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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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gegeben hat, machen den Eindruck der Wahrheit, und er weiß die Personen mit
Sicherheit in lebendigem Reden und Gebahren durch die Situationen zu
führen. Freilich nur die Kinder der Landschaft; denn die vornehmen Leute,
welche er wie als Gegenbild hereingesctzt hat, stechen unangenehm gegen die
einfachen und reinlichen Umrisse der Bolköcharaktere ab, es sind Carricaturen,
wie aus den Münchner Fliegenden Blättern, für kurzen Scherz unterhaltend
genug, in der episodischen Ausführung, welche er ihnen gönnt, nicht geistvoll, nicht
mehr wahr, und in peinlichen Widerspruch gegen die realistische Färbung derVolks-
siguren. Am schwächsten ist die Erfindung und Fortführung der Erzählung
selbst, nicht gleichmäßig ist der Faden gesponnen, die Spannung zu gering,, ja
man erfährt wichtige und entscheidende Motive erst wie gelegentlich am Schluß.
Auffallend gro>z ist dieser Mangel, obgleich in Deutschland nichts selten,
der Verfasser ist das Beispiel eines sehr achtungswerthen Talentes für Be¬
schreibung und Darstellung, dem diejenige Erfindungskraft, welche sich in der
Komposition einer Erzählung zeigt, sehr fehlt oder ganz unentwickelt ist.

So erhält der Leser sast bei jedem Abschnitt die Empfindung, daß durch
Urtheil und Kenntniß des Erzählers ein sehr anmuthiges und lehrreiches Buch
entstanden wäre, wenn derselbe sich entschlossen hätte, Leben und Treiben
einer oberbayrischen Landschaft in naturwahren Schilderungen, welche beschei¬
den und liebevoll die reale Wirklichkeit abzeichnen, der Schrift zu über¬
liefern. Gerade jetzt geschieht in Baiern Vieles für solche Schilderung heimi¬
scher Volkszustände. Jeder, der selbstständige Beobachtungen gut mitzutheilen
weiß, hat auf unbedingte Anerkennung zu rechnen. Nicht nur in seiner
Heimath, wo^die getreuen Bilder auch dieses Buches, wenn man nach der Zahl
der .Auflagen urtheilen darf, vielen Beifall gefunden haben, sondern auch
in dem übrigen Deutschland. Denn das alte Bock der Oberbaiern ist unter
den deutschen Stämmen für Ethnographie und Altetthumskunde einer der
wichtigsten. Es ist echtes Germanenblut mit geringen Zusätzen. Der bai-
rische Stamm war schon vor dem Einbruch der Hunnen in.seine gegenwär¬
tigen Sitze gezogen; er ist durch die Böckcrwanderung nicht zersetzt worden;
er hat durch das ganze Mittelalter gern seine Abgeschlossenheit und Selbst-
ständigkeit bewahrt; er ist auch im dreißigjährigen Kriege nur im nördlichen
ebenem Theile arg heimgesucht worden, seinen Kindern und Heerden wurde
die Flucht in die höheren Gebirgsthäler ein wenn auch unzureichender Schutz.
Der Obecbaier hat sich bis aus die neuere Zeit weniger mit Deutschen anderer
Stämme gemischt, als das mittle und nördliche Deutschland. Er hat in
manchem Gebiete der Proouelion, in Brauch, Sitte und Gemüth viel Eigenes
und Altertümliches bewahrt. Eine gewisse Kraft und Unabhängigkeit, die
freilich zuweilen in wilde Rohheit ausartete, hat sich gerade in den kleinen
Kreisen des Volkes dort bis zur Gegenwart erhalten, die ungeschickte Bean-


gegeben hat, machen den Eindruck der Wahrheit, und er weiß die Personen mit
Sicherheit in lebendigem Reden und Gebahren durch die Situationen zu
führen. Freilich nur die Kinder der Landschaft; denn die vornehmen Leute,
welche er wie als Gegenbild hereingesctzt hat, stechen unangenehm gegen die
einfachen und reinlichen Umrisse der Bolköcharaktere ab, es sind Carricaturen,
wie aus den Münchner Fliegenden Blättern, für kurzen Scherz unterhaltend
genug, in der episodischen Ausführung, welche er ihnen gönnt, nicht geistvoll, nicht
mehr wahr, und in peinlichen Widerspruch gegen die realistische Färbung derVolks-
siguren. Am schwächsten ist die Erfindung und Fortführung der Erzählung
selbst, nicht gleichmäßig ist der Faden gesponnen, die Spannung zu gering,, ja
man erfährt wichtige und entscheidende Motive erst wie gelegentlich am Schluß.
Auffallend gro>z ist dieser Mangel, obgleich in Deutschland nichts selten,
der Verfasser ist das Beispiel eines sehr achtungswerthen Talentes für Be¬
schreibung und Darstellung, dem diejenige Erfindungskraft, welche sich in der
Komposition einer Erzählung zeigt, sehr fehlt oder ganz unentwickelt ist.

So erhält der Leser sast bei jedem Abschnitt die Empfindung, daß durch
Urtheil und Kenntniß des Erzählers ein sehr anmuthiges und lehrreiches Buch
entstanden wäre, wenn derselbe sich entschlossen hätte, Leben und Treiben
einer oberbayrischen Landschaft in naturwahren Schilderungen, welche beschei¬
den und liebevoll die reale Wirklichkeit abzeichnen, der Schrift zu über¬
liefern. Gerade jetzt geschieht in Baiern Vieles für solche Schilderung heimi¬
scher Volkszustände. Jeder, der selbstständige Beobachtungen gut mitzutheilen
weiß, hat auf unbedingte Anerkennung zu rechnen. Nicht nur in seiner
Heimath, wo^die getreuen Bilder auch dieses Buches, wenn man nach der Zahl
der .Auflagen urtheilen darf, vielen Beifall gefunden haben, sondern auch
in dem übrigen Deutschland. Denn das alte Bock der Oberbaiern ist unter
den deutschen Stämmen für Ethnographie und Altetthumskunde einer der
wichtigsten. Es ist echtes Germanenblut mit geringen Zusätzen. Der bai-
rische Stamm war schon vor dem Einbruch der Hunnen in.seine gegenwär¬
tigen Sitze gezogen; er ist durch die Böckcrwanderung nicht zersetzt worden;
er hat durch das ganze Mittelalter gern seine Abgeschlossenheit und Selbst-
ständigkeit bewahrt; er ist auch im dreißigjährigen Kriege nur im nördlichen
ebenem Theile arg heimgesucht worden, seinen Kindern und Heerden wurde
die Flucht in die höheren Gebirgsthäler ein wenn auch unzureichender Schutz.
Der Obecbaier hat sich bis aus die neuere Zeit weniger mit Deutschen anderer
Stämme gemischt, als das mittle und nördliche Deutschland. Er hat in
manchem Gebiete der Proouelion, in Brauch, Sitte und Gemüth viel Eigenes
und Altertümliches bewahrt. Eine gewisse Kraft und Unabhängigkeit, die
freilich zuweilen in wilde Rohheit ausartete, hat sich gerade in den kleinen
Kreisen des Volkes dort bis zur Gegenwart erhalten, die ungeschickte Bean-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/262>, abgerufen am 27.12.2024.