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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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halteres Kunstwerk, das den Marschall darstellt, wie er in der Schlacht bei
Ulm-Elchingcn das Gewehr eines Grenadiers ergreift, um damit voranzu¬
stürmen -- da war halb Saarlouis ausgewandert, um der Feier beizuwoh¬
nen. Wer nicht in Metz war. der hielt Festtag, viele Läden blieben ge¬
schlossen, die von der Monumententhüllung Zurückkehrenden wurden auf
dem Bahnhof mit einem grenzenlosen Enthusiasmus empfangen, es war als
hielten sie einen Triumphzug. sie wurden mit Kränzen überschüttet -- Fahnen
aber wallten nickt, besonders keine preußischen.

Denn Saarlouis ist eine durch und durch französische Stadt, in dieser
Beziehung vielleicht und zum Glück die einzige in ganz Deutschland. Es ist
dies im Grunde nicht zu verwundern. Die Einwohner sind zum größten Theil frau
zösischer Abstammung -- die lothringische Zeit ist begraben -- ihre Verwandten
wohnen in Frankreich, ihre intimsten Beziehungen wurzeln jenseits der Grenze.
Dies suchen sie mit ängstlicher Sorge auch aufrecht zu erhalten für die Zu>
kunst. Die Söhne der bemittelten Familien wandern, um der preußischen
Militärpflicht zu entgehen, frühzeitig aus und treten dann gewöhnlich in
französischen Kriegsdienst; diejenigen der Aermeren flüchten und ertragen
lieber die unsäglichen Strapazen der Fremdenlegion, als das mildere Joch
des deutschen Staates. Mädchen mit Vermögen heirathen fast durchweg
Franzosen, meistens Offiziere; auf Bällen, wie überall, geben sie diesen stets
sichtbaren Lorzug vor den preußischen Fähnrichs, Lieutenants und Hauptleuten.
Gegen diese steht Jedermann auf dem Fuß strenger Reserve, aber auch Höflich¬
keit. Hotels und Restaurationen, in welchen die Preußen verkehren, werden
von den Bürgern möglichst gemieden. Letztere verstehen und sprechen alle
vortrefflich deutsch, allein sogar wenn sie dies unter sich thun, beginnen sie
sofort eine französische Conversation, sobald ein Fremder naht. Redet dieser-
Einen aus ihrer Mitte deutsch an, so stellt sich der letztere harthörig und ant¬
wortet französisch; wer aber mit dergleichen Komödie schon vertraut ist, der
läßt sich nicht irre machen, denn er ist sicher, verstanden zu werden. Der
Bürgermeister der Stadt nennt sich und wird genannt Ur. Je Ug.ii-s. Und
sie halten gar nicht hinterm Berg mit ihren Sympathieen für Frankreich, die
guten Leute. "Wir sind mit Preußen, mit seiner Regierung, mit der Garnison,
völlig zufrieden." sagen sie; "aber sie zu lieben können wir uns nicht zwingen.
Es sind durchaus keine politischen, sondern reine Gründe der Familie,
wenn man so sagen kann, welche die Einwohner von Saarlouis so durch und
durch französisch gesinnt erhalten. Und sie sind dies fast ohne Ausnahme, selbst
diejenigen, welche ihren Unterhalt vorzugsweise der preußischen Besatzung ver¬
danken. Nur diese selbst und die Beamten, welche von anderswo dahin
versetzt worden sind, bilden den deutschen Kern dieser deutschen Grenzstadt.
Die Bauern aus dem Lande ringsum sind dagegen sammt und sonders gut


halteres Kunstwerk, das den Marschall darstellt, wie er in der Schlacht bei
Ulm-Elchingcn das Gewehr eines Grenadiers ergreift, um damit voranzu¬
stürmen — da war halb Saarlouis ausgewandert, um der Feier beizuwoh¬
nen. Wer nicht in Metz war. der hielt Festtag, viele Läden blieben ge¬
schlossen, die von der Monumententhüllung Zurückkehrenden wurden auf
dem Bahnhof mit einem grenzenlosen Enthusiasmus empfangen, es war als
hielten sie einen Triumphzug. sie wurden mit Kränzen überschüttet — Fahnen
aber wallten nickt, besonders keine preußischen.

Denn Saarlouis ist eine durch und durch französische Stadt, in dieser
Beziehung vielleicht und zum Glück die einzige in ganz Deutschland. Es ist
dies im Grunde nicht zu verwundern. Die Einwohner sind zum größten Theil frau
zösischer Abstammung — die lothringische Zeit ist begraben — ihre Verwandten
wohnen in Frankreich, ihre intimsten Beziehungen wurzeln jenseits der Grenze.
Dies suchen sie mit ängstlicher Sorge auch aufrecht zu erhalten für die Zu>
kunst. Die Söhne der bemittelten Familien wandern, um der preußischen
Militärpflicht zu entgehen, frühzeitig aus und treten dann gewöhnlich in
französischen Kriegsdienst; diejenigen der Aermeren flüchten und ertragen
lieber die unsäglichen Strapazen der Fremdenlegion, als das mildere Joch
des deutschen Staates. Mädchen mit Vermögen heirathen fast durchweg
Franzosen, meistens Offiziere; auf Bällen, wie überall, geben sie diesen stets
sichtbaren Lorzug vor den preußischen Fähnrichs, Lieutenants und Hauptleuten.
Gegen diese steht Jedermann auf dem Fuß strenger Reserve, aber auch Höflich¬
keit. Hotels und Restaurationen, in welchen die Preußen verkehren, werden
von den Bürgern möglichst gemieden. Letztere verstehen und sprechen alle
vortrefflich deutsch, allein sogar wenn sie dies unter sich thun, beginnen sie
sofort eine französische Conversation, sobald ein Fremder naht. Redet dieser-
Einen aus ihrer Mitte deutsch an, so stellt sich der letztere harthörig und ant¬
wortet französisch; wer aber mit dergleichen Komödie schon vertraut ist, der
läßt sich nicht irre machen, denn er ist sicher, verstanden zu werden. Der
Bürgermeister der Stadt nennt sich und wird genannt Ur. Je Ug.ii-s. Und
sie halten gar nicht hinterm Berg mit ihren Sympathieen für Frankreich, die
guten Leute. „Wir sind mit Preußen, mit seiner Regierung, mit der Garnison,
völlig zufrieden." sagen sie; „aber sie zu lieben können wir uns nicht zwingen.
Es sind durchaus keine politischen, sondern reine Gründe der Familie,
wenn man so sagen kann, welche die Einwohner von Saarlouis so durch und
durch französisch gesinnt erhalten. Und sie sind dies fast ohne Ausnahme, selbst
diejenigen, welche ihren Unterhalt vorzugsweise der preußischen Besatzung ver¬
danken. Nur diese selbst und die Beamten, welche von anderswo dahin
versetzt worden sind, bilden den deutschen Kern dieser deutschen Grenzstadt.
Die Bauern aus dem Lande ringsum sind dagegen sammt und sonders gut


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/74>, abgerufen am 23.07.2024.