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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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leibt, die Rede wäre. Unverfänglich genug klingen diese Nachrichten, gerade so
wie die häusigen Erzählungen von mittelalterlichen Schatzgräbern, und doch ha¬
ben wir in diesen Gemmen, in diesen der Erde entlockten Schätzen, wie Zap¬
pelt nachgewiesen hat, die mächtigste Fundgrube, aus welcher das Mittelalter
seine Kenntniß der Antike hatte, zu schauen.

Wir haben kein Recht anzunehmen, daß nur der materielle Werth und die
Kostbarkeit dieser Gegenstände das Mittelalter lockten. Wenn auch nicht die
Ueberzeugung, daß keine, auch nicht die roheste Kunstübung, ohne den Stachel
des nach Vollendung strebenden Formsinnes bestehen kann, uns eines Besseren
belehrte, wenn auch nicht die vergleichende Betrachtung der, mittelalterlichen
Kunstwerke dieses bewiese, so haben wir der schriftlichen Belege eine hinreichende
Zahl, die darthun, daß auch das Mittelalter von diesem allein richtigen Stand¬
punkte die Schöpfungen der bildenden Kunst beurtheilte. Wie oft lesen wir in
mittelalterlichen Chronisten die Versicherung, -- und sie wird stets als das
höchste Lob hingestellt, daß bei einem bestimmten Kunstwerk die Schönheit
der Formen und die Trefflichkeit der Arbeit den Werth des Stoffes weit über¬
ragen, wie sehr überrascht uns als Ausdruck des mächtig entwickelten Formen¬
sinnes die Schilderung eines (wahrscheinlich antiken) Kopfes, er wäre in seiner
Furchtbarkeit schön. Und wenn uns auch das nicht befriedigt, so dürfen wir
nur das 43. Kapitel der (Zo^t^ Uomiuroruiri aufschlagen, wie der Magister, der
"da wonend ist in Pergen", das Idealbild der verstorbenen Florentina schafft,
um uns zu überzeugen, daß auch das Mittelalter das Streben nach vollendeter
Formenschönheit bis zum raffinirten Eklekticismus ausgebildet hat. Wir kön¬
nen auch nicht glauben, daß alle aus der Erde hervorgeholter antiken Gegen¬
stände, Geräthe und Gefäße z. B., die materielle Habgier reizten, und doch
war die Freude an denselben so groß, daß die Kirche des Mittelalters sich ver¬
pflichtet erachtete, die Gewissen der Gläubigen mit diesem Verlangen nach anti¬
ken Werken zu versöhnen. In ihrer bewunderungswürdigen Klugheit hat sie
auch hier, was sie nicht zu vernichten im Stande war, ihrem Dienste unter¬
worfen. Alte Ritualbücher enthalten Segensformeln die "super vasa in locis
lmticMS repertlr" gesprochen werden mußten und wodurch diese heidnischen
Werke gereinigt und für den Gebrauch der Kirche und der Gläubigen geeignet
wurden. Die Kunst der Heiden wird in diesen Bencdictivnen nicht geleugnet
und dadurch ein neuer Beweis von der auch im Mittelalter herrschenden Ach¬
tung der Antike geliefert.

Es darf uns nicht befremden, wenn diese Achtung zuweilen gar abenteuer¬
liche Formen annimmt und wir z. B. lesen, daß der Augustusbogen in Susa
von den Mönchen des benachbarten Klosters als ein monumentales Grundbuch
ausgegeben wurde, auf welchem mit unzerstörbarer Schrift Abt Ubbo alle Eilten
und Rechte, alle Schenkungen und Traditionen verzeichnet hätte. Selbst wenn


leibt, die Rede wäre. Unverfänglich genug klingen diese Nachrichten, gerade so
wie die häusigen Erzählungen von mittelalterlichen Schatzgräbern, und doch ha¬
ben wir in diesen Gemmen, in diesen der Erde entlockten Schätzen, wie Zap¬
pelt nachgewiesen hat, die mächtigste Fundgrube, aus welcher das Mittelalter
seine Kenntniß der Antike hatte, zu schauen.

Wir haben kein Recht anzunehmen, daß nur der materielle Werth und die
Kostbarkeit dieser Gegenstände das Mittelalter lockten. Wenn auch nicht die
Ueberzeugung, daß keine, auch nicht die roheste Kunstübung, ohne den Stachel
des nach Vollendung strebenden Formsinnes bestehen kann, uns eines Besseren
belehrte, wenn auch nicht die vergleichende Betrachtung der, mittelalterlichen
Kunstwerke dieses bewiese, so haben wir der schriftlichen Belege eine hinreichende
Zahl, die darthun, daß auch das Mittelalter von diesem allein richtigen Stand¬
punkte die Schöpfungen der bildenden Kunst beurtheilte. Wie oft lesen wir in
mittelalterlichen Chronisten die Versicherung, — und sie wird stets als das
höchste Lob hingestellt, daß bei einem bestimmten Kunstwerk die Schönheit
der Formen und die Trefflichkeit der Arbeit den Werth des Stoffes weit über¬
ragen, wie sehr überrascht uns als Ausdruck des mächtig entwickelten Formen¬
sinnes die Schilderung eines (wahrscheinlich antiken) Kopfes, er wäre in seiner
Furchtbarkeit schön. Und wenn uns auch das nicht befriedigt, so dürfen wir
nur das 43. Kapitel der (Zo^t^ Uomiuroruiri aufschlagen, wie der Magister, der
„da wonend ist in Pergen", das Idealbild der verstorbenen Florentina schafft,
um uns zu überzeugen, daß auch das Mittelalter das Streben nach vollendeter
Formenschönheit bis zum raffinirten Eklekticismus ausgebildet hat. Wir kön¬
nen auch nicht glauben, daß alle aus der Erde hervorgeholter antiken Gegen¬
stände, Geräthe und Gefäße z. B., die materielle Habgier reizten, und doch
war die Freude an denselben so groß, daß die Kirche des Mittelalters sich ver¬
pflichtet erachtete, die Gewissen der Gläubigen mit diesem Verlangen nach anti¬
ken Werken zu versöhnen. In ihrer bewunderungswürdigen Klugheit hat sie
auch hier, was sie nicht zu vernichten im Stande war, ihrem Dienste unter¬
worfen. Alte Ritualbücher enthalten Segensformeln die „super vasa in locis
lmticMS repertlr" gesprochen werden mußten und wodurch diese heidnischen
Werke gereinigt und für den Gebrauch der Kirche und der Gläubigen geeignet
wurden. Die Kunst der Heiden wird in diesen Bencdictivnen nicht geleugnet
und dadurch ein neuer Beweis von der auch im Mittelalter herrschenden Ach¬
tung der Antike geliefert.

Es darf uns nicht befremden, wenn diese Achtung zuweilen gar abenteuer¬
liche Formen annimmt und wir z. B. lesen, daß der Augustusbogen in Susa
von den Mönchen des benachbarten Klosters als ein monumentales Grundbuch
ausgegeben wurde, auf welchem mit unzerstörbarer Schrift Abt Ubbo alle Eilten
und Rechte, alle Schenkungen und Traditionen verzeichnet hätte. Selbst wenn


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[0501] leibt, die Rede wäre. Unverfänglich genug klingen diese Nachrichten, gerade so wie die häusigen Erzählungen von mittelalterlichen Schatzgräbern, und doch ha¬ ben wir in diesen Gemmen, in diesen der Erde entlockten Schätzen, wie Zap¬ pelt nachgewiesen hat, die mächtigste Fundgrube, aus welcher das Mittelalter seine Kenntniß der Antike hatte, zu schauen. Wir haben kein Recht anzunehmen, daß nur der materielle Werth und die Kostbarkeit dieser Gegenstände das Mittelalter lockten. Wenn auch nicht die Ueberzeugung, daß keine, auch nicht die roheste Kunstübung, ohne den Stachel des nach Vollendung strebenden Formsinnes bestehen kann, uns eines Besseren belehrte, wenn auch nicht die vergleichende Betrachtung der, mittelalterlichen Kunstwerke dieses bewiese, so haben wir der schriftlichen Belege eine hinreichende Zahl, die darthun, daß auch das Mittelalter von diesem allein richtigen Stand¬ punkte die Schöpfungen der bildenden Kunst beurtheilte. Wie oft lesen wir in mittelalterlichen Chronisten die Versicherung, — und sie wird stets als das höchste Lob hingestellt, daß bei einem bestimmten Kunstwerk die Schönheit der Formen und die Trefflichkeit der Arbeit den Werth des Stoffes weit über¬ ragen, wie sehr überrascht uns als Ausdruck des mächtig entwickelten Formen¬ sinnes die Schilderung eines (wahrscheinlich antiken) Kopfes, er wäre in seiner Furchtbarkeit schön. Und wenn uns auch das nicht befriedigt, so dürfen wir nur das 43. Kapitel der (Zo^t^ Uomiuroruiri aufschlagen, wie der Magister, der „da wonend ist in Pergen", das Idealbild der verstorbenen Florentina schafft, um uns zu überzeugen, daß auch das Mittelalter das Streben nach vollendeter Formenschönheit bis zum raffinirten Eklekticismus ausgebildet hat. Wir kön¬ nen auch nicht glauben, daß alle aus der Erde hervorgeholter antiken Gegen¬ stände, Geräthe und Gefäße z. B., die materielle Habgier reizten, und doch war die Freude an denselben so groß, daß die Kirche des Mittelalters sich ver¬ pflichtet erachtete, die Gewissen der Gläubigen mit diesem Verlangen nach anti¬ ken Werken zu versöhnen. In ihrer bewunderungswürdigen Klugheit hat sie auch hier, was sie nicht zu vernichten im Stande war, ihrem Dienste unter¬ worfen. Alte Ritualbücher enthalten Segensformeln die „super vasa in locis lmticMS repertlr" gesprochen werden mußten und wodurch diese heidnischen Werke gereinigt und für den Gebrauch der Kirche und der Gläubigen geeignet wurden. Die Kunst der Heiden wird in diesen Bencdictivnen nicht geleugnet und dadurch ein neuer Beweis von der auch im Mittelalter herrschenden Ach¬ tung der Antike geliefert. Es darf uns nicht befremden, wenn diese Achtung zuweilen gar abenteuer¬ liche Formen annimmt und wir z. B. lesen, daß der Augustusbogen in Susa von den Mönchen des benachbarten Klosters als ein monumentales Grundbuch ausgegeben wurde, auf welchem mit unzerstörbarer Schrift Abt Ubbo alle Eilten und Rechte, alle Schenkungen und Traditionen verzeichnet hätte. Selbst wenn

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/501>, abgerufen am 26.06.2024.