deutschen<lb/> Staaten üben können, wenn im Innern der Sammelort feudaler Institutionen<lb/> sorgfältig conservirt wird? Daraus erklärt sich das allgemeine Unbefriedigtscin, das<lb/> Mißbehagen, welches man in allen Kreisen der liberalen Partei, nicht blos i» den<lb/> fortgeschrittenen empfand. Diese Stimmung ging hervor aus dem Mangel an<lb/> Entschiedenheit und Sicherheit in dem Gang der inneren und äußeren Politik unserer<lb/> Regierung, aus dem damit zusammenhängenden Mangel an Erfolgen in der aus¬<lb/> wärtigen Politik.</p><lb/> <p xml:id="ID_253" next="#ID_254"> In diese Stimmung schlug das Programm der Fortschrittspartei ein. Sein<lb/> Erfolg erklärt sich einfach daraus, daß es der herrschenden Stimmung vollkommen<lb/> entsprach. Man war mit dem Gang der Negierung nicht ganz einverstanden; aber<lb/> man fand die Ursache der Uebelstände mehr in der Schwäche, als in dem Willen<lb/> der Regierung; man wollte diese deshalb eher stärken als schwächen, aber nur in</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0085]
hörten die Rücksichten auf, welche hie und da den festen systematischen Gang der
Regierung gehemmt hatten. Jetzt begann man, alle Verhältnisse des Staats zu
dem Geiste des neuen Königs in unmittelbare Beziehung zu setzen. Unter dem
Eindruck solcher Stimmungen trat im vorigen Jahre der Landtag zusammen. Hier
liegt der tiefere Grund, weshalb man von da an sich zu größerer Ungeduld berech¬
tigt glaubte. Auf die Periode der Regentschaft blickte man zurück mit einem auf¬
richtigen Dankgefühl, daß sie Recht und Gesetz zur Geltung gebracht, daß sie Hu¬
manität und Liberalität in die Verwaltung zurückgeführt hatte. Aber damit konnte
doch der Umschwung nicht beendigt sein. Eine bessere Handhabung der laufenden
Geschäfte genügt nicht in dem drängenden Ernst dieser Zeit. Es mußte nun doch
endlich Ernst gemacht werden milder Beseitigung der Hemmnisse unserer innern Entwick¬
lung, mit der Anbahnung einer Reform der deutschen Verhältnisse.
In beiden Beziehungen ist im Laufe des Jahres wenig oder nichts geschehen.
Während des letzten Landtages machte die Haltung der Regierung vielmehr den
Eindruck, daß es ihr an einem festen Plan und durchgreifenden Gedanken fehle.
Mit Ausnahme der Grundstcucrreform, in welcher man schließlich der feudalen
Partei noch die erheblichsten Zugeständnisse gemacht hatte, war jeder Gesetzentwurf
von irgend einer Bedeutung an dem Widerstand des Herrenhauses gescheitert. Die
Regierung aber sah dem ruhig zu, als ob wir Zeit hätten, mit der gesammten
Tntwickelung unserer Gesetzgebung zu warten, bis in die dicken Köpfe unserer Junker
etwas mehr Licht eingedrungen sein wird. Die im November verfügte Veränderung
in der Vertretung des alten und befestigten Grundbesitzes im Herrenhause kann
uns nur wenig verschlagen. Das ist eine Reform, die höchstens unseren Kindem
zu Gute kommt. Denn sie tritt erst in Kraft, nachdem etwa 50 Mitglieder des
Herrenhauses gestorben sein werden. Außerdem aber ist diese homöopathische Dosis
gradezu vom Uebel ; denn es ist damit eine neue Anerkennung der Verordnung vom
12. October 1854 verbunden, deren Legalität im höchsten Grade zweifelhaft ist und
auf welcher die unglückselige Zusammensetzung des Herrenhauses zum größten Theil
beruht.
Man hatte also beim Schluß des letzten Landtages die Aussicht vor sich, daß
noch für geraume Zeit jeder Fortschritt im Inneren durch das Herrenhaus werde
vernichtet werden. Und wenn im Innern, dann nothwendig auch in der deutschen
Frage. Denn wie soll Preußen seine Attractionskraft gegen die übrigen deutschen
Staaten üben können, wenn im Innern der Sammelort feudaler Institutionen
sorgfältig conservirt wird? Daraus erklärt sich das allgemeine Unbefriedigtscin, das
Mißbehagen, welches man in allen Kreisen der liberalen Partei, nicht blos i» den
fortgeschrittenen empfand. Diese Stimmung ging hervor aus dem Mangel an
Entschiedenheit und Sicherheit in dem Gang der inneren und äußeren Politik unserer
Regierung, aus dem damit zusammenhängenden Mangel an Erfolgen in der aus¬
wärtigen Politik.
In diese Stimmung schlug das Programm der Fortschrittspartei ein. Sein
Erfolg erklärt sich einfach daraus, daß es der herrschenden Stimmung vollkommen
entsprach. Man war mit dem Gang der Negierung nicht ganz einverstanden; aber
man fand die Ursache der Uebelstände mehr in der Schwäche, als in dem Willen
der Regierung; man wollte diese deshalb eher stärken als schwächen, aber nur in
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