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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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lassen können, die wir als Sonnenflecken wahrnehmen. Die Bewegungen der
Gase der Sonnenatmosphäre mögen zuweilen eine Stärke annehmen, gegen
welche auch die wüthendsten Orkane der Erde noch als unbedeutend zu be¬
trachten sind, denn die Winde sind die Wirkungen der Temperaturunterschiede
an verschiedenen Orten der Atmosphäre: je größer diese, desto rascher die Aus¬
gleichung, desto heftiger die Luftströmung. Bei uns sind die größten Unter¬
schiede zwischen der Temperatur der Pole und des Aequators auf 50--60°
anzunehmen, während bei der glühenden Atmosphäre der Sonne diese Tempe¬
raturdifferenzen leicht aus einige hundert Grad steigen können und demgemäß
auch weit heftigere Winde veranlassen müssen. Diese Auffassung der Sonne
als eines in höchster Wcißgluth leuchtenden, von einer glühend heißen, mit Me¬
talldämpfen geschwängerten Atmosphäre umgebenen Ballen weicht freilich stark
ab von den Vorstellungen, welche selbst Arcigo sich noch vor wenigen Jahren
von dem Zustande der Sonne machte. Von gewissen Beobachtungen an Son¬
nenflecken ausgehend hatte man angenommen, die Sonne bestehe aus einem
dunkeln Körper, der von drei einander umhüllenden Atmosphären umgeben sei,
von denen die mittlere allein das Sonnenlicht ausstrahle und daher als Pho¬
tosphäre bezeichnet wurde. Arago nahm sogar an, die Sonne könne von or¬
ganischen Wesen bewohnt sein. Kirchhofs zeigt, daß diese Vorstellungsweise in
sich widersprechend ist, denn die Photosphäre der Sonne, welche in einer Ent¬
fernung von 20 Millionen Meilen auf der Erde noch fo stark erwärmend wirkt,
müßte ja auch den ihr näheren Sonnenkörper erwärmen, ja sie müßte diesen
zur höchsten Weißgluth erhitzen, da er von der Photosphäre rings umhüllt ist
und sich wie im Focus eines immensen Brennspiegels befindet. Also der ein¬
zige sichere Theil in Arago's Annahme würde ohne Weiteres wieder zu der An¬
sicht Kirchhoffs führen, die ohnehin aus den Spectralbeobachtungen und aus der
Laplaceschen Hypothese sich mit ebenso großer Strenge als Einfachheit folgern
läßt. Die Sonne befindet sich eben jetzt noch in dem Zustande, in welchem
sich einst unser Planet befand, wie Letzteres aus den geologischen Beobachtungen
hervorgeht, und sie wird also auch dereinst in einen ähnlichen Zustand über¬
gehen, wie der. in welchem sich unsere Erde jetzt befindet.

Wenn wir es unterlassen, über die Bedeutung und Tragweite der eben an¬
gedeuteten Folgerungen aus den Spectraluntersuchungen uns weiter zu ergehen,
so möchten wir anderseits eine Bemerkung über das wissenschaftliche Verdienst
derartiger Arbeiten nicht unterdrücken. Entdeckungen kann heutigen Tages
Jeder machen, der sich mit irgexrd einem Zweige der Naturwissenschaft beschäftigt,
aber es ist ein Unterschied zwischen Entdeckung und Entdeckung,, je nach dem
Aufwands an Geist und Kenntniß, den sie voraussetzt, je nach den Folgen,
die sie für die Wissenschaft und also auch für die Weltansicht der Gebildeten
überhaupt bietet. Die Allermeisten, und das sind wohl mindestens neun und


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lassen können, die wir als Sonnenflecken wahrnehmen. Die Bewegungen der
Gase der Sonnenatmosphäre mögen zuweilen eine Stärke annehmen, gegen
welche auch die wüthendsten Orkane der Erde noch als unbedeutend zu be¬
trachten sind, denn die Winde sind die Wirkungen der Temperaturunterschiede
an verschiedenen Orten der Atmosphäre: je größer diese, desto rascher die Aus¬
gleichung, desto heftiger die Luftströmung. Bei uns sind die größten Unter¬
schiede zwischen der Temperatur der Pole und des Aequators auf 50—60°
anzunehmen, während bei der glühenden Atmosphäre der Sonne diese Tempe¬
raturdifferenzen leicht aus einige hundert Grad steigen können und demgemäß
auch weit heftigere Winde veranlassen müssen. Diese Auffassung der Sonne
als eines in höchster Wcißgluth leuchtenden, von einer glühend heißen, mit Me¬
talldämpfen geschwängerten Atmosphäre umgebenen Ballen weicht freilich stark
ab von den Vorstellungen, welche selbst Arcigo sich noch vor wenigen Jahren
von dem Zustande der Sonne machte. Von gewissen Beobachtungen an Son¬
nenflecken ausgehend hatte man angenommen, die Sonne bestehe aus einem
dunkeln Körper, der von drei einander umhüllenden Atmosphären umgeben sei,
von denen die mittlere allein das Sonnenlicht ausstrahle und daher als Pho¬
tosphäre bezeichnet wurde. Arago nahm sogar an, die Sonne könne von or¬
ganischen Wesen bewohnt sein. Kirchhofs zeigt, daß diese Vorstellungsweise in
sich widersprechend ist, denn die Photosphäre der Sonne, welche in einer Ent¬
fernung von 20 Millionen Meilen auf der Erde noch fo stark erwärmend wirkt,
müßte ja auch den ihr näheren Sonnenkörper erwärmen, ja sie müßte diesen
zur höchsten Weißgluth erhitzen, da er von der Photosphäre rings umhüllt ist
und sich wie im Focus eines immensen Brennspiegels befindet. Also der ein¬
zige sichere Theil in Arago's Annahme würde ohne Weiteres wieder zu der An¬
sicht Kirchhoffs führen, die ohnehin aus den Spectralbeobachtungen und aus der
Laplaceschen Hypothese sich mit ebenso großer Strenge als Einfachheit folgern
läßt. Die Sonne befindet sich eben jetzt noch in dem Zustande, in welchem
sich einst unser Planet befand, wie Letzteres aus den geologischen Beobachtungen
hervorgeht, und sie wird also auch dereinst in einen ähnlichen Zustand über¬
gehen, wie der. in welchem sich unsere Erde jetzt befindet.

Wenn wir es unterlassen, über die Bedeutung und Tragweite der eben an¬
gedeuteten Folgerungen aus den Spectraluntersuchungen uns weiter zu ergehen,
so möchten wir anderseits eine Bemerkung über das wissenschaftliche Verdienst
derartiger Arbeiten nicht unterdrücken. Entdeckungen kann heutigen Tages
Jeder machen, der sich mit irgexrd einem Zweige der Naturwissenschaft beschäftigt,
aber es ist ein Unterschied zwischen Entdeckung und Entdeckung,, je nach dem
Aufwands an Geist und Kenntniß, den sie voraussetzt, je nach den Folgen,
die sie für die Wissenschaft und also auch für die Weltansicht der Gebildeten
überhaupt bietet. Die Allermeisten, und das sind wohl mindestens neun und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/515>, abgerufen am 23.07.2024.