Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.Deutschen, bei denen die Dialekt-Klänge ihrer Heimath kräftig gebändigt Es ist klar, daß bei solcher Methode der Darstellung sich trotz der ver¬ Jetzt wurde die junge Dichtkunst der Deutschen Gebieterin der Bühne, eine Grenzboten I. 1SK2. 10
Deutschen, bei denen die Dialekt-Klänge ihrer Heimath kräftig gebändigt Es ist klar, daß bei solcher Methode der Darstellung sich trotz der ver¬ Jetzt wurde die junge Dichtkunst der Deutschen Gebieterin der Bühne, eine Grenzboten I. 1SK2. 10
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Deutschen, bei denen die Dialekt-Klänge ihrer Heimath kräftig gebändigt
waren. Aber wir dürfen annehmen, daß ihre Sprache weit weniger auf
Stärke und Energie des Tons, als auf zarte Schattirungen desselben gebil¬
det wurde, das Sprechen mit halber Stimme, die Laute weicher Empfin¬
dung. bezwungencrRührung. einen Wechsel zwischen Piano und Crescendo, zwischen
Andante und Allegro, den unsere Darsteller in dem großen Raume hervorzu¬
bringen gar nicht mehr im Stande sind. In dem Schlosse von Gotha ist
die Bühne erhalten, auf welcher Eckhof das erste deutsche Hoftheater leitete;
der Raum umfaßt etwa ein Drittel des cubischen Inhalts, welchen das Leip¬
ziger Theater hat. und er galt damals für groß und schwer durch eine Men-
schenstimme auszufüllen. Es ist kein Zweifel, daß sowohl Eckhof als Schröder
für unmöglich erklärt haben würden, in einem Raume, wie das gegenwärtige
Berliner Schauspielhaus, zuspielen. In solchem kleinen Saale war der Schauspieler,
ähnlich wie im modernen Salon, dem Publicum nahe, als wenn er unter
ihm stände. Schneller drang der Ton auch in die entlegenen Ecken, schärfer
war die Beobachtung jeder Einzelheit, behender das Verständniß auch der
kleinsten Andeutung.
Es ist klar, daß bei solcher Methode der Darstellung sich trotz der ver¬
schiedenen Genre, welche damals auf derselben Bühne neben einander liefen,
das ausbilden mußte, was wir in der Kunst Stil nennen, eine Methode,
zu wirken, welche fest auf der entsprechenden Methode des Publicums. zu em¬
pfinden und sich darzustellen, beruhte. Aber ebenso klar ist, daß diese immerhin
nationale Kunst sich nicht erhalten konnte, als die alten Formen des Lebens
gebrochen wurden und seit der Werther-Zeit und dem Eindringen Shake¬
speare's, vollends seit dem Beginne der französischen Revolution, an die
Stelle der alten festgebundenen Einheit des deutschen Lebens eine Periode
großartiger und massenhafter Aufnahme fremden Büdungsstoffes trat. Schrö¬
der wußte sehr gut, was er that, als er die ungeheuren Wirkungen Shake¬
speare's nur in prosaischer Bearbeitung seinen Zuhörern vorführen wollte.
Schon in dieser Umformung war es ihm ein kühnes Unternehmen. Und in
der That reichte dafür die alte Methode der Darstellung schwerlich mehr aus,
deren Wesen doch vorzugsweise schöne Detailschilderung, fein ausgeführte Ueber-
gänge, denerees Andenken, ein voller und reicher Ausdruck vielleicht nur bei
den Klängen weicher Empfindung war. Und als vollends das Mittelnlter,
das spanische Theater, die nicht französirte Antike eindrangen, als das alte
Costüm fallen mußte, die Ritterrüstung rasselte, der große Spornstiefel klirrte
als derbe Ungeheuerlichkeit das Modegelüst wurde, da ging es schnell mit
dem alten festen Siyl zu Ende. Es war ein großer Verlust, aber ein nothwendiger.
Jetzt wurde die junge Dichtkunst der Deutschen Gebieterin der Bühne, eine
rücksichtslose, zuweilen übermüthige Herrin. Die Blüthe der Poesie unter
Grenzboten I. 1SK2. 10
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