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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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Norden gestimmten Kongresses gefolgt sein würde -- zu einer ganz andern
Niederlage, beziehentlich zu einem ganz andern Sieg wurde, als wenn früher
nicht loculisirte Parteien mit einander ihre Kräfte gemessen hatten. Die
Präsidentenwahl von 1860 drang der wo nicht auf den Süden beschränkten,
doch mit wenigen Ausnahmen den ganzen Süden umfassenden Minorität
einen Führer auf, den sie als ihren Gegner, als die Verkörperung des Prin¬
cips ansah, gegen das sie gestritten. Unter diesen Verhältnissen konnten sie
nicht mehr die Empfindung haben, daß sie von einer Behörde ihrer eignen
Wahl regiert würden, und doch ist diese Empfindung das innerste Wesen po¬
litischer Freiheit. Und da es sechs bis sieben Millionen Menschen waren, ge¬
wöhnt an den Gedanken, von einem obersten Magistrat eigner Wahl regiert
werden zu müssen, so mißfiel es ihnen natürlich, daß ein solcher oberster Ma¬
gistrat für sie gewählt und ihnen aufgedrungen wurde. Der Süden wurde
durch seine fast einmüthige Opposition gegen die Wahl von 1860 zur be-'
sondern Nation oder gab durch seine Abstimmung zum ersten Mal kund, daß
er von einem andern Volk bewohnt sei, als der Norden.

Es liegt auf der Hand, daß eine vollkommen freie und constitutionelle
Regierung, d. h. eine Regierung, die den Willen des Volks verkörpert, nur
in einer Natron existiren kann, welche in der Hauptsache homogen und von
gleichen Interessen ist. Besteht ein Reich aus mehren Nationen, aus Theilen
oder Gliedern, die wesentlich verschieden, in ihrer Culturstufe abweichend, in
ihren Interessen sich entgegengesetzt sind (Beispiel in Europa der östreichische
und der dänische Gesammtstaat, in gewissem Maß auch der deutsche Bund,
wie ihn Herr v. Beust "reformirt" haben will), so können diese Theile
oder Glieder wohl durch Despotismus zusammengehalten werden, niemals
aber oder doch nur dann, wenn die abweichende Minorität nur einen sehr klei¬
nen Theil des Ganzen ausmacht (Beispiel in Europa etwa das polnische Ele¬
ment in Preußen) in einer constitutionellen Monarchie oder gar in einer Re¬
publik. Der Norden und der Süden konnten deshalb nicht auf die Dauer
verbunden werden, und sie werden, sich nie wieder unter eine Regierung brin¬
gen lassen.

Aber diese Schlußfolgerung läßt sich nicht zu dem Beweis gebrauchen,
daß die Aankee- oder Neuengland-Staaten nicht mit Neuyork und Pennsyl-
vanien in einem Verband bleiben, oder daß die Hinterwäldlerstaaten des Nord-
westens nicht fortfahren könnten, einen Mittelpunkt in politischen Dingen zu
haben. Denn in allen wichtigen Dingen wird derselbe Präsident und das¬
selbe Congreßmitglied. welches die Bewohner Ohivs vertritt, auch ebenso gut
den Willen und die Interessen der Bürger Iowas, Wisconsins, Jndianas
und Michigans vertreten, und derselbe Mann, welcher der demokratischen oder
republikanischen Partei in Massachusetts willkommen ist, wird auch den De-


Norden gestimmten Kongresses gefolgt sein würde — zu einer ganz andern
Niederlage, beziehentlich zu einem ganz andern Sieg wurde, als wenn früher
nicht loculisirte Parteien mit einander ihre Kräfte gemessen hatten. Die
Präsidentenwahl von 1860 drang der wo nicht auf den Süden beschränkten,
doch mit wenigen Ausnahmen den ganzen Süden umfassenden Minorität
einen Führer auf, den sie als ihren Gegner, als die Verkörperung des Prin¬
cips ansah, gegen das sie gestritten. Unter diesen Verhältnissen konnten sie
nicht mehr die Empfindung haben, daß sie von einer Behörde ihrer eignen
Wahl regiert würden, und doch ist diese Empfindung das innerste Wesen po¬
litischer Freiheit. Und da es sechs bis sieben Millionen Menschen waren, ge¬
wöhnt an den Gedanken, von einem obersten Magistrat eigner Wahl regiert
werden zu müssen, so mißfiel es ihnen natürlich, daß ein solcher oberster Ma¬
gistrat für sie gewählt und ihnen aufgedrungen wurde. Der Süden wurde
durch seine fast einmüthige Opposition gegen die Wahl von 1860 zur be-'
sondern Nation oder gab durch seine Abstimmung zum ersten Mal kund, daß
er von einem andern Volk bewohnt sei, als der Norden.

Es liegt auf der Hand, daß eine vollkommen freie und constitutionelle
Regierung, d. h. eine Regierung, die den Willen des Volks verkörpert, nur
in einer Natron existiren kann, welche in der Hauptsache homogen und von
gleichen Interessen ist. Besteht ein Reich aus mehren Nationen, aus Theilen
oder Gliedern, die wesentlich verschieden, in ihrer Culturstufe abweichend, in
ihren Interessen sich entgegengesetzt sind (Beispiel in Europa der östreichische
und der dänische Gesammtstaat, in gewissem Maß auch der deutsche Bund,
wie ihn Herr v. Beust „reformirt" haben will), so können diese Theile
oder Glieder wohl durch Despotismus zusammengehalten werden, niemals
aber oder doch nur dann, wenn die abweichende Minorität nur einen sehr klei¬
nen Theil des Ganzen ausmacht (Beispiel in Europa etwa das polnische Ele¬
ment in Preußen) in einer constitutionellen Monarchie oder gar in einer Re¬
publik. Der Norden und der Süden konnten deshalb nicht auf die Dauer
verbunden werden, und sie werden, sich nie wieder unter eine Regierung brin¬
gen lassen.

Aber diese Schlußfolgerung läßt sich nicht zu dem Beweis gebrauchen,
daß die Aankee- oder Neuengland-Staaten nicht mit Neuyork und Pennsyl-
vanien in einem Verband bleiben, oder daß die Hinterwäldlerstaaten des Nord-
westens nicht fortfahren könnten, einen Mittelpunkt in politischen Dingen zu
haben. Denn in allen wichtigen Dingen wird derselbe Präsident und das¬
selbe Congreßmitglied. welches die Bewohner Ohivs vertritt, auch ebenso gut
den Willen und die Interessen der Bürger Iowas, Wisconsins, Jndianas
und Michigans vertreten, und derselbe Mann, welcher der demokratischen oder
republikanischen Partei in Massachusetts willkommen ist, wird auch den De-


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[0142] Norden gestimmten Kongresses gefolgt sein würde — zu einer ganz andern Niederlage, beziehentlich zu einem ganz andern Sieg wurde, als wenn früher nicht loculisirte Parteien mit einander ihre Kräfte gemessen hatten. Die Präsidentenwahl von 1860 drang der wo nicht auf den Süden beschränkten, doch mit wenigen Ausnahmen den ganzen Süden umfassenden Minorität einen Führer auf, den sie als ihren Gegner, als die Verkörperung des Prin¬ cips ansah, gegen das sie gestritten. Unter diesen Verhältnissen konnten sie nicht mehr die Empfindung haben, daß sie von einer Behörde ihrer eignen Wahl regiert würden, und doch ist diese Empfindung das innerste Wesen po¬ litischer Freiheit. Und da es sechs bis sieben Millionen Menschen waren, ge¬ wöhnt an den Gedanken, von einem obersten Magistrat eigner Wahl regiert werden zu müssen, so mißfiel es ihnen natürlich, daß ein solcher oberster Ma¬ gistrat für sie gewählt und ihnen aufgedrungen wurde. Der Süden wurde durch seine fast einmüthige Opposition gegen die Wahl von 1860 zur be-' sondern Nation oder gab durch seine Abstimmung zum ersten Mal kund, daß er von einem andern Volk bewohnt sei, als der Norden. Es liegt auf der Hand, daß eine vollkommen freie und constitutionelle Regierung, d. h. eine Regierung, die den Willen des Volks verkörpert, nur in einer Natron existiren kann, welche in der Hauptsache homogen und von gleichen Interessen ist. Besteht ein Reich aus mehren Nationen, aus Theilen oder Gliedern, die wesentlich verschieden, in ihrer Culturstufe abweichend, in ihren Interessen sich entgegengesetzt sind (Beispiel in Europa der östreichische und der dänische Gesammtstaat, in gewissem Maß auch der deutsche Bund, wie ihn Herr v. Beust „reformirt" haben will), so können diese Theile oder Glieder wohl durch Despotismus zusammengehalten werden, niemals aber oder doch nur dann, wenn die abweichende Minorität nur einen sehr klei¬ nen Theil des Ganzen ausmacht (Beispiel in Europa etwa das polnische Ele¬ ment in Preußen) in einer constitutionellen Monarchie oder gar in einer Re¬ publik. Der Norden und der Süden konnten deshalb nicht auf die Dauer verbunden werden, und sie werden, sich nie wieder unter eine Regierung brin¬ gen lassen. Aber diese Schlußfolgerung läßt sich nicht zu dem Beweis gebrauchen, daß die Aankee- oder Neuengland-Staaten nicht mit Neuyork und Pennsyl- vanien in einem Verband bleiben, oder daß die Hinterwäldlerstaaten des Nord- westens nicht fortfahren könnten, einen Mittelpunkt in politischen Dingen zu haben. Denn in allen wichtigen Dingen wird derselbe Präsident und das¬ selbe Congreßmitglied. welches die Bewohner Ohivs vertritt, auch ebenso gut den Willen und die Interessen der Bürger Iowas, Wisconsins, Jndianas und Michigans vertreten, und derselbe Mann, welcher der demokratischen oder republikanischen Partei in Massachusetts willkommen ist, wird auch den De-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/142>, abgerufen am 23.07.2024.