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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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schlechts zugekehrt. Wenn auch zuweilen das Bestreben, sich selbst dadurch
eine Bedeutung zu geben, mehr als billig hervortritt, so wird hin doch bereitwillig
zugegeben. daß in dem Stolz auf die Tüchtigkeit der eigenen Ahnen ein sehr
berechtigtes ethisches Moment liegt. Auch die Kritik wird solchen Familien¬
geschichten gegenüber gern eine gewisse Nachsicht üben, sie wird es natürlich
finden, wenn die Freude an allem Guten und Mannhafter stark hervortritt,
das Unwürdige und Schlechte mit Schonung und Verschwiegenheit behandelt
ist. Von solchem Standpunkt darf sich die deutsche Geschichtschreibung das
stattliche Werk über Götz und die Berlichingen wohl gefallen lassen. Das¬
selbe enthält nach einem allerdings nicht vollständigen Verzeichnisse der litera¬
rischen Hilfsmittel für die Geschichte des Junker Götz einen Abdruck seiner
Selbstbiographie nach der Neuenstedtner Handschrift, dann Regesten, Urkunden
und Actenstücke zu seiner Geschichte, namentlich im Bauernkriege, dann auch
eine Geschichte seiner eisernen Hand und Erklärung ihres Mechanismus, darauf
eine Geschichte der Familie und des Klosters Schönthal, welches enge mit
dem Geschlecht verbunden durch vier Jahrhunderte ihre Begräbnisstätte war.
Außerdem Abdruck zahlreicher Denksprüche und Gedichte auf den Junker und
sein Geschlecht, welche theils von Reisenden in ein Stammbuch der eisernen
Hand eingezeichnet wurden, theils durch freundliches Ersuchen von jetzt leben¬
den Dichtern erbeten worden sind. Das Werk ist würdig ausgestattet, mit
Abbildungen des Ritters, seiner Hand, der Burg, des Grabmals, mit Fac¬
simile, Wappen und Stammbaum, Alles wohl gemeint, unter den Urkunden
mehreres Neue und Dankenswerthe.

Eines freilich ist dem Herausgeber nicht gelungen, das Bild des histori¬
schen Götz, wie es ernster Geschichtsforschung feststeht, in irgend einem wesent¬
lichen Zuge zu ändern. Es ist durchaus nicht mehr möglich, den treuherzigen
Mann als ein Muster von Tüchtigkeit und Biederkeit darzustellen, welches den
sittlichen Anforderungen unserer Zeit Genüge thäte. Wem Pietät oder Stolz
diese Auffassung peinlich macht, der möge sich damit trösten, daß auch stärkere
und wichtigere Vertreter des damaligen Landadels, wie Sickingen, nur
geringe Hochachtung einflößen, und daß anch der geistvolle und feurige
Hütten unsere Beistimmung genau da verliert, wo bei ihm der Junker
anfängt: der Feind der Erwerbenden, der Ohrabschneider, der launenhafte
und unordentliche Reiter. Es ist wahr. Götz von Berlichingen war in
hohem Grade das, was wir einen guten Kerl nennen würden. .Er
war höchst zuverlässig und gewissenhaft innerhalb der Traditionen des Mo-
ralcodex, in welchem er aufgewachsen war. Er würde sich ein Gewjs.
sen daraus gemacht haben. Jemanden im Walde zu berauben, ohne vor¬
her der Partei desselben einen Absagebrief gesandt zu haben, er würde
es für die größte Niederträchtigkeit erklärt haben, einen seiner Raubgesellen bei


schlechts zugekehrt. Wenn auch zuweilen das Bestreben, sich selbst dadurch
eine Bedeutung zu geben, mehr als billig hervortritt, so wird hin doch bereitwillig
zugegeben. daß in dem Stolz auf die Tüchtigkeit der eigenen Ahnen ein sehr
berechtigtes ethisches Moment liegt. Auch die Kritik wird solchen Familien¬
geschichten gegenüber gern eine gewisse Nachsicht üben, sie wird es natürlich
finden, wenn die Freude an allem Guten und Mannhafter stark hervortritt,
das Unwürdige und Schlechte mit Schonung und Verschwiegenheit behandelt
ist. Von solchem Standpunkt darf sich die deutsche Geschichtschreibung das
stattliche Werk über Götz und die Berlichingen wohl gefallen lassen. Das¬
selbe enthält nach einem allerdings nicht vollständigen Verzeichnisse der litera¬
rischen Hilfsmittel für die Geschichte des Junker Götz einen Abdruck seiner
Selbstbiographie nach der Neuenstedtner Handschrift, dann Regesten, Urkunden
und Actenstücke zu seiner Geschichte, namentlich im Bauernkriege, dann auch
eine Geschichte seiner eisernen Hand und Erklärung ihres Mechanismus, darauf
eine Geschichte der Familie und des Klosters Schönthal, welches enge mit
dem Geschlecht verbunden durch vier Jahrhunderte ihre Begräbnisstätte war.
Außerdem Abdruck zahlreicher Denksprüche und Gedichte auf den Junker und
sein Geschlecht, welche theils von Reisenden in ein Stammbuch der eisernen
Hand eingezeichnet wurden, theils durch freundliches Ersuchen von jetzt leben¬
den Dichtern erbeten worden sind. Das Werk ist würdig ausgestattet, mit
Abbildungen des Ritters, seiner Hand, der Burg, des Grabmals, mit Fac¬
simile, Wappen und Stammbaum, Alles wohl gemeint, unter den Urkunden
mehreres Neue und Dankenswerthe.

Eines freilich ist dem Herausgeber nicht gelungen, das Bild des histori¬
schen Götz, wie es ernster Geschichtsforschung feststeht, in irgend einem wesent¬
lichen Zuge zu ändern. Es ist durchaus nicht mehr möglich, den treuherzigen
Mann als ein Muster von Tüchtigkeit und Biederkeit darzustellen, welches den
sittlichen Anforderungen unserer Zeit Genüge thäte. Wem Pietät oder Stolz
diese Auffassung peinlich macht, der möge sich damit trösten, daß auch stärkere
und wichtigere Vertreter des damaligen Landadels, wie Sickingen, nur
geringe Hochachtung einflößen, und daß anch der geistvolle und feurige
Hütten unsere Beistimmung genau da verliert, wo bei ihm der Junker
anfängt: der Feind der Erwerbenden, der Ohrabschneider, der launenhafte
und unordentliche Reiter. Es ist wahr. Götz von Berlichingen war in
hohem Grade das, was wir einen guten Kerl nennen würden. .Er
war höchst zuverlässig und gewissenhaft innerhalb der Traditionen des Mo-
ralcodex, in welchem er aufgewachsen war. Er würde sich ein Gewjs.
sen daraus gemacht haben. Jemanden im Walde zu berauben, ohne vor¬
her der Partei desselben einen Absagebrief gesandt zu haben, er würde
es für die größte Niederträchtigkeit erklärt haben, einen seiner Raubgesellen bei


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/399>, abgerufen am 29.06.2024.