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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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Trüffeln seien krankhafte Auswüchse der Wurzeln von Bäumen, Auswüchse, die in
ähnlicher Weise' durch den Stich von Jnsecten hervorgerufen würden, wie etwa
die Galläpfel. Die französische Akademie ist sehr oft durch die Einsendung
umfangreicher Abhandlungen behelligt worden, welche diesen Satz zu erweisen
sich bemühten. Die klareren Köpfe sind von je, seit dem Aufleben der beobach¬
tenden Wissenschaften, außer Zweifel darüber gewesen, daß man die Trüffeln,
gleich allen Pilzen, für eigenartige Pflanzen zu nehmen habe, die nur durch
Samen sich fortpflanzen. Aber bei der unterirdischen Lebensweise der Trüf¬
fel, der Schwierigkeit, junge Zustände derselben zu erlangen, blieb ihre Ent¬
wicklungsgeschichte lange dunkel und räthselhaft.Erst in neuester Zeit haben
die, zum Theil in den Trüffelgruben Poitous am Orte selbst angestellten Unter¬
suchungen der Brüder Tulasne gezeigt, daß die Entwicklung der Trüffeln in
allen wesentlichen Zügen mit dem Wachsthum anderer Pilze übereinstimmt.
Wie aber wachsen überhaupt die Pilze?

Auf dem Gipfel seiner Ausbildung angelangt, bringt der Pilz Samen
in ungemein großer Zahl*) l)ervor: aus dem Verbände mit der Mutterpflanze
sich lösende, die Fortpflanzung des Gewächses vermittelnde Körper von sehr
einfachem Baue (eine einzige Zelle, ein allseitig von einer einfachen oder
doppelten Haut umschlossener Hohlraum mit bildungsfähigem Inhalt), von
äußerster Kleinheit, sehr geringem Gewicht, großer Lebenszähigkeit. Die Leich¬
tigkeit, mit welcher jede Luftströmung diese Samen emporzuheben und fortzu¬
führen vermag, verbunden mit der massenhaften Erzeugung derselben er¬
klären befriedigend das Auftreten der verbreitetsten Schimmelformen auf
jeder dem Gedeihen des Schimmelpilzes günstigen, den Samen zugänglichen
Unterlage unter den verschiedenartigsten Verhältnissen. Durch unmittelbare
Versuche hat neuerdings Pasteur das massenhafte Vorkommen der Pilz¬
samen in bewegter Luft besonders anschaulich dargethan. Er leitete Luft,
welche er in einer Vorstadtstraße von Paris auffing, durch eine Röhre, in
welcher ein lockerer Bausch von Schießbaumwolle angebracht war. Der in
der Luft schwebende Staub blieb in der Baumwolle hängen. Nach Hindurch¬
leitung einer bestimmten Menge von Luft wurde die Schießbaumwolle in
Schwefeläther gelöst. Der in ihr aufgefangene Staub siel in, der klaren Lö¬
sung als Bodensatz nieder. Mikroskopisch untersucht, zeigte er in allen Fällen
unter Bruchstücken von Pflanzenfasern, Wolle, feinsten Sandkörnern und der¬
gleichen mehr auch Körper von dem wohl gekennzeichneten Aussehen der Samen
gemeiner Schimmelpilze. Wurde ein Glasröhrchen mit einem staubhaltigen
Baumwollenbausche in eine unmittelbar vorher zum Sieden erhitzt gewesene,



") Eine niedrig gegriffene Schätzung ergibt für die Zahl der Samen eines Champignons
mittler Größe die Ziffer von 1006^ Millionen.

Trüffeln seien krankhafte Auswüchse der Wurzeln von Bäumen, Auswüchse, die in
ähnlicher Weise' durch den Stich von Jnsecten hervorgerufen würden, wie etwa
die Galläpfel. Die französische Akademie ist sehr oft durch die Einsendung
umfangreicher Abhandlungen behelligt worden, welche diesen Satz zu erweisen
sich bemühten. Die klareren Köpfe sind von je, seit dem Aufleben der beobach¬
tenden Wissenschaften, außer Zweifel darüber gewesen, daß man die Trüffeln,
gleich allen Pilzen, für eigenartige Pflanzen zu nehmen habe, die nur durch
Samen sich fortpflanzen. Aber bei der unterirdischen Lebensweise der Trüf¬
fel, der Schwierigkeit, junge Zustände derselben zu erlangen, blieb ihre Ent¬
wicklungsgeschichte lange dunkel und räthselhaft.Erst in neuester Zeit haben
die, zum Theil in den Trüffelgruben Poitous am Orte selbst angestellten Unter¬
suchungen der Brüder Tulasne gezeigt, daß die Entwicklung der Trüffeln in
allen wesentlichen Zügen mit dem Wachsthum anderer Pilze übereinstimmt.
Wie aber wachsen überhaupt die Pilze?

Auf dem Gipfel seiner Ausbildung angelangt, bringt der Pilz Samen
in ungemein großer Zahl*) l)ervor: aus dem Verbände mit der Mutterpflanze
sich lösende, die Fortpflanzung des Gewächses vermittelnde Körper von sehr
einfachem Baue (eine einzige Zelle, ein allseitig von einer einfachen oder
doppelten Haut umschlossener Hohlraum mit bildungsfähigem Inhalt), von
äußerster Kleinheit, sehr geringem Gewicht, großer Lebenszähigkeit. Die Leich¬
tigkeit, mit welcher jede Luftströmung diese Samen emporzuheben und fortzu¬
führen vermag, verbunden mit der massenhaften Erzeugung derselben er¬
klären befriedigend das Auftreten der verbreitetsten Schimmelformen auf
jeder dem Gedeihen des Schimmelpilzes günstigen, den Samen zugänglichen
Unterlage unter den verschiedenartigsten Verhältnissen. Durch unmittelbare
Versuche hat neuerdings Pasteur das massenhafte Vorkommen der Pilz¬
samen in bewegter Luft besonders anschaulich dargethan. Er leitete Luft,
welche er in einer Vorstadtstraße von Paris auffing, durch eine Röhre, in
welcher ein lockerer Bausch von Schießbaumwolle angebracht war. Der in
der Luft schwebende Staub blieb in der Baumwolle hängen. Nach Hindurch¬
leitung einer bestimmten Menge von Luft wurde die Schießbaumwolle in
Schwefeläther gelöst. Der in ihr aufgefangene Staub siel in, der klaren Lö¬
sung als Bodensatz nieder. Mikroskopisch untersucht, zeigte er in allen Fällen
unter Bruchstücken von Pflanzenfasern, Wolle, feinsten Sandkörnern und der¬
gleichen mehr auch Körper von dem wohl gekennzeichneten Aussehen der Samen
gemeiner Schimmelpilze. Wurde ein Glasröhrchen mit einem staubhaltigen
Baumwollenbausche in eine unmittelbar vorher zum Sieden erhitzt gewesene,



") Eine niedrig gegriffene Schätzung ergibt für die Zahl der Samen eines Champignons
mittler Größe die Ziffer von 1006^ Millionen.
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[0264] Trüffeln seien krankhafte Auswüchse der Wurzeln von Bäumen, Auswüchse, die in ähnlicher Weise' durch den Stich von Jnsecten hervorgerufen würden, wie etwa die Galläpfel. Die französische Akademie ist sehr oft durch die Einsendung umfangreicher Abhandlungen behelligt worden, welche diesen Satz zu erweisen sich bemühten. Die klareren Köpfe sind von je, seit dem Aufleben der beobach¬ tenden Wissenschaften, außer Zweifel darüber gewesen, daß man die Trüffeln, gleich allen Pilzen, für eigenartige Pflanzen zu nehmen habe, die nur durch Samen sich fortpflanzen. Aber bei der unterirdischen Lebensweise der Trüf¬ fel, der Schwierigkeit, junge Zustände derselben zu erlangen, blieb ihre Ent¬ wicklungsgeschichte lange dunkel und räthselhaft.Erst in neuester Zeit haben die, zum Theil in den Trüffelgruben Poitous am Orte selbst angestellten Unter¬ suchungen der Brüder Tulasne gezeigt, daß die Entwicklung der Trüffeln in allen wesentlichen Zügen mit dem Wachsthum anderer Pilze übereinstimmt. Wie aber wachsen überhaupt die Pilze? Auf dem Gipfel seiner Ausbildung angelangt, bringt der Pilz Samen in ungemein großer Zahl*) l)ervor: aus dem Verbände mit der Mutterpflanze sich lösende, die Fortpflanzung des Gewächses vermittelnde Körper von sehr einfachem Baue (eine einzige Zelle, ein allseitig von einer einfachen oder doppelten Haut umschlossener Hohlraum mit bildungsfähigem Inhalt), von äußerster Kleinheit, sehr geringem Gewicht, großer Lebenszähigkeit. Die Leich¬ tigkeit, mit welcher jede Luftströmung diese Samen emporzuheben und fortzu¬ führen vermag, verbunden mit der massenhaften Erzeugung derselben er¬ klären befriedigend das Auftreten der verbreitetsten Schimmelformen auf jeder dem Gedeihen des Schimmelpilzes günstigen, den Samen zugänglichen Unterlage unter den verschiedenartigsten Verhältnissen. Durch unmittelbare Versuche hat neuerdings Pasteur das massenhafte Vorkommen der Pilz¬ samen in bewegter Luft besonders anschaulich dargethan. Er leitete Luft, welche er in einer Vorstadtstraße von Paris auffing, durch eine Röhre, in welcher ein lockerer Bausch von Schießbaumwolle angebracht war. Der in der Luft schwebende Staub blieb in der Baumwolle hängen. Nach Hindurch¬ leitung einer bestimmten Menge von Luft wurde die Schießbaumwolle in Schwefeläther gelöst. Der in ihr aufgefangene Staub siel in, der klaren Lö¬ sung als Bodensatz nieder. Mikroskopisch untersucht, zeigte er in allen Fällen unter Bruchstücken von Pflanzenfasern, Wolle, feinsten Sandkörnern und der¬ gleichen mehr auch Körper von dem wohl gekennzeichneten Aussehen der Samen gemeiner Schimmelpilze. Wurde ein Glasröhrchen mit einem staubhaltigen Baumwollenbausche in eine unmittelbar vorher zum Sieden erhitzt gewesene, ") Eine niedrig gegriffene Schätzung ergibt für die Zahl der Samen eines Champignons mittler Größe die Ziffer von 1006^ Millionen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/264>, abgerufen am 23.07.2024.