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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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lich von uns angezeigten Buch*) nach Francesco Dall'Ongaro gibt, und wir
werden inne werden, daß unser Monsignore durchgehends von der Palette des
Respects gemalt hat. Grün gehört nicht zu dieser Schule, er ist vielleicht in
seinen Nebenbemerkungen frivoler als billig, und so werden wir, den oben
angedeuteten Grundsätzen getreu, sein Bild Pio Nouv's nicht vollständig, son¬
dern nur in den Grundzügen geben Daß es in diesen dem Original noch
mehr entspricht, als das Liveranische. möchten mir nicht bezweifeln.

Wir citiren von jetzt an Grün's Buch, wie bemerkt, mit Weglassung des
Anstößigen, und nur die Hauptsachen heranöhcbend.

Giovanni Mastai Fcrretti wurde 1792 zu Sinigaglia geboren. Seine
Familie gehört zum Adel und besaß eine" gewissen Grad von Reichthum,
Mit elf Jahren wurde der Knabe in das Iesuitencvllegium von Volterra ge¬
schickt. Jesuitisch gebildet sind alle unsere katholischen Lichter von heute.
Keine andere Erziehung macht so fähig zum Abkommen mit den Mächten die¬
ser Welt, keine läßt so viel profanen Lehrstoff zu, ohne daß diese Materie je¬
mals ihre eigne Idealität, nämlich das Licht producirte. Zunächst waren die
Lehrer wenig zufrieden mit ihrem Zögling. Er war aufmerksam, nicht-un¬
fleißig, aber mehr aus Pietät als aus Wißbegierde. Er war im Grunde
von mittelmäßigen Geistesgaben, schlicht, unentschlossen, wie er es immer ge¬
blieben ist. Mit siebzehn Jahren bekam er obendrein die ersten epileptischen
Zufälle, die ihn nöthigten, das Colleg zu verlassen. -Die Aerzte schickten ihn
nach Sinigaglia zu seiner Familie zurück, wo ihm ein sorgfältiger Müßiggang
auferlegt wurde. Er ging aus die Jagd, spielte Ball, und zwar mit Vor¬
liebe und Leidenschaft; denn seine körperliche Eleganz kam dadurch zur Gel¬
tung. Auch die Liebe gesellte sich zu diesen nobeln Passionen, aber das ernst¬
lichste der verschiedenen Verhältnisse, die der junge Mann einging, war nicht
glücklich. Die Prinzessin Albani. eine berühmte römische Schönheit, wurde
die Frau eines Andern. Ebenso wenig gönnte das Schicksal den Jüngling
dem Kriegsgatt. Mastai zählte 23 Jahre, als der König von Neapel (1815)
das "Königreich Italien" aufs Korn nahm und in den Marken erschien.
Giovanni machte die Bekanntschaft etlicher seiner Offiziere und schwärmte
für die Uniform, ein Oheim verschaffte ihm eine Leutnantsstelle in der päpst¬
lichen Nobelgarde; als aber der Minister von seiner Epilepsie hörte, wehrte
er ihm kategorisch den Eintritt.

Mastai wurde melancholisch und empfand jetzt Neigung zum Priester¬
werden. Seine unvollendeten Studien hielten ihn davon nicht ab; denn in
der Hauptstadt der katholischen Christenheit hat man das Studiren abgeschafft.
Im Hospiz Taka Giovanni erzog der angehende Geistliche die Waisenknaben



') Italien im Frühjahr 1861. München, E. A. Fleischmann.

lich von uns angezeigten Buch*) nach Francesco Dall'Ongaro gibt, und wir
werden inne werden, daß unser Monsignore durchgehends von der Palette des
Respects gemalt hat. Grün gehört nicht zu dieser Schule, er ist vielleicht in
seinen Nebenbemerkungen frivoler als billig, und so werden wir, den oben
angedeuteten Grundsätzen getreu, sein Bild Pio Nouv's nicht vollständig, son¬
dern nur in den Grundzügen geben Daß es in diesen dem Original noch
mehr entspricht, als das Liveranische. möchten mir nicht bezweifeln.

Wir citiren von jetzt an Grün's Buch, wie bemerkt, mit Weglassung des
Anstößigen, und nur die Hauptsachen heranöhcbend.

Giovanni Mastai Fcrretti wurde 1792 zu Sinigaglia geboren. Seine
Familie gehört zum Adel und besaß eine» gewissen Grad von Reichthum,
Mit elf Jahren wurde der Knabe in das Iesuitencvllegium von Volterra ge¬
schickt. Jesuitisch gebildet sind alle unsere katholischen Lichter von heute.
Keine andere Erziehung macht so fähig zum Abkommen mit den Mächten die¬
ser Welt, keine läßt so viel profanen Lehrstoff zu, ohne daß diese Materie je¬
mals ihre eigne Idealität, nämlich das Licht producirte. Zunächst waren die
Lehrer wenig zufrieden mit ihrem Zögling. Er war aufmerksam, nicht-un¬
fleißig, aber mehr aus Pietät als aus Wißbegierde. Er war im Grunde
von mittelmäßigen Geistesgaben, schlicht, unentschlossen, wie er es immer ge¬
blieben ist. Mit siebzehn Jahren bekam er obendrein die ersten epileptischen
Zufälle, die ihn nöthigten, das Colleg zu verlassen. -Die Aerzte schickten ihn
nach Sinigaglia zu seiner Familie zurück, wo ihm ein sorgfältiger Müßiggang
auferlegt wurde. Er ging aus die Jagd, spielte Ball, und zwar mit Vor¬
liebe und Leidenschaft; denn seine körperliche Eleganz kam dadurch zur Gel¬
tung. Auch die Liebe gesellte sich zu diesen nobeln Passionen, aber das ernst¬
lichste der verschiedenen Verhältnisse, die der junge Mann einging, war nicht
glücklich. Die Prinzessin Albani. eine berühmte römische Schönheit, wurde
die Frau eines Andern. Ebenso wenig gönnte das Schicksal den Jüngling
dem Kriegsgatt. Mastai zählte 23 Jahre, als der König von Neapel (1815)
das „Königreich Italien" aufs Korn nahm und in den Marken erschien.
Giovanni machte die Bekanntschaft etlicher seiner Offiziere und schwärmte
für die Uniform, ein Oheim verschaffte ihm eine Leutnantsstelle in der päpst¬
lichen Nobelgarde; als aber der Minister von seiner Epilepsie hörte, wehrte
er ihm kategorisch den Eintritt.

Mastai wurde melancholisch und empfand jetzt Neigung zum Priester¬
werden. Seine unvollendeten Studien hielten ihn davon nicht ab; denn in
der Hauptstadt der katholischen Christenheit hat man das Studiren abgeschafft.
Im Hospiz Taka Giovanni erzog der angehende Geistliche die Waisenknaben



') Italien im Frühjahr 1861. München, E. A. Fleischmann.
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[0352] lich von uns angezeigten Buch*) nach Francesco Dall'Ongaro gibt, und wir werden inne werden, daß unser Monsignore durchgehends von der Palette des Respects gemalt hat. Grün gehört nicht zu dieser Schule, er ist vielleicht in seinen Nebenbemerkungen frivoler als billig, und so werden wir, den oben angedeuteten Grundsätzen getreu, sein Bild Pio Nouv's nicht vollständig, son¬ dern nur in den Grundzügen geben Daß es in diesen dem Original noch mehr entspricht, als das Liveranische. möchten mir nicht bezweifeln. Wir citiren von jetzt an Grün's Buch, wie bemerkt, mit Weglassung des Anstößigen, und nur die Hauptsachen heranöhcbend. Giovanni Mastai Fcrretti wurde 1792 zu Sinigaglia geboren. Seine Familie gehört zum Adel und besaß eine» gewissen Grad von Reichthum, Mit elf Jahren wurde der Knabe in das Iesuitencvllegium von Volterra ge¬ schickt. Jesuitisch gebildet sind alle unsere katholischen Lichter von heute. Keine andere Erziehung macht so fähig zum Abkommen mit den Mächten die¬ ser Welt, keine läßt so viel profanen Lehrstoff zu, ohne daß diese Materie je¬ mals ihre eigne Idealität, nämlich das Licht producirte. Zunächst waren die Lehrer wenig zufrieden mit ihrem Zögling. Er war aufmerksam, nicht-un¬ fleißig, aber mehr aus Pietät als aus Wißbegierde. Er war im Grunde von mittelmäßigen Geistesgaben, schlicht, unentschlossen, wie er es immer ge¬ blieben ist. Mit siebzehn Jahren bekam er obendrein die ersten epileptischen Zufälle, die ihn nöthigten, das Colleg zu verlassen. -Die Aerzte schickten ihn nach Sinigaglia zu seiner Familie zurück, wo ihm ein sorgfältiger Müßiggang auferlegt wurde. Er ging aus die Jagd, spielte Ball, und zwar mit Vor¬ liebe und Leidenschaft; denn seine körperliche Eleganz kam dadurch zur Gel¬ tung. Auch die Liebe gesellte sich zu diesen nobeln Passionen, aber das ernst¬ lichste der verschiedenen Verhältnisse, die der junge Mann einging, war nicht glücklich. Die Prinzessin Albani. eine berühmte römische Schönheit, wurde die Frau eines Andern. Ebenso wenig gönnte das Schicksal den Jüngling dem Kriegsgatt. Mastai zählte 23 Jahre, als der König von Neapel (1815) das „Königreich Italien" aufs Korn nahm und in den Marken erschien. Giovanni machte die Bekanntschaft etlicher seiner Offiziere und schwärmte für die Uniform, ein Oheim verschaffte ihm eine Leutnantsstelle in der päpst¬ lichen Nobelgarde; als aber der Minister von seiner Epilepsie hörte, wehrte er ihm kategorisch den Eintritt. Mastai wurde melancholisch und empfand jetzt Neigung zum Priester¬ werden. Seine unvollendeten Studien hielten ihn davon nicht ab; denn in der Hauptstadt der katholischen Christenheit hat man das Studiren abgeschafft. Im Hospiz Taka Giovanni erzog der angehende Geistliche die Waisenknaben ') Italien im Frühjahr 1861. München, E. A. Fleischmann.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/352>, abgerufen am 26.08.2024.