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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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Innere der Sache" einzugehen. Auch bestand das Formgebrechen, da die
Begründung keinen Theil des Beschlusses ausmacht, und über den Punkt,
welches Gesetz zur Anwendung kommt, der Gegenstand entscheidet, nur in der
Art der Fassung, nämlich des Gesetzvorschlages statt des bloßen Antrags.
Die Abweisung des ersteren war also klar und unbedingt auszusprechen.
Daß man dennoch die Würdigung eines ferneren Antrags ausdrücklich in
Vorbehalt nahm, war lediglich ein Zugeständnis für den Erzherzog, der
schon den Schmerzensschrei von ganz Tirol über die Zertrümmerung einer
Puppe hörte. Dies zeigt seine Befürchtung von "Demonstrationen", die bange
Erwartung vom "Eindruck" der Entscheidung, die erst am Ende auftauchen,
wo er selbst spricht. Wir glauben kaum,, daß der Strohhalm, den man wie
einen Rettungsanker hinwarf, das Ergebniß prophetischer Berechnung war. so
viel ist aber gewiß, daß der Schachzug den Erzherzog matt stellte. Die Ant¬
worten der Bischöfe, deren Muth nun von Neuem entbrannte, athmeten nur
Sireitgier, Trotz und jene des Trienter selbst Hohn. Ihre Wirkung war eine
vollkommen entsprechende: die Wühlereien für die Adresse und die Deputation
an den Kaiser, die endlich in einem Bauernlandtag gipfelte. Es fehlten nur
noch die wunderbaren Erscheinungen der Jungfau Maria und der Heiligen,
um die Ereignisse des Jahres 1809 zu erneuen. Der Erzherzog war für
Tirol politisch unmöglich geworden, seine Abdankung-ein mächtiger Schlag
für die Kämpfer um den alten Glauben und die alte Einfalt, eine Wunde
für die Camarilla, ein Sieg des constitutionellen Princips und seines Banner¬
trägers, des Staatsministers. Nach einer Mittheilung von gut unterrichteter
Seite soll der Erzherzog selbst geäußert haben, daß ihn die.fortgesetzte Agi¬
tation, die Sprache der Bischöfe, und der Trotz, womit man den Kaiser drängen
wollte, zur Abdankung vermocht haben. Sie wurde, obschon bereits im Juni
beschlossen, erst am 11. Juli vom Kaiser angenommen. Den herbsten Schmerz
mag der Erzherzog wol über die Trennung von seinen lieben Getreuen ge¬
fühlt haben; denn er fand laut seiner Zuschrift an den Landtagsausschuß
einen wohlthuenden Trost darin, "daß sein Rücktritt von ächten Tiroler-
Herzen lebhast empfunden wird."

Im Cabinete zu Brixen und im Centralbureau zu Innsbruck beurtheilte
man den Stand der Dinge viel staatskluger als in Wien. Mit der Jnter¬
pellation Pfretzschners und dem in naher Aussicht stehenden Beschluß des
Reichsraths in der Protcstantenfrage schien die Noth auj's Höchste gestiegen. Nach
der sicheren Rechnung derer, die das Volk durch einen Popanz zu täuschen ge¬
wohnt waren, konnte es einer Compagnie breitschulteriger Dickköpfe in Loden-
Hemd und Lederhosen nicht fehlen, den Kaiser vom schlechten Rathe seiner
Minister zu überzeugen. Aus dem glücklichen Einfall von Abgeordneten meh¬
rerer Gemeinden entstand bald der glänzende Gedanke eines Bauernlandtags.


Innere der Sache" einzugehen. Auch bestand das Formgebrechen, da die
Begründung keinen Theil des Beschlusses ausmacht, und über den Punkt,
welches Gesetz zur Anwendung kommt, der Gegenstand entscheidet, nur in der
Art der Fassung, nämlich des Gesetzvorschlages statt des bloßen Antrags.
Die Abweisung des ersteren war also klar und unbedingt auszusprechen.
Daß man dennoch die Würdigung eines ferneren Antrags ausdrücklich in
Vorbehalt nahm, war lediglich ein Zugeständnis für den Erzherzog, der
schon den Schmerzensschrei von ganz Tirol über die Zertrümmerung einer
Puppe hörte. Dies zeigt seine Befürchtung von „Demonstrationen", die bange
Erwartung vom „Eindruck" der Entscheidung, die erst am Ende auftauchen,
wo er selbst spricht. Wir glauben kaum,, daß der Strohhalm, den man wie
einen Rettungsanker hinwarf, das Ergebniß prophetischer Berechnung war. so
viel ist aber gewiß, daß der Schachzug den Erzherzog matt stellte. Die Ant¬
worten der Bischöfe, deren Muth nun von Neuem entbrannte, athmeten nur
Sireitgier, Trotz und jene des Trienter selbst Hohn. Ihre Wirkung war eine
vollkommen entsprechende: die Wühlereien für die Adresse und die Deputation
an den Kaiser, die endlich in einem Bauernlandtag gipfelte. Es fehlten nur
noch die wunderbaren Erscheinungen der Jungfau Maria und der Heiligen,
um die Ereignisse des Jahres 1809 zu erneuen. Der Erzherzog war für
Tirol politisch unmöglich geworden, seine Abdankung-ein mächtiger Schlag
für die Kämpfer um den alten Glauben und die alte Einfalt, eine Wunde
für die Camarilla, ein Sieg des constitutionellen Princips und seines Banner¬
trägers, des Staatsministers. Nach einer Mittheilung von gut unterrichteter
Seite soll der Erzherzog selbst geäußert haben, daß ihn die.fortgesetzte Agi¬
tation, die Sprache der Bischöfe, und der Trotz, womit man den Kaiser drängen
wollte, zur Abdankung vermocht haben. Sie wurde, obschon bereits im Juni
beschlossen, erst am 11. Juli vom Kaiser angenommen. Den herbsten Schmerz
mag der Erzherzog wol über die Trennung von seinen lieben Getreuen ge¬
fühlt haben; denn er fand laut seiner Zuschrift an den Landtagsausschuß
einen wohlthuenden Trost darin, „daß sein Rücktritt von ächten Tiroler-
Herzen lebhast empfunden wird."

Im Cabinete zu Brixen und im Centralbureau zu Innsbruck beurtheilte
man den Stand der Dinge viel staatskluger als in Wien. Mit der Jnter¬
pellation Pfretzschners und dem in naher Aussicht stehenden Beschluß des
Reichsraths in der Protcstantenfrage schien die Noth auj's Höchste gestiegen. Nach
der sicheren Rechnung derer, die das Volk durch einen Popanz zu täuschen ge¬
wohnt waren, konnte es einer Compagnie breitschulteriger Dickköpfe in Loden-
Hemd und Lederhosen nicht fehlen, den Kaiser vom schlechten Rathe seiner
Minister zu überzeugen. Aus dem glücklichen Einfall von Abgeordneten meh¬
rerer Gemeinden entstand bald der glänzende Gedanke eines Bauernlandtags.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/64>, abgerufen am 23.07.2024.