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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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der Ernährung von Schimmelpilzen fähige Flüssigkeit gebracht, von welcher
der Zutritt in der Lust schwebender Pilzsamen im Uebrigen vollständig abge¬
sperrt war, und in der alle zuvor in ihr enthaltenen Keime durch das Kochen
zuverlässig getödtet worden waren, so trat regelmäßig die Bildung von
Schimmelpilzen ein, welche innerhalb des Glasröhrchens anhob und von da
durch die Flüssigkeit sich verbreitete: ein Versuch, der die Entwicklungsfähig¬
keit der in der Baumwolle aufgefangenen Körper zu Schimmelpilzen, die Identi¬
tät jener mit den Samen dieser in überzeugender Weise darthut. Eine
lange Reihe mit großer Umsicht angeordneter Versuche Pasteurs läßt aufs
Neue mit eindringlicher Schärfe die oft gemachte Erfahrung hervortreten, daß
Organismen nur da sich zeigen, wo ihre vorher gebildeten Keime lebensfähig
hingelangen können. Die Erfüllung des schier größten Wunsches der modernen
Naturforschung, der Entstehung eines Organismus, dem Zusammentreten des¬
selben aus noch nicht organisirten Stoffen beobachtend folgen zu können --
die Erfüllung dieses Wunsches ist gegenwärtig in weitere Ferne gerückt
als je.

Die an den einfachst gebauten, allgemein verbreiteten Schimmelpilzen ge¬
machte Erfahrung findet die berechtigtste Anwendung auf die Fortpflanzung
der zusammengesetzten, großen, an engere Wohnbezirke gebundenen fleischigen
Schwämme. Es wird nicht nöthig sein, mit mehr als einigen Worten
z. B. des viel gehegten Vorurtheils zu gedenken, welches den gemeinen Cham¬
pignon aus der Gährung des verrottenden Düngers erzeugt werden läßt. Un¬
zweifelhaft wird die Vegetation dieses Pilzes durch die Anwesenheit verwesen¬
der thierischer Auswurfstoffe im Boden begünstigt'. Aber schon ein sehr ge¬
ringes Maaß derselben genügt, diese Vegetation zu ermöglichen. Man trifft
den Pilz ab und zu, einzeln, an Wegrändern, in Chausseegraben. Ein einziger
Hut verstreut mehr als eine Milliarde von Samen, von denen ein großer
Theil vom Winde fortgeführt und über weite Flächen verstreut werden muß.
Viele mögen an Futterkräutern anhaften. Es ist bekannt, daß langes Aus¬
trocknen, daß der Durchgang durch den Darmkanal von Thieren die Keim¬
fähigkeit dieser Samen nicht beeinträchtigt. Was Wunder da, wenn in frisch
vom Stalle in Treibbeete gebrachten Noßdünger nach dessen Verrotten Champig¬
nons auftreten?

Kommt der Same eines Pilzes in seiner Weiterentwicklung günstige Ver-
hältnisse, so wächst eine eng umgrenzte Stelle seiner Haut (wo diese doppelt
ist, der innern Haut) zu einem langen, cylindrischen Schlauche, einem Pilz¬
faden aus, dessen Innenraum während der fortdauernden Verlängerung durch
Bildung von Querscheidewändcn in eine Reihe von Zellen sich theilt; der
durch Zweigbildung unterhalb der Spitze sich verästelt. Solche Pilzfäden
haben merkwürdige Eigenschaften. Die vieler Arten durchbohren harte, feste


Grelizbotcn I. 1662, 33

der Ernährung von Schimmelpilzen fähige Flüssigkeit gebracht, von welcher
der Zutritt in der Lust schwebender Pilzsamen im Uebrigen vollständig abge¬
sperrt war, und in der alle zuvor in ihr enthaltenen Keime durch das Kochen
zuverlässig getödtet worden waren, so trat regelmäßig die Bildung von
Schimmelpilzen ein, welche innerhalb des Glasröhrchens anhob und von da
durch die Flüssigkeit sich verbreitete: ein Versuch, der die Entwicklungsfähig¬
keit der in der Baumwolle aufgefangenen Körper zu Schimmelpilzen, die Identi¬
tät jener mit den Samen dieser in überzeugender Weise darthut. Eine
lange Reihe mit großer Umsicht angeordneter Versuche Pasteurs läßt aufs
Neue mit eindringlicher Schärfe die oft gemachte Erfahrung hervortreten, daß
Organismen nur da sich zeigen, wo ihre vorher gebildeten Keime lebensfähig
hingelangen können. Die Erfüllung des schier größten Wunsches der modernen
Naturforschung, der Entstehung eines Organismus, dem Zusammentreten des¬
selben aus noch nicht organisirten Stoffen beobachtend folgen zu können —
die Erfüllung dieses Wunsches ist gegenwärtig in weitere Ferne gerückt
als je.

Die an den einfachst gebauten, allgemein verbreiteten Schimmelpilzen ge¬
machte Erfahrung findet die berechtigtste Anwendung auf die Fortpflanzung
der zusammengesetzten, großen, an engere Wohnbezirke gebundenen fleischigen
Schwämme. Es wird nicht nöthig sein, mit mehr als einigen Worten
z. B. des viel gehegten Vorurtheils zu gedenken, welches den gemeinen Cham¬
pignon aus der Gährung des verrottenden Düngers erzeugt werden läßt. Un¬
zweifelhaft wird die Vegetation dieses Pilzes durch die Anwesenheit verwesen¬
der thierischer Auswurfstoffe im Boden begünstigt'. Aber schon ein sehr ge¬
ringes Maaß derselben genügt, diese Vegetation zu ermöglichen. Man trifft
den Pilz ab und zu, einzeln, an Wegrändern, in Chausseegraben. Ein einziger
Hut verstreut mehr als eine Milliarde von Samen, von denen ein großer
Theil vom Winde fortgeführt und über weite Flächen verstreut werden muß.
Viele mögen an Futterkräutern anhaften. Es ist bekannt, daß langes Aus¬
trocknen, daß der Durchgang durch den Darmkanal von Thieren die Keim¬
fähigkeit dieser Samen nicht beeinträchtigt. Was Wunder da, wenn in frisch
vom Stalle in Treibbeete gebrachten Noßdünger nach dessen Verrotten Champig¬
nons auftreten?

Kommt der Same eines Pilzes in seiner Weiterentwicklung günstige Ver-
hältnisse, so wächst eine eng umgrenzte Stelle seiner Haut (wo diese doppelt
ist, der innern Haut) zu einem langen, cylindrischen Schlauche, einem Pilz¬
faden aus, dessen Innenraum während der fortdauernden Verlängerung durch
Bildung von Querscheidewändcn in eine Reihe von Zellen sich theilt; der
durch Zweigbildung unterhalb der Spitze sich verästelt. Solche Pilzfäden
haben merkwürdige Eigenschaften. Die vieler Arten durchbohren harte, feste


Grelizbotcn I. 1662, 33
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[0265] der Ernährung von Schimmelpilzen fähige Flüssigkeit gebracht, von welcher der Zutritt in der Lust schwebender Pilzsamen im Uebrigen vollständig abge¬ sperrt war, und in der alle zuvor in ihr enthaltenen Keime durch das Kochen zuverlässig getödtet worden waren, so trat regelmäßig die Bildung von Schimmelpilzen ein, welche innerhalb des Glasröhrchens anhob und von da durch die Flüssigkeit sich verbreitete: ein Versuch, der die Entwicklungsfähig¬ keit der in der Baumwolle aufgefangenen Körper zu Schimmelpilzen, die Identi¬ tät jener mit den Samen dieser in überzeugender Weise darthut. Eine lange Reihe mit großer Umsicht angeordneter Versuche Pasteurs läßt aufs Neue mit eindringlicher Schärfe die oft gemachte Erfahrung hervortreten, daß Organismen nur da sich zeigen, wo ihre vorher gebildeten Keime lebensfähig hingelangen können. Die Erfüllung des schier größten Wunsches der modernen Naturforschung, der Entstehung eines Organismus, dem Zusammentreten des¬ selben aus noch nicht organisirten Stoffen beobachtend folgen zu können — die Erfüllung dieses Wunsches ist gegenwärtig in weitere Ferne gerückt als je. Die an den einfachst gebauten, allgemein verbreiteten Schimmelpilzen ge¬ machte Erfahrung findet die berechtigtste Anwendung auf die Fortpflanzung der zusammengesetzten, großen, an engere Wohnbezirke gebundenen fleischigen Schwämme. Es wird nicht nöthig sein, mit mehr als einigen Worten z. B. des viel gehegten Vorurtheils zu gedenken, welches den gemeinen Cham¬ pignon aus der Gährung des verrottenden Düngers erzeugt werden läßt. Un¬ zweifelhaft wird die Vegetation dieses Pilzes durch die Anwesenheit verwesen¬ der thierischer Auswurfstoffe im Boden begünstigt'. Aber schon ein sehr ge¬ ringes Maaß derselben genügt, diese Vegetation zu ermöglichen. Man trifft den Pilz ab und zu, einzeln, an Wegrändern, in Chausseegraben. Ein einziger Hut verstreut mehr als eine Milliarde von Samen, von denen ein großer Theil vom Winde fortgeführt und über weite Flächen verstreut werden muß. Viele mögen an Futterkräutern anhaften. Es ist bekannt, daß langes Aus¬ trocknen, daß der Durchgang durch den Darmkanal von Thieren die Keim¬ fähigkeit dieser Samen nicht beeinträchtigt. Was Wunder da, wenn in frisch vom Stalle in Treibbeete gebrachten Noßdünger nach dessen Verrotten Champig¬ nons auftreten? Kommt der Same eines Pilzes in seiner Weiterentwicklung günstige Ver- hältnisse, so wächst eine eng umgrenzte Stelle seiner Haut (wo diese doppelt ist, der innern Haut) zu einem langen, cylindrischen Schlauche, einem Pilz¬ faden aus, dessen Innenraum während der fortdauernden Verlängerung durch Bildung von Querscheidewändcn in eine Reihe von Zellen sich theilt; der durch Zweigbildung unterhalb der Spitze sich verästelt. Solche Pilzfäden haben merkwürdige Eigenschaften. Die vieler Arten durchbohren harte, feste Grelizbotcn I. 1662, 33

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/265>, abgerufen am 23.07.2024.