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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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die Zuschauer, die das Schrecklichste erwarteten, waren so voll Angst, daß sie
nicht wußten, ob sie todt oder lebendig.

"Du also hast die Straße gesungen?" fragte mit der Miene des Gro߬
inquisitors der Fürst.

"Halten's zu Gnaden. Allerdurchlauchtigster Herr -- ich habe es gethan",
antwortete der arme Sünder.

Der Fürst schwieg eine Weile, dann sagte er: "Du hast eine wunder¬
schöne Stimme" und sich zu der Dienerschaft wendend, "man gebe ihm einen
gestickten Kaftan und zehn Rubel."

"So sehen Sie denn", bemerkt der alte Bauer, der die Geschichte erzählt,
"was für ein gutherziger Mann Prinz Alexis Juriwitsch war. Er war ein¬
zig und allein ein Freund der Ordnung, und die. welche sie nicht beobachteten,
wurden rasch und streng bestraft."

Die Gastfreundschaft des Fürsten war eben so prunkhaft als barbarisch.
Bei großen Festlichkeiten, wie z. B. dem Namenstag des Fürsten, wurden mehre
hundert Personen zum Essen geladen. Von diesen speisten achtzig bis hun¬
dert im Bankettsaal n"d vier bis fünfhundert in den Galerien rings über
demselben. An dem einen Ende der Haupttafel saß die Fürstin mit einer
Anzahl der vornehmsten von den eingeladenen Damen rechts und links zur
Seite, am andern Ende der Fürst, umgeben von Generalen, Gouverneuren
und andern hochgestellten Beamten. Ein jeder nahm Platz nach seinem Rang,
und maßte sich einer einen Stuhl an, der über seinem Stande war, so wurde
der Hofnarr des Fürsten abgesandt, ihm, wenn er einmal aufstand, heimlich
den Stuhl wegzuziehen oder die Aufwärter wurden angewiesen, beim Herum¬
geben der Speisen ihn zu übergehen. Auf der Diele neben dem Fürsten hockte
rechts el" zahmer Bär, der obenerwähnte Mischka, links ein Iurodewe,
d. h. ein Blödsinniger, die in Rußland w>e in der Türkei für halbe Heilige
angesehen werden. Letzterer hatte eine Schüssel in der Hand und trug
nichts am Leibe als ein schmutziges zerfetztes Hemd. Zu die Schüssel
warf der Fürst ans allen Schüsseln etwas, dazu Pfeffer, Senf, Wein und
Kwaß, ein seltsames Ragout, welches Spira zu verzehren pflegte, indem er
Ammenreime dazu sang. Auch den Bären pflegte Alexis Zuriwitsch eigen¬
händig zu füttern und ihm dabei eine solche Menge Wein zu geben, daß
das Thier kaum noch auf den Füßen stehen konnte. Die Gäste im Allge¬
meinen aßen von Silber, der Fürst, seine Gemahlin und einige besonders
distinguirte Personen dagegen speisten von goldnen Schüsseln und Tellern.
Hinter jedem Stuhl standen zwei Bediente, und in einer Ecke des Saales be¬
fanden sich Hanswurste, Taubstumme, Zwerge und Kalmücken, die auf Be¬
endigung des Mahles warteten und sich inzwischen mit einander herumzankten
und balgten. Unmittelbar nach Tische wurde die Gesundheit des Fürsten ge-


die Zuschauer, die das Schrecklichste erwarteten, waren so voll Angst, daß sie
nicht wußten, ob sie todt oder lebendig.

„Du also hast die Straße gesungen?" fragte mit der Miene des Gro߬
inquisitors der Fürst.

„Halten's zu Gnaden. Allerdurchlauchtigster Herr — ich habe es gethan",
antwortete der arme Sünder.

Der Fürst schwieg eine Weile, dann sagte er: „Du hast eine wunder¬
schöne Stimme" und sich zu der Dienerschaft wendend, „man gebe ihm einen
gestickten Kaftan und zehn Rubel."

„So sehen Sie denn", bemerkt der alte Bauer, der die Geschichte erzählt,
„was für ein gutherziger Mann Prinz Alexis Juriwitsch war. Er war ein¬
zig und allein ein Freund der Ordnung, und die. welche sie nicht beobachteten,
wurden rasch und streng bestraft."

Die Gastfreundschaft des Fürsten war eben so prunkhaft als barbarisch.
Bei großen Festlichkeiten, wie z. B. dem Namenstag des Fürsten, wurden mehre
hundert Personen zum Essen geladen. Von diesen speisten achtzig bis hun¬
dert im Bankettsaal n»d vier bis fünfhundert in den Galerien rings über
demselben. An dem einen Ende der Haupttafel saß die Fürstin mit einer
Anzahl der vornehmsten von den eingeladenen Damen rechts und links zur
Seite, am andern Ende der Fürst, umgeben von Generalen, Gouverneuren
und andern hochgestellten Beamten. Ein jeder nahm Platz nach seinem Rang,
und maßte sich einer einen Stuhl an, der über seinem Stande war, so wurde
der Hofnarr des Fürsten abgesandt, ihm, wenn er einmal aufstand, heimlich
den Stuhl wegzuziehen oder die Aufwärter wurden angewiesen, beim Herum¬
geben der Speisen ihn zu übergehen. Auf der Diele neben dem Fürsten hockte
rechts el» zahmer Bär, der obenerwähnte Mischka, links ein Iurodewe,
d. h. ein Blödsinniger, die in Rußland w>e in der Türkei für halbe Heilige
angesehen werden. Letzterer hatte eine Schüssel in der Hand und trug
nichts am Leibe als ein schmutziges zerfetztes Hemd. Zu die Schüssel
warf der Fürst ans allen Schüsseln etwas, dazu Pfeffer, Senf, Wein und
Kwaß, ein seltsames Ragout, welches Spira zu verzehren pflegte, indem er
Ammenreime dazu sang. Auch den Bären pflegte Alexis Zuriwitsch eigen¬
händig zu füttern und ihm dabei eine solche Menge Wein zu geben, daß
das Thier kaum noch auf den Füßen stehen konnte. Die Gäste im Allge¬
meinen aßen von Silber, der Fürst, seine Gemahlin und einige besonders
distinguirte Personen dagegen speisten von goldnen Schüsseln und Tellern.
Hinter jedem Stuhl standen zwei Bediente, und in einer Ecke des Saales be¬
fanden sich Hanswurste, Taubstumme, Zwerge und Kalmücken, die auf Be¬
endigung des Mahles warteten und sich inzwischen mit einander herumzankten
und balgten. Unmittelbar nach Tische wurde die Gesundheit des Fürsten ge-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/430>, abgerufen am 23.07.2024.