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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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Leipzig, wo wir noch rin einem gleichfalls verwundeten Kameraden Winkler
aus Halle im Lazareth zusammentrafen, dann transportirte man uns als
Reconvalescenten aus der großen Heerstraße nach Mainz zu. Den verwun¬
deten Lützowern ließen die französischen Transporteurs es nicht entgelten, daß
Napoleon sie Brigauds gescholten hatte; wir wurden auf dem Marsche gut
verpflegt, aber auf das Strengste bewacht. Wir wußten, daß der Tod den¬
jenigen von uns erwartete, dessen beabsichtigte Befreiung mißlang. -- In
Buttelstedt vor Erfurt erzählte man uns, daß zwei Lützower Kameraden, die
einige Wochen vorher einen Fluchtversuch gemacht hatten, auf der Stelle er¬
schossen worden wären. Dies hinderte nicht auf Befreiung zu sinnen.

In Gelnhausen fand sich endlich die günstige Gelegenheit zu entkommen.

Wir hielten daselbst Rasttag und Abends 10 Uhr schlüpften Winkler und
ich aus der Stadt. Wir schlugen den Weg durch die Wälder nach dem Main
zu, durch den Odenwald auf Heidelberg ein. Nachts beherbergten uns Land¬
leute, denen wir uns entdeckten, und die uns auf Schleichwegen führten, wo
wir den spähenden Landdragonern entgingen. In Heidelberg wurden von Be¬
freundeten Geldmittel und Paß beschafft. Ueber Würzburg und Erlangen
kamen wir vor Aufkündigung des Waffenstillstandes bei Roßhaupt über tue
böhmische Grenze. Prag, Breslau waren die Etappen, um zur Nord-Armee
jenseits Berlin zu gelangen. Dahin richtete ich meine Schritte. Die Auf¬
lösung des Lützow'schen Corps, wenigstens der Reiterei, veranlaßte mich dem
Wunsche meines Vaters nachzukommen und unter den Fahnen des Landes¬
herrn, der inzwischen sich für die deutsche Sache erklärt hatte, zu kämpfen.
Wir waren damals sieben Brüder, fünf in schwedischen und zwei in östreichischen
Diensten, die gegen Frankreich zu Felde zogen.

Am 5. September 1813 langte ich im Hauptquartier des Kronprinzen
von Schweden zu Rabenstein an und erhielt in der Loraussetzung, daß ich
bet der schwedisch-pommerschen reitenden Legion als Freiwilliger eintreten
würde, ein Pferd zu meinem Gebrauch von dem Commandirenden der Legion
dem Rittmeister von Qutstorp. Ich suchte nun am 6. September meinen Bru¬
der Wilhelm, der zwei Batterien reitender schwedischer Cavallerie commandirte.
auf, um an seiner Seite die Feinde niederschmettern zu sehen; denn die Schlacht
bei Dennewitz hatte schon am Vormittage, als ich bei meinem Bruder ein¬
traf, begonnen, aber erst Nachmittags 4 Uhr durste mein Bruder zum An¬
griff vorrücken.

Als mir der Wunsch, bei meinem Bruder zu bleiben, von Seiten des
schwedischen Generals Adlercreuz versagt wurde, ritt ich auf den linken Flügel
des preußischen Heeres nach Rohrbeck zu. suchte hier Gelegenheit, meine
Revanche an den Franzosen zu nehmen, und fand sie. Mit zwei Schwadronen
des zweiten westpreußischen Dragonerregiments, commandirt vom Major


Grenzboten IV. 1S61. . 63

Leipzig, wo wir noch rin einem gleichfalls verwundeten Kameraden Winkler
aus Halle im Lazareth zusammentrafen, dann transportirte man uns als
Reconvalescenten aus der großen Heerstraße nach Mainz zu. Den verwun¬
deten Lützowern ließen die französischen Transporteurs es nicht entgelten, daß
Napoleon sie Brigauds gescholten hatte; wir wurden auf dem Marsche gut
verpflegt, aber auf das Strengste bewacht. Wir wußten, daß der Tod den¬
jenigen von uns erwartete, dessen beabsichtigte Befreiung mißlang. — In
Buttelstedt vor Erfurt erzählte man uns, daß zwei Lützower Kameraden, die
einige Wochen vorher einen Fluchtversuch gemacht hatten, auf der Stelle er¬
schossen worden wären. Dies hinderte nicht auf Befreiung zu sinnen.

In Gelnhausen fand sich endlich die günstige Gelegenheit zu entkommen.

Wir hielten daselbst Rasttag und Abends 10 Uhr schlüpften Winkler und
ich aus der Stadt. Wir schlugen den Weg durch die Wälder nach dem Main
zu, durch den Odenwald auf Heidelberg ein. Nachts beherbergten uns Land¬
leute, denen wir uns entdeckten, und die uns auf Schleichwegen führten, wo
wir den spähenden Landdragonern entgingen. In Heidelberg wurden von Be¬
freundeten Geldmittel und Paß beschafft. Ueber Würzburg und Erlangen
kamen wir vor Aufkündigung des Waffenstillstandes bei Roßhaupt über tue
böhmische Grenze. Prag, Breslau waren die Etappen, um zur Nord-Armee
jenseits Berlin zu gelangen. Dahin richtete ich meine Schritte. Die Auf¬
lösung des Lützow'schen Corps, wenigstens der Reiterei, veranlaßte mich dem
Wunsche meines Vaters nachzukommen und unter den Fahnen des Landes¬
herrn, der inzwischen sich für die deutsche Sache erklärt hatte, zu kämpfen.
Wir waren damals sieben Brüder, fünf in schwedischen und zwei in östreichischen
Diensten, die gegen Frankreich zu Felde zogen.

Am 5. September 1813 langte ich im Hauptquartier des Kronprinzen
von Schweden zu Rabenstein an und erhielt in der Loraussetzung, daß ich
bet der schwedisch-pommerschen reitenden Legion als Freiwilliger eintreten
würde, ein Pferd zu meinem Gebrauch von dem Commandirenden der Legion
dem Rittmeister von Qutstorp. Ich suchte nun am 6. September meinen Bru¬
der Wilhelm, der zwei Batterien reitender schwedischer Cavallerie commandirte.
auf, um an seiner Seite die Feinde niederschmettern zu sehen; denn die Schlacht
bei Dennewitz hatte schon am Vormittage, als ich bei meinem Bruder ein¬
traf, begonnen, aber erst Nachmittags 4 Uhr durste mein Bruder zum An¬
griff vorrücken.

Als mir der Wunsch, bei meinem Bruder zu bleiben, von Seiten des
schwedischen Generals Adlercreuz versagt wurde, ritt ich auf den linken Flügel
des preußischen Heeres nach Rohrbeck zu. suchte hier Gelegenheit, meine
Revanche an den Franzosen zu nehmen, und fand sie. Mit zwei Schwadronen
des zweiten westpreußischen Dragonerregiments, commandirt vom Major


Grenzboten IV. 1S61. . 63
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[0507] Leipzig, wo wir noch rin einem gleichfalls verwundeten Kameraden Winkler aus Halle im Lazareth zusammentrafen, dann transportirte man uns als Reconvalescenten aus der großen Heerstraße nach Mainz zu. Den verwun¬ deten Lützowern ließen die französischen Transporteurs es nicht entgelten, daß Napoleon sie Brigauds gescholten hatte; wir wurden auf dem Marsche gut verpflegt, aber auf das Strengste bewacht. Wir wußten, daß der Tod den¬ jenigen von uns erwartete, dessen beabsichtigte Befreiung mißlang. — In Buttelstedt vor Erfurt erzählte man uns, daß zwei Lützower Kameraden, die einige Wochen vorher einen Fluchtversuch gemacht hatten, auf der Stelle er¬ schossen worden wären. Dies hinderte nicht auf Befreiung zu sinnen. In Gelnhausen fand sich endlich die günstige Gelegenheit zu entkommen. Wir hielten daselbst Rasttag und Abends 10 Uhr schlüpften Winkler und ich aus der Stadt. Wir schlugen den Weg durch die Wälder nach dem Main zu, durch den Odenwald auf Heidelberg ein. Nachts beherbergten uns Land¬ leute, denen wir uns entdeckten, und die uns auf Schleichwegen führten, wo wir den spähenden Landdragonern entgingen. In Heidelberg wurden von Be¬ freundeten Geldmittel und Paß beschafft. Ueber Würzburg und Erlangen kamen wir vor Aufkündigung des Waffenstillstandes bei Roßhaupt über tue böhmische Grenze. Prag, Breslau waren die Etappen, um zur Nord-Armee jenseits Berlin zu gelangen. Dahin richtete ich meine Schritte. Die Auf¬ lösung des Lützow'schen Corps, wenigstens der Reiterei, veranlaßte mich dem Wunsche meines Vaters nachzukommen und unter den Fahnen des Landes¬ herrn, der inzwischen sich für die deutsche Sache erklärt hatte, zu kämpfen. Wir waren damals sieben Brüder, fünf in schwedischen und zwei in östreichischen Diensten, die gegen Frankreich zu Felde zogen. Am 5. September 1813 langte ich im Hauptquartier des Kronprinzen von Schweden zu Rabenstein an und erhielt in der Loraussetzung, daß ich bet der schwedisch-pommerschen reitenden Legion als Freiwilliger eintreten würde, ein Pferd zu meinem Gebrauch von dem Commandirenden der Legion dem Rittmeister von Qutstorp. Ich suchte nun am 6. September meinen Bru¬ der Wilhelm, der zwei Batterien reitender schwedischer Cavallerie commandirte. auf, um an seiner Seite die Feinde niederschmettern zu sehen; denn die Schlacht bei Dennewitz hatte schon am Vormittage, als ich bei meinem Bruder ein¬ traf, begonnen, aber erst Nachmittags 4 Uhr durste mein Bruder zum An¬ griff vorrücken. Als mir der Wunsch, bei meinem Bruder zu bleiben, von Seiten des schwedischen Generals Adlercreuz versagt wurde, ritt ich auf den linken Flügel des preußischen Heeres nach Rohrbeck zu. suchte hier Gelegenheit, meine Revanche an den Franzosen zu nehmen, und fand sie. Mit zwei Schwadronen des zweiten westpreußischen Dragonerregiments, commandirt vom Major Grenzboten IV. 1S61. . 63

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/507>, abgerufen am 29.12.2024.