Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.sürsten zu einer großen Concession zu vermögen. Baiern würde dabei aller¬ Der zweite Punkt, an dem Preußen hoffentlich sich zu einem raschen Vorgehen sürsten zu einer großen Concession zu vermögen. Baiern würde dabei aller¬ Der zweite Punkt, an dem Preußen hoffentlich sich zu einem raschen Vorgehen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0407" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/113649"/> <p xml:id="ID_1255" prev="#ID_1254"> sürsten zu einer großen Concession zu vermögen. Baiern würde dabei aller¬<lb/> dings eine sonderbare Rolle spielen. 'Aber es würde sich nicht lange bedenken,<lb/> wenn es den Ruhm, die Verfassung wiederhergestellt zu haben, Preußen vor den<lb/> Augen wegfischen könnte. Aber bei Weitem schlimmer wäre es, wenn Preußen durch<lb/> Rücksichten auf Oestreich und die Würzburger sich von seinem Ncchtsstandpunkte herab¬<lb/> drängen ließe. Man hört von Versuchen, die Oestreich. macht, um den Kurfürsten<lb/> zu einigen Zugeständnissen zu bewegen, für welche auch die Mitwirkung Preußens<lb/> nachgesucht wird. Oestreich soll aber dabei verlangen, daß nicht das Wahlgesetz<lb/> von 1849, sondern das von 1831 wieder hergestellt werde und daß das Zwei¬<lb/> kammersystem an die Stelle des Einkammersystems der Verfassung von 1831 trete.<lb/> Damit erhielten die Hessen nicht ihr Recht, sondern sie erhielten neue Octroyirungen<lb/> an Stelle der alten. Preußen aber, wenn es sich aus diesen Standpunkt einließe,<lb/> hätte die Nechtsbasis, auf der es in der kurhessischcn Sache steht, verloren, und hätte<lb/> dann keinen Grund mehr, den Anschluß an die Majorität des Bundestags zu ver¬<lb/> weigern. Damit hätte es denn sein Ansehen vollends eingebüßt, und dies scheint<lb/> die einzige Absicht bei den Bemühungen Oestreichs um die kurhessische Sache zu sein.</p><lb/> <p xml:id="ID_1256" next="#ID_1257"> Der zweite Punkt, an dem Preußen hoffentlich sich zu einem raschen Vorgehen<lb/> entschließt, ist die Anerkennung des Königreichs Italien. Es scheint in der That,<lb/> daß dieser Entschluß nahe bevorsteht. Wir wollen hoffen, daß keine Gegenbestrebun-<lb/> gen ihn wieder wanken machen. Wir würden diesen Schritt begrüßen als einen<lb/> erfreulichen Beweis, daß man hier von einer bornirten Legitimitätslehre sich zu<lb/> freieren Anschauungen zu erheben beginnt. Im jetzigen Moment würde diese Ma߬<lb/> regel, die eigentlich eine verspätete ist, doch noch als ein kluger und wohlbedachter<lb/> Schritt erscheinen. Man hätte hier längst einsehen sollen, daß es die Aufgabe einer<lb/> vernünftigen deutschen Politik ist, mit dem Königreich Italien in gute Beziehungen<lb/> zu treten, um diesem die französische Allianz entbehrlich und eine größere Selb¬<lb/> ständigkeit möglich zu machen. Man mag mit dem Gang, welchen die Dinge in<lb/> Italien seit den letzten Jahren genommen haben, einverstanden sein oder nicht, aus<lb/> alle Fälle muß man zugeben, daß das Geschehene nicht rückgängig gemacht werden<lb/> kann. Jeder Versuch dazu würde Italien unvermeidlich in die furchtbarsten und<lb/> blutigsten Kämpfe verwickeln und würde den Frieden Europa's mit den größten<lb/> Gefahren bedrohen. Wenn dies richtig ist, so muß Deutschland die Entwickelung,<lb/> die sich in Italien vollzogen hat, anerkennen. Dies ist weit entfernt von einer<lb/> Ermuthigung, die Ansprüche auf Venedig mit Gewalt geltend zu machen. Man<lb/> kann die Anerkennung Italiens in einer Form cnissprcchcn, welche die Anerkennung<lb/> der pence ionischen Ansprüche ausschließt. Dies ist diejenige Seite der Sache,<lb/> um derentwillen eine rasche Entscheidung sehr zu wünschen wäre, wir meinen eine<lb/> Entscheidung, die so früh erfolgt, daß dadurch eine Debatte über den Antrag des<lb/> Abgeordneten von Carlowitz, daß die Anerkennung Italiens im Interesse Preußens<lb/> u'ege, überflüssig wird. Die Einbringung dieses Antrages war eine Antwort auf<lb/> das östreichische Garcmticbcgehren; sie war die vollkommen richtige Antwort da¬<lb/> rauf. Aber wenn wir dem Grafen Ncchbcrg eine solche Garantie vcrwcigeni, so<lb/> sind wir doch weit entfernt davon, die Italiener zum Angriff auf Venetien zu<lb/> ermuntern. Ein solcher Gedanke könnte nur vom Haß gegen Oestreich eingegeben<lb/> werden, nicht von der Liebe zu Deutschland; denn daß diese beiden Empfindungen<lb/> nicht völlig identisch sind, wird man bis jetzt noch überall in Deutschland zu¬<lb/> kleben, obgleich Oestreich thut, was in seinen Kräften ist, um den Unterschied zu<lb/> verwischen. Je gereizter in diesem Augenblick die Stimmung gegen Oestreich ist,<lb/> desto näher liegt die Gescchr, daß die Debatte eine Wendung nimmt, welche den<lb/> Zwiespalt zwischen dem großdcutschen und dem kleindeutschcn Theil unserer Nation<lb/> »och vermehren müßte. Daß das Abgeordnetenhaus den Antrag von Carlowitz,<lb/> wenn es zur Verhandlung kommt, mit großer Majorität annehmen wird, unterliegt</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0407]
sürsten zu einer großen Concession zu vermögen. Baiern würde dabei aller¬
dings eine sonderbare Rolle spielen. 'Aber es würde sich nicht lange bedenken,
wenn es den Ruhm, die Verfassung wiederhergestellt zu haben, Preußen vor den
Augen wegfischen könnte. Aber bei Weitem schlimmer wäre es, wenn Preußen durch
Rücksichten auf Oestreich und die Würzburger sich von seinem Ncchtsstandpunkte herab¬
drängen ließe. Man hört von Versuchen, die Oestreich. macht, um den Kurfürsten
zu einigen Zugeständnissen zu bewegen, für welche auch die Mitwirkung Preußens
nachgesucht wird. Oestreich soll aber dabei verlangen, daß nicht das Wahlgesetz
von 1849, sondern das von 1831 wieder hergestellt werde und daß das Zwei¬
kammersystem an die Stelle des Einkammersystems der Verfassung von 1831 trete.
Damit erhielten die Hessen nicht ihr Recht, sondern sie erhielten neue Octroyirungen
an Stelle der alten. Preußen aber, wenn es sich aus diesen Standpunkt einließe,
hätte die Nechtsbasis, auf der es in der kurhessischcn Sache steht, verloren, und hätte
dann keinen Grund mehr, den Anschluß an die Majorität des Bundestags zu ver¬
weigern. Damit hätte es denn sein Ansehen vollends eingebüßt, und dies scheint
die einzige Absicht bei den Bemühungen Oestreichs um die kurhessische Sache zu sein.
Der zweite Punkt, an dem Preußen hoffentlich sich zu einem raschen Vorgehen
entschließt, ist die Anerkennung des Königreichs Italien. Es scheint in der That,
daß dieser Entschluß nahe bevorsteht. Wir wollen hoffen, daß keine Gegenbestrebun-
gen ihn wieder wanken machen. Wir würden diesen Schritt begrüßen als einen
erfreulichen Beweis, daß man hier von einer bornirten Legitimitätslehre sich zu
freieren Anschauungen zu erheben beginnt. Im jetzigen Moment würde diese Ma߬
regel, die eigentlich eine verspätete ist, doch noch als ein kluger und wohlbedachter
Schritt erscheinen. Man hätte hier längst einsehen sollen, daß es die Aufgabe einer
vernünftigen deutschen Politik ist, mit dem Königreich Italien in gute Beziehungen
zu treten, um diesem die französische Allianz entbehrlich und eine größere Selb¬
ständigkeit möglich zu machen. Man mag mit dem Gang, welchen die Dinge in
Italien seit den letzten Jahren genommen haben, einverstanden sein oder nicht, aus
alle Fälle muß man zugeben, daß das Geschehene nicht rückgängig gemacht werden
kann. Jeder Versuch dazu würde Italien unvermeidlich in die furchtbarsten und
blutigsten Kämpfe verwickeln und würde den Frieden Europa's mit den größten
Gefahren bedrohen. Wenn dies richtig ist, so muß Deutschland die Entwickelung,
die sich in Italien vollzogen hat, anerkennen. Dies ist weit entfernt von einer
Ermuthigung, die Ansprüche auf Venedig mit Gewalt geltend zu machen. Man
kann die Anerkennung Italiens in einer Form cnissprcchcn, welche die Anerkennung
der pence ionischen Ansprüche ausschließt. Dies ist diejenige Seite der Sache,
um derentwillen eine rasche Entscheidung sehr zu wünschen wäre, wir meinen eine
Entscheidung, die so früh erfolgt, daß dadurch eine Debatte über den Antrag des
Abgeordneten von Carlowitz, daß die Anerkennung Italiens im Interesse Preußens
u'ege, überflüssig wird. Die Einbringung dieses Antrages war eine Antwort auf
das östreichische Garcmticbcgehren; sie war die vollkommen richtige Antwort da¬
rauf. Aber wenn wir dem Grafen Ncchbcrg eine solche Garantie vcrwcigeni, so
sind wir doch weit entfernt davon, die Italiener zum Angriff auf Venetien zu
ermuntern. Ein solcher Gedanke könnte nur vom Haß gegen Oestreich eingegeben
werden, nicht von der Liebe zu Deutschland; denn daß diese beiden Empfindungen
nicht völlig identisch sind, wird man bis jetzt noch überall in Deutschland zu¬
kleben, obgleich Oestreich thut, was in seinen Kräften ist, um den Unterschied zu
verwischen. Je gereizter in diesem Augenblick die Stimmung gegen Oestreich ist,
desto näher liegt die Gescchr, daß die Debatte eine Wendung nimmt, welche den
Zwiespalt zwischen dem großdcutschen und dem kleindeutschcn Theil unserer Nation
»och vermehren müßte. Daß das Abgeordnetenhaus den Antrag von Carlowitz,
wenn es zur Verhandlung kommt, mit großer Majorität annehmen wird, unterliegt
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