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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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stellen. Auf verschiedenen Conferenzen der Monarchen und Minister zu
Thsreflenfladt, Schwedt, Münchengrätz wurde der Plan besprochen, der schließlich
zur Ueberreichung, nicht identischer, aber dem Inhalte nach übereinstimmender
Noten in Paris führte. In diesen Noten erklärten die drei Mächte, daß, wenn
in Folge von Umtrieben, weiche die auf französischem Boden ungehindert
machinirendcn Flüchtlinge anzettelten, in ihren oder ihrer Verbündeten Staaten
Unruhen aufbrechen sollten, sie auf die Bitte der betreffenden Negierung mit
gemeinsamen Kräften derselben Hilfe leisten, und daß sie jeden Versuch, eine
von ihnen an einer derartigen Einmischung zu hindern, als einen gegen alle
drei Staaten gerichteten Act der Feindseligkeit betrachten würden. Man sieht,
es war dies ein dunkler Angriff gegen das Nichtinterventionsprincip, welches
Metternich dem französischen Gesandten gegenüber bei jeder Gelegenheit als den
Umsturz des bestehenden Völkerrechtes bezeichnete. Broglie erklärte in Beant¬
wortung der Noten, daß er an dem von ihm aufgestellten Princip festhalten
werde und eine Verlegung desselben nur da, wo Frankreichs Interessen gar
nicht ins Spiel kämen, unbeachtet lassen könne, daß er aber unter allen Um¬
ständen eine Intervention in Belgien, in der Schweiz und (dies war der be¬
deutsamste, speciell gegen Oestreich gerichtete Theil seiner Antwort) in Piemont
nicht dulden würde. Daß die ganze Demonstration, die, wie es scheint, von
Anfang an nicht auf ein entschiedenes Vorgehen berechnet war, sondern nur
dazu dienen sollte, das enge Einvernehmen -zwischen den nordischen Mächten
zu constatiren, resultatlos blieb, war für die französische Politik ein günstiger
Umstand. Es war schon aus dem milden Ton der Noten klar geworden, daß
Weder Oestreich noch Preußen geneigt waren, sich einer kriegerischen Koalition
gegen Frankreich anzuschließen. Die Zeit schien vorüber zu sein, wo man be¬
sorgen konnte, daß die beiden Cabinete sich aus tendenziösen Antipathien und
Sympathien Rußland unbedingt und ohne Reserve zur Verfügung stellen
wurden.

Die Schwierigkeiten und Gefahren für Frankreich kamen von einer ganz
anderen Seite: es sollte sich zeigen, daß auf die Solidarität der liberalen
Principien sich ebenso wenig, wie aus die der conservativen eine dauernde Po¬
litik gründen ließ. Die orientalische Frage war bestimmt, eine neue Gruppi-
rung der europäischen Mächte vorzubereiten. Nach dein Siege von Cvnieh
hatte Ibrahim Pascha Smyrna besetzt und bedrohte selbst Constantinopel. Es
war augenscheinlich, daß Mehemed Ali, von dem Guizot nach den Berichten
der französischen Agenten ein treffliches Charakterbild entwirft, trotz aller Ver¬
sicherungen der Treue gegen den Sultan, seinen Lehnsherrn, die Absicht hatte,
ein großes selbständiges Ne.ich in Asien und Afrika zu gründen. Dies hieß
nichts Anderes als dem türkischen Reiche den Todesstoß geben. Alle euro-
Mcheu Mächte sahen sich daher genöthigt, den orientalischen Ereignissen gegen-


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stellen. Auf verschiedenen Conferenzen der Monarchen und Minister zu
Thsreflenfladt, Schwedt, Münchengrätz wurde der Plan besprochen, der schließlich
zur Ueberreichung, nicht identischer, aber dem Inhalte nach übereinstimmender
Noten in Paris führte. In diesen Noten erklärten die drei Mächte, daß, wenn
in Folge von Umtrieben, weiche die auf französischem Boden ungehindert
machinirendcn Flüchtlinge anzettelten, in ihren oder ihrer Verbündeten Staaten
Unruhen aufbrechen sollten, sie auf die Bitte der betreffenden Negierung mit
gemeinsamen Kräften derselben Hilfe leisten, und daß sie jeden Versuch, eine
von ihnen an einer derartigen Einmischung zu hindern, als einen gegen alle
drei Staaten gerichteten Act der Feindseligkeit betrachten würden. Man sieht,
es war dies ein dunkler Angriff gegen das Nichtinterventionsprincip, welches
Metternich dem französischen Gesandten gegenüber bei jeder Gelegenheit als den
Umsturz des bestehenden Völkerrechtes bezeichnete. Broglie erklärte in Beant¬
wortung der Noten, daß er an dem von ihm aufgestellten Princip festhalten
werde und eine Verlegung desselben nur da, wo Frankreichs Interessen gar
nicht ins Spiel kämen, unbeachtet lassen könne, daß er aber unter allen Um¬
ständen eine Intervention in Belgien, in der Schweiz und (dies war der be¬
deutsamste, speciell gegen Oestreich gerichtete Theil seiner Antwort) in Piemont
nicht dulden würde. Daß die ganze Demonstration, die, wie es scheint, von
Anfang an nicht auf ein entschiedenes Vorgehen berechnet war, sondern nur
dazu dienen sollte, das enge Einvernehmen -zwischen den nordischen Mächten
zu constatiren, resultatlos blieb, war für die französische Politik ein günstiger
Umstand. Es war schon aus dem milden Ton der Noten klar geworden, daß
Weder Oestreich noch Preußen geneigt waren, sich einer kriegerischen Koalition
gegen Frankreich anzuschließen. Die Zeit schien vorüber zu sein, wo man be¬
sorgen konnte, daß die beiden Cabinete sich aus tendenziösen Antipathien und
Sympathien Rußland unbedingt und ohne Reserve zur Verfügung stellen
wurden.

Die Schwierigkeiten und Gefahren für Frankreich kamen von einer ganz
anderen Seite: es sollte sich zeigen, daß auf die Solidarität der liberalen
Principien sich ebenso wenig, wie aus die der conservativen eine dauernde Po¬
litik gründen ließ. Die orientalische Frage war bestimmt, eine neue Gruppi-
rung der europäischen Mächte vorzubereiten. Nach dein Siege von Cvnieh
hatte Ibrahim Pascha Smyrna besetzt und bedrohte selbst Constantinopel. Es
war augenscheinlich, daß Mehemed Ali, von dem Guizot nach den Berichten
der französischen Agenten ein treffliches Charakterbild entwirft, trotz aller Ver¬
sicherungen der Treue gegen den Sultan, seinen Lehnsherrn, die Absicht hatte,
ein großes selbständiges Ne.ich in Asien und Afrika zu gründen. Dies hieß
nichts Anderes als dem türkischen Reiche den Todesstoß geben. Alle euro-
Mcheu Mächte sahen sich daher genöthigt, den orientalischen Ereignissen gegen-


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[0523] stellen. Auf verschiedenen Conferenzen der Monarchen und Minister zu Thsreflenfladt, Schwedt, Münchengrätz wurde der Plan besprochen, der schließlich zur Ueberreichung, nicht identischer, aber dem Inhalte nach übereinstimmender Noten in Paris führte. In diesen Noten erklärten die drei Mächte, daß, wenn in Folge von Umtrieben, weiche die auf französischem Boden ungehindert machinirendcn Flüchtlinge anzettelten, in ihren oder ihrer Verbündeten Staaten Unruhen aufbrechen sollten, sie auf die Bitte der betreffenden Negierung mit gemeinsamen Kräften derselben Hilfe leisten, und daß sie jeden Versuch, eine von ihnen an einer derartigen Einmischung zu hindern, als einen gegen alle drei Staaten gerichteten Act der Feindseligkeit betrachten würden. Man sieht, es war dies ein dunkler Angriff gegen das Nichtinterventionsprincip, welches Metternich dem französischen Gesandten gegenüber bei jeder Gelegenheit als den Umsturz des bestehenden Völkerrechtes bezeichnete. Broglie erklärte in Beant¬ wortung der Noten, daß er an dem von ihm aufgestellten Princip festhalten werde und eine Verlegung desselben nur da, wo Frankreichs Interessen gar nicht ins Spiel kämen, unbeachtet lassen könne, daß er aber unter allen Um¬ ständen eine Intervention in Belgien, in der Schweiz und (dies war der be¬ deutsamste, speciell gegen Oestreich gerichtete Theil seiner Antwort) in Piemont nicht dulden würde. Daß die ganze Demonstration, die, wie es scheint, von Anfang an nicht auf ein entschiedenes Vorgehen berechnet war, sondern nur dazu dienen sollte, das enge Einvernehmen -zwischen den nordischen Mächten zu constatiren, resultatlos blieb, war für die französische Politik ein günstiger Umstand. Es war schon aus dem milden Ton der Noten klar geworden, daß Weder Oestreich noch Preußen geneigt waren, sich einer kriegerischen Koalition gegen Frankreich anzuschließen. Die Zeit schien vorüber zu sein, wo man be¬ sorgen konnte, daß die beiden Cabinete sich aus tendenziösen Antipathien und Sympathien Rußland unbedingt und ohne Reserve zur Verfügung stellen wurden. Die Schwierigkeiten und Gefahren für Frankreich kamen von einer ganz anderen Seite: es sollte sich zeigen, daß auf die Solidarität der liberalen Principien sich ebenso wenig, wie aus die der conservativen eine dauernde Po¬ litik gründen ließ. Die orientalische Frage war bestimmt, eine neue Gruppi- rung der europäischen Mächte vorzubereiten. Nach dein Siege von Cvnieh hatte Ibrahim Pascha Smyrna besetzt und bedrohte selbst Constantinopel. Es war augenscheinlich, daß Mehemed Ali, von dem Guizot nach den Berichten der französischen Agenten ein treffliches Charakterbild entwirft, trotz aller Ver¬ sicherungen der Treue gegen den Sultan, seinen Lehnsherrn, die Absicht hatte, ein großes selbständiges Ne.ich in Asien und Afrika zu gründen. Dies hieß nichts Anderes als dem türkischen Reiche den Todesstoß geben. Alle euro- Mcheu Mächte sahen sich daher genöthigt, den orientalischen Ereignissen gegen- 65*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/523>, abgerufen am 26.06.2024.