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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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beschränkten Verhältnissen versuchte, der darstellenden Kunst in Düsseldorf eine
Heimath zu bereiten. Dies Unternehmen ging zum Theil daran unter, daß
Immermann selbst nicht alle Lebensbedingungen der Schauspielkunst würdigte,
zumeist aber, weil die Kräfte der Stadt nicht groß genug .waren, eine stehende
Bühne zu erhalten.

Der Versasser schließt seine Darstellung des Düsseldorfer Unternehmens
mit folgenden beherzigenswerthen Worten: "Diese traurige Geschichte des
Immermann'schen Theaters enthält die ganze Misöre der herrschenden Zu¬
stünde. Einer der edelsten und tüchtigsten Männer Deutschlands richtet sich
mitten in dem Taumel des brillanten Kunstruins plötzlich auf, schlägt in
.energischer Begeisterung Amt und bürgerliche Stellung in die Schanze, achtet
des Achselzuckens und Kopfschüttclns der soliden Leute nicht, und legt alt kräf¬
tigem Willen und schnell entwickelter Fähigkeit Hand an zur Wiedernufrich-
tnng der Kunst. Und da er seine Kraft bewährt, da er die Mittel tara>
than. mit denen schnell geholfen werden kann, sieht er sich im Stich gelassc!,.
den Werth seines Bemühens verkannt, die Resultate geringschätzig aufgege¬
ben. -- Auch einer der vielen deutschen Anfänge ohne Dauer."

Der vorliegende vierte Theil umfaßt keinen abgeschlossenen Zeitraum;
denn dieselben Uebelstände lasten noch heut auf der Schauspielkunst. > Aber in
den letzten fünfundzwanzig Jahren hat sich außerdem noch ein anderes Leiden
massenhaft entwickelt, welches unserem Theaterleben eine besondere Physio¬
gnomie giebt, das Virtuosenthum und die viel reisenden Gäste. Wenn der ge¬
ehrte Verfasser einem letzten Bande die Darstellung dieser auflösenden Ver¬
hältnisse vorbehalten hat, so wollen wir von Herzen wünschen, daß ihm die
Freude daran nicht verdorben werden möge. Denn schon das Spiegelbild
einer kurz vergangenen Zeit, welches in dem vorliegenden Bande zu finden
ist, wird lebhaften Gegensatz hervorrufen, der allerdings geringe Berech¬
tigung hat. Wer es aber mit deutscher Kunst ernst meint, ist dem Verfasser
zu großem Danke verpflichtet, daß er rücksichtslos die Wahrheit ausgesprochen hat.

Unter den Leitern deutscher Bühnen nimmt Eduard Devrient eine be¬
sonders interessante Stellung ein.. Selbst ein tüchtiger darstellender Künstler,
selbst dramatischer Schriftsteller mit origineller Persönlichkeit, ein feingebildeter
Kenner auch alter und fremder Bühnenzustände und guter Beurtheiler von
Kunstleistungen, hat er als Leiter eines Hoftheaters gegen die Strömung des
Tages, auch gegen die. Gewöhnungen seines Publikums, seit beinahe zehn
Jahren einen ehrenwerthen und nicht resultatlosen Kampf gekämpft. Er hat
gezeigt, wie viel in der Gegenwart unter mäßigen Verhältnissen von einem
tüchtigen Dirigenten geleistet werden kann, wenn demselben von oben freie
Hand gelassen wird. Es ist eine Freude, in Karlsruhe Darstellungen anzu¬
sehen, denen die Talente der Spielenden irgend gewachsen sind, überall wird


beschränkten Verhältnissen versuchte, der darstellenden Kunst in Düsseldorf eine
Heimath zu bereiten. Dies Unternehmen ging zum Theil daran unter, daß
Immermann selbst nicht alle Lebensbedingungen der Schauspielkunst würdigte,
zumeist aber, weil die Kräfte der Stadt nicht groß genug .waren, eine stehende
Bühne zu erhalten.

Der Versasser schließt seine Darstellung des Düsseldorfer Unternehmens
mit folgenden beherzigenswerthen Worten: „Diese traurige Geschichte des
Immermann'schen Theaters enthält die ganze Misöre der herrschenden Zu¬
stünde. Einer der edelsten und tüchtigsten Männer Deutschlands richtet sich
mitten in dem Taumel des brillanten Kunstruins plötzlich auf, schlägt in
.energischer Begeisterung Amt und bürgerliche Stellung in die Schanze, achtet
des Achselzuckens und Kopfschüttclns der soliden Leute nicht, und legt alt kräf¬
tigem Willen und schnell entwickelter Fähigkeit Hand an zur Wiedernufrich-
tnng der Kunst. Und da er seine Kraft bewährt, da er die Mittel tara>
than. mit denen schnell geholfen werden kann, sieht er sich im Stich gelassc!,.
den Werth seines Bemühens verkannt, die Resultate geringschätzig aufgege¬
ben. — Auch einer der vielen deutschen Anfänge ohne Dauer."

Der vorliegende vierte Theil umfaßt keinen abgeschlossenen Zeitraum;
denn dieselben Uebelstände lasten noch heut auf der Schauspielkunst. > Aber in
den letzten fünfundzwanzig Jahren hat sich außerdem noch ein anderes Leiden
massenhaft entwickelt, welches unserem Theaterleben eine besondere Physio¬
gnomie giebt, das Virtuosenthum und die viel reisenden Gäste. Wenn der ge¬
ehrte Verfasser einem letzten Bande die Darstellung dieser auflösenden Ver¬
hältnisse vorbehalten hat, so wollen wir von Herzen wünschen, daß ihm die
Freude daran nicht verdorben werden möge. Denn schon das Spiegelbild
einer kurz vergangenen Zeit, welches in dem vorliegenden Bande zu finden
ist, wird lebhaften Gegensatz hervorrufen, der allerdings geringe Berech¬
tigung hat. Wer es aber mit deutscher Kunst ernst meint, ist dem Verfasser
zu großem Danke verpflichtet, daß er rücksichtslos die Wahrheit ausgesprochen hat.

Unter den Leitern deutscher Bühnen nimmt Eduard Devrient eine be¬
sonders interessante Stellung ein.. Selbst ein tüchtiger darstellender Künstler,
selbst dramatischer Schriftsteller mit origineller Persönlichkeit, ein feingebildeter
Kenner auch alter und fremder Bühnenzustände und guter Beurtheiler von
Kunstleistungen, hat er als Leiter eines Hoftheaters gegen die Strömung des
Tages, auch gegen die. Gewöhnungen seines Publikums, seit beinahe zehn
Jahren einen ehrenwerthen und nicht resultatlosen Kampf gekämpft. Er hat
gezeigt, wie viel in der Gegenwart unter mäßigen Verhältnissen von einem
tüchtigen Dirigenten geleistet werden kann, wenn demselben von oben freie
Hand gelassen wird. Es ist eine Freude, in Karlsruhe Darstellungen anzu¬
sehen, denen die Talente der Spielenden irgend gewachsen sind, überall wird


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/77>, abgerufen am 23.07.2024.