Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.tirendes Geschenk. Der protestantische Staat hat, natürlich von zahlreichen Wenn ferner Guizot von den Protestanten fordert, daß sie das Recht Gesetzt aber auch, was wir weit entfernt sind, anzuerkennen, die gegen¬ Grenzboten I. 1862. 39
tirendes Geschenk. Der protestantische Staat hat, natürlich von zahlreichen Wenn ferner Guizot von den Protestanten fordert, daß sie das Recht Gesetzt aber auch, was wir weit entfernt sind, anzuerkennen, die gegen¬ Grenzboten I. 1862. 39
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0313" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/113555"/> <p xml:id="ID_944" prev="#ID_943"> tirendes Geschenk. Der protestantische Staat hat, natürlich von zahlreichen<lb/> Ausnahmen abgesehen, sein Hoheitsrecht über die Kirche meist in freisinniger<lb/> und besonnener Weise ausgeübt. Uebergibt er die Kirche der souverainen Lei¬<lb/> tung geistlicher, ihm nicht verantwortlicher Behörden, w hat er der Kirche<lb/> allerdings dem Namen nach die Freiheit, in der That aber statt eines mit--<lb/> den, umsichtigen, zu steter Ausgleichung collid>re»der Interessen geneigten und<lb/> fähigen Schützers einen schroffen, von einseitigen Anschauungen beherrschten,<lb/> einer freien und versöhnlichen Auffassung entstehender Conflicte abgeneigten<lb/> Herrn gegeben und den Grund zu einer protestantischen Hierarchie gelegt.<lb/> Denn kein abgeschlossener Stand, und, mögen seine einzelnen Glieder von<lb/> der mildesten Gesinnung und den reinsten Absichten beseelt sein, vermag aus<lb/> die Dauer der Versuchung zu widerstehen, seine Herrschaft zur Unterdrückung der<lb/> Beherrschten anzuwenden. Auch wir sind mit Guizot der Meinung, daß die<lb/> Kirche, um ihre Aufgaben zu erfülle», der Freiheit bedarf; aber wir messen<lb/> der Freiheit nur dann einen Werth bei. wenn sie unter dem Schutze einer<lb/> den Grundsätzen des Protestantismus entsprechenden Verfassung steht.</p><lb/> <p xml:id="ID_945"> Wenn ferner Guizot von den Protestanten fordert, daß sie das Recht<lb/> der katholischen Kirche, ihre Angelegenheiten nach ihren eigenen Principien<lb/> zu ordnen, unbedingt anerkennen, so läßt sich auch diesem Satze die Leistim-<lb/> mung im Allgemeinen nicht versagen; wohl aber erscheint es mehr als be¬<lb/> denklich, den Protestantismus zur Unterstützung der römischen Hierarchie auf¬<lb/> zurufen. Die Hierarchie verfährt, wo sie kann, angreifend gegen den Prote¬<lb/> stantismus. Welchem Widersprüche setzt man sich also aus, wenn man von<lb/> der protestantischen Kirche fordert, daß sie der Hierarchie ihren Schutz biete<lb/> während sie gegen dieselbe aller Orten eine» unausgesetzten Vertheidigungs-<lb/> kampf zu führen hat! Dies heißt doch, Unmögliches fordern! Mag jede<lb/> Kirche der anderen das Recht, ihre eigene Sache zu vertreten, unverkümmert<lb/> lassen! Weiter aber geht die Forderung der Gerechtigkeit nicht. Nimmer¬<lb/> mehr kann dem Protestantismus zugemuthet werden, die Sache der katho¬<lb/> lischen Kirche wie seine eigene anzusehen. Würde sie etwa auf Gegenseitig¬<lb/> keit rechnen können? Dies wagt doch auch Guizot nicht vorauszusetzen. Es<lb/> schwebt ihm hier, wie an einige» anderen Stellen, die Idee vo» der Soli¬<lb/> darität der conservativen Interessen vor, die, zu allen Zeiten gefährlich und<lb/> schädlich, gegenwärtig, wenn sie ins Leben treten könnte, binnen Kurzem den<lb/> gewaltsamen Umsturz aller bestehenden staatlichen und socialen Verhältnisse<lb/> herbeiführen würde.</p><lb/> <p xml:id="ID_946" next="#ID_947"> Gesetzt aber auch, was wir weit entfernt sind, anzuerkennen, die gegen¬<lb/> wärtige Frage der Dinge machte ein augenblickliches Zusammenwirken der<lb/> beiden Kirchen gegen einen gemeinsamen Feind nothwendig, so bleibt doch<lb/> immer noch die Behauptung zu erweisen, daß der Bestand der katholischen</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten I. 1862. 39</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0313]
tirendes Geschenk. Der protestantische Staat hat, natürlich von zahlreichen
Ausnahmen abgesehen, sein Hoheitsrecht über die Kirche meist in freisinniger
und besonnener Weise ausgeübt. Uebergibt er die Kirche der souverainen Lei¬
tung geistlicher, ihm nicht verantwortlicher Behörden, w hat er der Kirche
allerdings dem Namen nach die Freiheit, in der That aber statt eines mit--
den, umsichtigen, zu steter Ausgleichung collid>re»der Interessen geneigten und
fähigen Schützers einen schroffen, von einseitigen Anschauungen beherrschten,
einer freien und versöhnlichen Auffassung entstehender Conflicte abgeneigten
Herrn gegeben und den Grund zu einer protestantischen Hierarchie gelegt.
Denn kein abgeschlossener Stand, und, mögen seine einzelnen Glieder von
der mildesten Gesinnung und den reinsten Absichten beseelt sein, vermag aus
die Dauer der Versuchung zu widerstehen, seine Herrschaft zur Unterdrückung der
Beherrschten anzuwenden. Auch wir sind mit Guizot der Meinung, daß die
Kirche, um ihre Aufgaben zu erfülle», der Freiheit bedarf; aber wir messen
der Freiheit nur dann einen Werth bei. wenn sie unter dem Schutze einer
den Grundsätzen des Protestantismus entsprechenden Verfassung steht.
Wenn ferner Guizot von den Protestanten fordert, daß sie das Recht
der katholischen Kirche, ihre Angelegenheiten nach ihren eigenen Principien
zu ordnen, unbedingt anerkennen, so läßt sich auch diesem Satze die Leistim-
mung im Allgemeinen nicht versagen; wohl aber erscheint es mehr als be¬
denklich, den Protestantismus zur Unterstützung der römischen Hierarchie auf¬
zurufen. Die Hierarchie verfährt, wo sie kann, angreifend gegen den Prote¬
stantismus. Welchem Widersprüche setzt man sich also aus, wenn man von
der protestantischen Kirche fordert, daß sie der Hierarchie ihren Schutz biete
während sie gegen dieselbe aller Orten eine» unausgesetzten Vertheidigungs-
kampf zu führen hat! Dies heißt doch, Unmögliches fordern! Mag jede
Kirche der anderen das Recht, ihre eigene Sache zu vertreten, unverkümmert
lassen! Weiter aber geht die Forderung der Gerechtigkeit nicht. Nimmer¬
mehr kann dem Protestantismus zugemuthet werden, die Sache der katho¬
lischen Kirche wie seine eigene anzusehen. Würde sie etwa auf Gegenseitig¬
keit rechnen können? Dies wagt doch auch Guizot nicht vorauszusetzen. Es
schwebt ihm hier, wie an einige» anderen Stellen, die Idee vo» der Soli¬
darität der conservativen Interessen vor, die, zu allen Zeiten gefährlich und
schädlich, gegenwärtig, wenn sie ins Leben treten könnte, binnen Kurzem den
gewaltsamen Umsturz aller bestehenden staatlichen und socialen Verhältnisse
herbeiführen würde.
Gesetzt aber auch, was wir weit entfernt sind, anzuerkennen, die gegen¬
wärtige Frage der Dinge machte ein augenblickliches Zusammenwirken der
beiden Kirchen gegen einen gemeinsamen Feind nothwendig, so bleibt doch
immer noch die Behauptung zu erweisen, daß der Bestand der katholischen
Grenzboten I. 1862. 39
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