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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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und -- nach der antiken Wahrheit äoeencko Ziseimus -- zugleich sich selbst.
In der herben Regelmäßigkeit dieser Existenz sammelte sich der bisher Zer-
streute, und selbst seine Epilepsie schwand allmälig.

Ein wenig von den göttlichen Dingen unterrichtet, begab er sich nach
San Carlo al Corso, um Conferenzen zu halten, bei denen seine schöne
Stimme ihm zu Gute kam. Ein zahlreiches Auditorium drängte sich um den
eleganten Herrn, der so gravitätisch einherschriit, so angenehm im Fluß der
Rede dahinschmolz, dessen Silberton das Ohr des weiblichen Geschlechts be-
zauberte. Nachdem er die Ordination empfangen, spielte er in Sinigaglia
bei einem geistlichen Schauspiel mit, der einstige flotte Ballspieler jetzt in der
Mönchskutte die Rolle des Sünders. Man klatschte und weinte, es geschahen
Zeichen und Wunder, der Geist der Weissagung stellte sich ein. Eine Jung¬
fer Ferretti ward hellsehend und prophezeite dem Mastai die glänzendste Zu¬
kunft. Nach seiner Rückkehr in die heilige Stadt wurde Mastai Canonicus
von Santa Maria Jnviolcita; jetzt führte er seinen wahren Titel, er war
der Ritter der heiligen Jungfrau geworden, für die er später so Großes voll¬
brachte. Zunächst aber ging er mit Monsiguore Muzzi, jder als apostolischer
Vicar nach Chile geschickt wurde, in die neue Welt. Von dort heimgekehrt,
wurde er zum Director des berühmten Hospizes San Michele ernannt, einer
der mächtigsten Stiftungen Roms: Kollegium, Gefängniß. Jnvalidenhospital
und Besserungsanstalt für Weiber. Mastai nahm jetzt den Ton der Autorität
an, und wenn dieser nach unten nicht sonderlich gefiel, so desto besser nach
oben -- er wurde Erzbischof von Spoleto. In dieser Eigenschaft fand er
1831 beim Aufstand der Marken und der Romagna Gelegenheit, ein Vorspiel
der schwankenden Rolle auszuführen, die er spater als Papst spielte. Er suchte
zu vermitteln und hielt sein Ohr nach beiden Seiten. Er hörte die begrün¬
deten Klagen der Neuerer, hörte die monotone Stimme der Gewalt. Er be¬
waffnete die Nationalgarde unter der Bedingung, daß sie die päpstliche Co-
ccude trage, entsetzte allzuhartc Gouverneure, war aber zugleich im geheimen
Einverständniß mit den rettenden Bayonnetten der Oestreicher. Die Folge war,
daß er es nach beiden Seiten hin verdarb, sich bei der Regierung wie bei
dem Volke mißliebig machte. Nicht in die außerordentliche Untersuchungs¬
und Straftommission in den Marken gewühlt, hatte er keinen Antheil an dem
Blutbade, das die Reaction dort anrichtete, aber er protesrirte auch nicht, und
völlig unpopulär geworden, wurde er als einfacher Bischof nach Jmola ver¬
setzt. Er war damit bestraft und belohnt zugleich; denn die Bischöfe von
Jmola sind päpstlicher Same, auch Pius der Siebente erhielt als Bischof von
Jmola die Tiara.

In der neuen Stellung schmollte er, hüstelte etwas mit den Liberalen,
murmelte von nothwendigen Reformen und ging, als die Hetzjagd auf die


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und — nach der antiken Wahrheit äoeencko Ziseimus — zugleich sich selbst.
In der herben Regelmäßigkeit dieser Existenz sammelte sich der bisher Zer-
streute, und selbst seine Epilepsie schwand allmälig.

Ein wenig von den göttlichen Dingen unterrichtet, begab er sich nach
San Carlo al Corso, um Conferenzen zu halten, bei denen seine schöne
Stimme ihm zu Gute kam. Ein zahlreiches Auditorium drängte sich um den
eleganten Herrn, der so gravitätisch einherschriit, so angenehm im Fluß der
Rede dahinschmolz, dessen Silberton das Ohr des weiblichen Geschlechts be-
zauberte. Nachdem er die Ordination empfangen, spielte er in Sinigaglia
bei einem geistlichen Schauspiel mit, der einstige flotte Ballspieler jetzt in der
Mönchskutte die Rolle des Sünders. Man klatschte und weinte, es geschahen
Zeichen und Wunder, der Geist der Weissagung stellte sich ein. Eine Jung¬
fer Ferretti ward hellsehend und prophezeite dem Mastai die glänzendste Zu¬
kunft. Nach seiner Rückkehr in die heilige Stadt wurde Mastai Canonicus
von Santa Maria Jnviolcita; jetzt führte er seinen wahren Titel, er war
der Ritter der heiligen Jungfrau geworden, für die er später so Großes voll¬
brachte. Zunächst aber ging er mit Monsiguore Muzzi, jder als apostolischer
Vicar nach Chile geschickt wurde, in die neue Welt. Von dort heimgekehrt,
wurde er zum Director des berühmten Hospizes San Michele ernannt, einer
der mächtigsten Stiftungen Roms: Kollegium, Gefängniß. Jnvalidenhospital
und Besserungsanstalt für Weiber. Mastai nahm jetzt den Ton der Autorität
an, und wenn dieser nach unten nicht sonderlich gefiel, so desto besser nach
oben — er wurde Erzbischof von Spoleto. In dieser Eigenschaft fand er
1831 beim Aufstand der Marken und der Romagna Gelegenheit, ein Vorspiel
der schwankenden Rolle auszuführen, die er spater als Papst spielte. Er suchte
zu vermitteln und hielt sein Ohr nach beiden Seiten. Er hörte die begrün¬
deten Klagen der Neuerer, hörte die monotone Stimme der Gewalt. Er be¬
waffnete die Nationalgarde unter der Bedingung, daß sie die päpstliche Co-
ccude trage, entsetzte allzuhartc Gouverneure, war aber zugleich im geheimen
Einverständniß mit den rettenden Bayonnetten der Oestreicher. Die Folge war,
daß er es nach beiden Seiten hin verdarb, sich bei der Regierung wie bei
dem Volke mißliebig machte. Nicht in die außerordentliche Untersuchungs¬
und Straftommission in den Marken gewühlt, hatte er keinen Antheil an dem
Blutbade, das die Reaction dort anrichtete, aber er protesrirte auch nicht, und
völlig unpopulär geworden, wurde er als einfacher Bischof nach Jmola ver¬
setzt. Er war damit bestraft und belohnt zugleich; denn die Bischöfe von
Jmola sind päpstlicher Same, auch Pius der Siebente erhielt als Bischof von
Jmola die Tiara.

In der neuen Stellung schmollte er, hüstelte etwas mit den Liberalen,
murmelte von nothwendigen Reformen und ging, als die Hetzjagd auf die


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[0353] und — nach der antiken Wahrheit äoeencko Ziseimus — zugleich sich selbst. In der herben Regelmäßigkeit dieser Existenz sammelte sich der bisher Zer- streute, und selbst seine Epilepsie schwand allmälig. Ein wenig von den göttlichen Dingen unterrichtet, begab er sich nach San Carlo al Corso, um Conferenzen zu halten, bei denen seine schöne Stimme ihm zu Gute kam. Ein zahlreiches Auditorium drängte sich um den eleganten Herrn, der so gravitätisch einherschriit, so angenehm im Fluß der Rede dahinschmolz, dessen Silberton das Ohr des weiblichen Geschlechts be- zauberte. Nachdem er die Ordination empfangen, spielte er in Sinigaglia bei einem geistlichen Schauspiel mit, der einstige flotte Ballspieler jetzt in der Mönchskutte die Rolle des Sünders. Man klatschte und weinte, es geschahen Zeichen und Wunder, der Geist der Weissagung stellte sich ein. Eine Jung¬ fer Ferretti ward hellsehend und prophezeite dem Mastai die glänzendste Zu¬ kunft. Nach seiner Rückkehr in die heilige Stadt wurde Mastai Canonicus von Santa Maria Jnviolcita; jetzt führte er seinen wahren Titel, er war der Ritter der heiligen Jungfrau geworden, für die er später so Großes voll¬ brachte. Zunächst aber ging er mit Monsiguore Muzzi, jder als apostolischer Vicar nach Chile geschickt wurde, in die neue Welt. Von dort heimgekehrt, wurde er zum Director des berühmten Hospizes San Michele ernannt, einer der mächtigsten Stiftungen Roms: Kollegium, Gefängniß. Jnvalidenhospital und Besserungsanstalt für Weiber. Mastai nahm jetzt den Ton der Autorität an, und wenn dieser nach unten nicht sonderlich gefiel, so desto besser nach oben — er wurde Erzbischof von Spoleto. In dieser Eigenschaft fand er 1831 beim Aufstand der Marken und der Romagna Gelegenheit, ein Vorspiel der schwankenden Rolle auszuführen, die er spater als Papst spielte. Er suchte zu vermitteln und hielt sein Ohr nach beiden Seiten. Er hörte die begrün¬ deten Klagen der Neuerer, hörte die monotone Stimme der Gewalt. Er be¬ waffnete die Nationalgarde unter der Bedingung, daß sie die päpstliche Co- ccude trage, entsetzte allzuhartc Gouverneure, war aber zugleich im geheimen Einverständniß mit den rettenden Bayonnetten der Oestreicher. Die Folge war, daß er es nach beiden Seiten hin verdarb, sich bei der Regierung wie bei dem Volke mißliebig machte. Nicht in die außerordentliche Untersuchungs¬ und Straftommission in den Marken gewühlt, hatte er keinen Antheil an dem Blutbade, das die Reaction dort anrichtete, aber er protesrirte auch nicht, und völlig unpopulär geworden, wurde er als einfacher Bischof nach Jmola ver¬ setzt. Er war damit bestraft und belohnt zugleich; denn die Bischöfe von Jmola sind päpstlicher Same, auch Pius der Siebente erhielt als Bischof von Jmola die Tiara. In der neuen Stellung schmollte er, hüstelte etwas mit den Liberalen, murmelte von nothwendigen Reformen und ging, als die Hetzjagd auf die Grenzboten I. 1362. 44

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/353>, abgerufen am 23.07.2024.