Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.pfiehlt?" Bon der Beantwortung dieser Frage würde dann auch weiter, wie wir Mit einer solchen Theorie treibt man selbst die besten Freunde der Regierung Uebrigens hat man sich während der letzten Woche bereits mit den Vorberei¬ pfiehlt?" Bon der Beantwortung dieser Frage würde dann auch weiter, wie wir Mit einer solchen Theorie treibt man selbst die besten Freunde der Regierung Uebrigens hat man sich während der letzten Woche bereits mit den Vorberei¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0124" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/113366"/> <p xml:id="ID_345" prev="#ID_344"> pfiehlt?" Bon der Beantwortung dieser Frage würde dann auch weiter, wie wir<lb/> belehrt werden, die Entscheidung über den Fortgang oder die Sistirung der Reform¬<lb/> politik abhängen. Offenbar haben wir es hier mit der vervollkommneten Lorclcy-<lb/> Theorie zu thun. Denn entweder, wir machen es wie bisher, und wählen Abge¬<lb/> ordnete, welche, um Conflicte zu vermeiden, leicht geneigt sind, jedem Druck nachzu¬<lb/> geben; — dann stemmt sich, wie wir aus Erfahrung wissen, das Herrenhaus nur<lb/> um so hartnäckiger jedem Fortschritt entgegen, und wir kommen nicht aus der Stelle.<lb/> Oder wir machen es wie diesmal und wählen Abgeordnete, von welchen wir ver¬<lb/> muthen, daß sie ihre Forderungen etwas lauter und dringender vorbringen werden;<lb/> — dann soll zur Strafe mit einer „Sistirung der Reformpolitik" geantwortet werden,<lb/> als ob die Neformpolitik nicht ohnehin schon längst durch das Herrenhaus sistirt<lb/> wäre. Wir müssen den Erfolg eines solchen Systems bezweifeln. Pädagogisch mag<lb/> dasselbe zuweilen gerechtfertigt sein. Aber man hat es hier doch nicht mit Tertianern,<lb/> sondern mit verständigen Männern zu thun. Zum Ueberfluß gibt die Sternzeitung<lb/> selbst zu, daß im Lande keineswegs eine Erregung herrscht, welche die weitere Durch¬<lb/> führung verfassungsmäßiger Freiheit bedenklich machen könnte. Allein weil „sich für<lb/> die entgegengesetzte Auffassung manche Scheingründe geltend machen lassen", soll der<lb/> bisherige langsame Gang unserer Entwickelung vollends ganz in's Stocken gerathen.</p><lb/> <p xml:id="ID_346"> Mit einer solchen Theorie treibt man selbst die besten Freunde der Regierung<lb/> in die Opposition. Wenn man uns sagt, daß Wünsche, deren Berechtigung nicht<lb/> bestritten wird, gerade deshalb nicht erfüllt werden sollen, weil sie von der Volks-<lb/> stimme getragen werden, so fragt man sich, wozu denn überhaupt eine Volksver¬<lb/> tretung vorhanden ist. Offenbar doch nur, um der Stimme des Landes ihren<lb/> verfassungsmäßigen Ausdruck zu geben. Und wenn sie dies in einer Tonart thut, die<lb/> nicht ganz gefällt, so soll das Land dafür bestraft werden? Hoffentlich haben wir<lb/> diese ganze Theorie nur einem übertriebenen und blinden Diensteifer zu verdanken.<lb/> Wollte aber das Ministerium selbst die nächste Kammer mit einer solchen pädago¬<lb/> gischen Elle messen, so würden wir den Erfolg sehr bald in der Fractionsbildung<lb/> spüren. Die Majorität würde um ein Bedeutendes weiter nach links geschoben werden.</p><lb/> <p xml:id="ID_347" next="#ID_348"> Uebrigens hat man sich während der letzten Woche bereits mit den Vorberei¬<lb/> tungen zur Fractionsbildung beschäftigt. Interessant ist dabei im Grunde nur die<lb/> Frage, wie sich die constitutionelle Partei in sich gestalten und von der Fortschritts¬<lb/> partei abgrenzen wird. Denn die Fractionen der Polen und der Ultrcunontanen<lb/> ergeben sich von selbst. Auch die wenigen Anhänger der feudalen Reaction werden<lb/> sich ganz natürlich von den übrigen Parteien absondern. ES gibt keinen größern<lb/> Feind der wahrhaft conservativen Interessen in Preußen, als die feudale Reaction.<lb/> Denn diese pseudo-conservative Partei, welche sich nur von ihren haltlosen .Nei¬<lb/> gungen leiten läßt, compromittirt und überwuchert die wahrhaft conservative<lb/> Partei, welche sich dem Fortschritt an und für sich nicht verschließt — nur daß sie<lb/> ihn in einer ruhigen Entwickelung und Anknüpfung an die historisch gegebenen<lb/> Momente zu verwirklichen sucht. Der wahrhafte Konservatismus muß also vor<lb/> allen Dingen sich von der reactionären Demagogie loslösen, wenn er sich nicht selbst<lb/> den Boden unter den Füßen fortziehen will. Die Kreuzzeitung meinte in ihrer Neu¬<lb/> jahrsbetrachtung, „wir hätten mit Friedrich Wilhelm dem Vierten nicht blos ein<lb/> Stück der ruhmreichen Geschichte Preußens, sondern das alte königliche Preußen</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0124]
pfiehlt?" Bon der Beantwortung dieser Frage würde dann auch weiter, wie wir
belehrt werden, die Entscheidung über den Fortgang oder die Sistirung der Reform¬
politik abhängen. Offenbar haben wir es hier mit der vervollkommneten Lorclcy-
Theorie zu thun. Denn entweder, wir machen es wie bisher, und wählen Abge¬
ordnete, welche, um Conflicte zu vermeiden, leicht geneigt sind, jedem Druck nachzu¬
geben; — dann stemmt sich, wie wir aus Erfahrung wissen, das Herrenhaus nur
um so hartnäckiger jedem Fortschritt entgegen, und wir kommen nicht aus der Stelle.
Oder wir machen es wie diesmal und wählen Abgeordnete, von welchen wir ver¬
muthen, daß sie ihre Forderungen etwas lauter und dringender vorbringen werden;
— dann soll zur Strafe mit einer „Sistirung der Reformpolitik" geantwortet werden,
als ob die Neformpolitik nicht ohnehin schon längst durch das Herrenhaus sistirt
wäre. Wir müssen den Erfolg eines solchen Systems bezweifeln. Pädagogisch mag
dasselbe zuweilen gerechtfertigt sein. Aber man hat es hier doch nicht mit Tertianern,
sondern mit verständigen Männern zu thun. Zum Ueberfluß gibt die Sternzeitung
selbst zu, daß im Lande keineswegs eine Erregung herrscht, welche die weitere Durch¬
führung verfassungsmäßiger Freiheit bedenklich machen könnte. Allein weil „sich für
die entgegengesetzte Auffassung manche Scheingründe geltend machen lassen", soll der
bisherige langsame Gang unserer Entwickelung vollends ganz in's Stocken gerathen.
Mit einer solchen Theorie treibt man selbst die besten Freunde der Regierung
in die Opposition. Wenn man uns sagt, daß Wünsche, deren Berechtigung nicht
bestritten wird, gerade deshalb nicht erfüllt werden sollen, weil sie von der Volks-
stimme getragen werden, so fragt man sich, wozu denn überhaupt eine Volksver¬
tretung vorhanden ist. Offenbar doch nur, um der Stimme des Landes ihren
verfassungsmäßigen Ausdruck zu geben. Und wenn sie dies in einer Tonart thut, die
nicht ganz gefällt, so soll das Land dafür bestraft werden? Hoffentlich haben wir
diese ganze Theorie nur einem übertriebenen und blinden Diensteifer zu verdanken.
Wollte aber das Ministerium selbst die nächste Kammer mit einer solchen pädago¬
gischen Elle messen, so würden wir den Erfolg sehr bald in der Fractionsbildung
spüren. Die Majorität würde um ein Bedeutendes weiter nach links geschoben werden.
Uebrigens hat man sich während der letzten Woche bereits mit den Vorberei¬
tungen zur Fractionsbildung beschäftigt. Interessant ist dabei im Grunde nur die
Frage, wie sich die constitutionelle Partei in sich gestalten und von der Fortschritts¬
partei abgrenzen wird. Denn die Fractionen der Polen und der Ultrcunontanen
ergeben sich von selbst. Auch die wenigen Anhänger der feudalen Reaction werden
sich ganz natürlich von den übrigen Parteien absondern. ES gibt keinen größern
Feind der wahrhaft conservativen Interessen in Preußen, als die feudale Reaction.
Denn diese pseudo-conservative Partei, welche sich nur von ihren haltlosen .Nei¬
gungen leiten läßt, compromittirt und überwuchert die wahrhaft conservative
Partei, welche sich dem Fortschritt an und für sich nicht verschließt — nur daß sie
ihn in einer ruhigen Entwickelung und Anknüpfung an die historisch gegebenen
Momente zu verwirklichen sucht. Der wahrhafte Konservatismus muß also vor
allen Dingen sich von der reactionären Demagogie loslösen, wenn er sich nicht selbst
den Boden unter den Füßen fortziehen will. Die Kreuzzeitung meinte in ihrer Neu¬
jahrsbetrachtung, „wir hätten mit Friedrich Wilhelm dem Vierten nicht blos ein
Stück der ruhmreichen Geschichte Preußens, sondern das alte königliche Preußen
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